Interview Ein Zahnarzt verrät: So geht Mundhygiene richtig

Mara Ittig

7.1.2019

Schöne Zähne sind in erster Linie saubere Zähne. 
Schöne Zähne sind in erster Linie saubere Zähne. 
Bild:  Getty Images

Wie oft müssen wir unsere Zähne putzen? Elektrisch oder von Hand? Und was ist mit Zahnseide? Wir haben einem Profi auf den Zahn gefühlt und bei Dr. Ralf Rössler nachgefragt, wie es denn nun richtig ist.

Herr Rössler, fangen wir bei der Basis an: Wie putze ich meine Zähne richtig?

Auf die Technik bezogen sollten wir die Zähne erstens systematisch putzen und zweitens in der Tendenz von Rot nach Weiss. Es ist wichtig, alle Seiten der Zähne zu putzen, also sowohl die Aussen- als auch die Innenseite und die Kauflächen.

Elektrisch oder von Hand?

Die Empfehlung geht ganz klar Richtung elektrisch. Der Mensch ist in der manuellen Pflege reduziert, die Systematik fällt uns schwer. Meistens läuft man vor dem Spiegel herum und weiss nicht mehr, wo man schon geputzt hat und wo nicht. Da ist die elektrische Zahnbürste der manuellen Reinigung um Klassen überlegen. Das wissen wir auch aus Studien.

Der entscheidende Vorteil der elektrischen Zahnbürste ist, dass sie unsere Fehler kompensiert. Wenn wir manuell putzen, drücken wir oft zu fest, dafür hat die elektrische Bürste eine Druckkontrolle. Und wir putzen in der Regel viel zu kurz. Die empfohlene Putzzeit liegt zwischen zwei und drei Minuten, die Mehrheit putzt manuell unter einer Minute, glaubt aber, dass sie drei Minuten geputzt hat. Dafür haben Sie bei der elektrischen Zahnbürste einen Timer. Sie haben den weiteren Vorteil, dass Sie bei der elektrischen Zahnbürste quadrantenweise geführt werden. So fällt es leichter, systematisch zu putzen.

Die oszillierend-rotierende Technologie ist im Moment rein wissenschaftlich betrachtet das Beste, was es zur Zahnreinigung gibt.

Wie oft muss ich putzen?

Wie oft Sie putzen müssen, ist abhängig von Ihrem Risikoprofil: Unter normalen Rahmenbedingungen reichen ein bis zwei Mal täglich. Wenn Sie ein stark geschädigtes oder kariesaktives Gebiss haben oder viel Zahnersatz, müssen Sie drei bis vier Mal am Tag putzen.

Damit sind wir auch bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt man am besten putzt ...

Sinnvollerweise putzt man vor dem Essen. Wenn wir davon ausgehen, dass Nahrung einen schädigenden Einfluss auf die Zahnsubstanz hat, dann schützen Sie Ihren Zahn doch besser vor dem Essen.

Man putzt zum Schutz und nicht zur Reinigung?

So ist es. Wir müssen uns auch vom Gedanken verabschieden, dass wir schädliche Bakterien entfernen müssten. Die Mundhöhle ist ein Vorverdauungsorgan, da gehören Keime hin. Es geht vielmehr um ein sogenanntes Biofilm-Management, das heisst, wir wollen die Mundflora in ein harmonisches Gleichgewicht bringen.

Was ist mit Zahnseide?

Der Durchschnittsverbrauch von Zahnseide liegt bei unter einem Meter pro Jahr. Bei Menschen, die ein geschädigtes Gebiss oder Prothesen haben, wo sie mit der Bürste gar nicht mehr richtig hinkommen, macht Zahnseide Sinn. Wichtiger ist allerdings, dass Sie eine gute manuelle Reinigung pflegen. Es wäre schön, wenn Sie Zahnseide benutzten, es muss gar nicht täglich sein. Man kann auch sehr gut mit Sticks und Interdentalbürsten arbeiten. Das ist einfacher und realistischer.

Mundspülung: ja oder nein?

Mundspülungen sind nice to have, aber sie ersetzen nicht die manuelle Pflege. Eine Mundspülung kann unterstützend Sinn machen. Spüllösungen sind mehrheitlich kosmetische Artikel, es muss nicht drin sein, was draufsteht. Wenn Sie keine Zeit für Mundhygiene haben, oder wenn Sie ein gutes Gefühl haben wollen, können Sie die Mundhöhle mit einer Mundspüllösung ausspülen. 

Die Reinigung mit der elektrischen Zahnbürste ist derjenigen von Hand überlegen, denn sie ist weniger fehleranfällig. 
Die Reinigung mit der elektrischen Zahnbürste ist derjenigen von Hand überlegen, denn sie ist weniger fehleranfällig. 
Bild: Getty Images

Welchen Einfluss hat die Ernährung?

Die Ernährung ist für mich uninteressant, wenn Sie ein gesundes Gebiss haben. Dann halten Ihre Zähne alles aus. Wir reden jetzt nicht über gesunde Ernährung im klassischen Sinn, sondern über die Zahngesundheit und das Vorurteil, man dürfe keinen Zucker essen.

Karies ist eine Infektionserkrankung, genau wie Paradontitis. Wenn Sie eine Infektion und ein kariesaktives Gebiss haben, ist es sinnvoll, auf Zucker zu verzichten. Denn die Mikroorganismen, die Karies erzeugen, wandeln den Zucker in Säuren um – und diese verursachen Schäden an den Hartsubstanz des Zahnes. Säure ist das eigentliche Problem, nicht der Zucker. Die ganzen Energydrinks beispielsweise sind extrem sauer. Die mögen zwar teilweise zuckerfrei sein, aber verursachen durch die Säure mindestens genau so viel Karies.

Gilt das auch für Obst?

Das trifft auch auf Obst zu. Wenn Sie etwas Saures gegessen haben, sollen Sie nicht unmittelbar danach die Zähne putzen. Damit schädigen Sie die Hartsubstanz, die dann regelrecht angeätzt ist. Besser ist es, zu warten, bis die Oberfläche wieder remineralisiert und der Zahn stabil ist. Ich würde auf jeden Fall eine halbe Stunde, besser eine Stunde warten, bis die Remineralisierung soweit abgeschlossen ist, dass man gefahrlos putzen kann.

Was hilft bei Zahnfleischproblemen?

Ganz einfach: Eine Therapie. Wenn wir von Zahnfleischproblemen reden, meinen wir mehrheitlich eine Paradontitis. Dafür brauchen Sie eine Therapie und zwar lebenslang. Da geht es nicht um Prophylaxe, sondern um Nachsorge. Verhindern kann man das lediglich dadurch, dass man regelmässig zur Inspektion geht. Paradontitis fängt nicht sofort an, sondern ist ein chronischer Prozess. Oft fängt es mit einer Zahnfleischentzündung an, die zu 100 Prozent reversibel ist. Leider akzeptiert die Mehrheit Zahnfleischbluten und denkt, das gehe von allein wieder weg. In Wahrheit ist es eine Entzündung, die behandelt gehört. Es ist nicht klug, zu warten, bis sie zur Parodontitis wird.

Was kann ich denn machen, wenn ich merke, dass mein Zahnfleisch blutet?

Es gibt minimalinvasive Therapien. Zuallererst kann man die Mundhygiene verbessern. Oder in einer zahnärztlichen Praxis eine professionelle Revision machen. Es gibt auch Medikamente, die helfen. Gingivitis können Sie zu 100 Prozent heilen. Damit ist eine Parodontitis ausgeschlossen.

Sie sagen, man soll regelmässig zur Inspektion. Was heisst das? Jährlich?

Das ist wiederum abhängig vom Risikoprofil. Wenn Sie keine Probleme haben, reicht es,  wenn Sie einmal im Jahr zur Inspektion gehen. Wenn Sie ein geschädigtes Gebiss haben, dann ist es durchaus sinnvoll, zwei Mal im Jahr zu kontrollieren. Kein Ersatz, den Sie haben, ist besser als das Original. Der gehört nicht nur gereinigt, sondern in erster Linie kontrolliert. Wenn ein Kronenrand nicht dicht ist, merken Sie das selber nicht. Beziehungsweise, wenn Sie's merken, ist es zu spät. Darum muss man inspizieren.

Wie bleiben die Zähne schön weiss?

Ein weisser Zahn ist ein kranker Zahn. Der Zahn ist in seiner Grundfarbe eher gelblich-weiss, weil Dentin drunter liegt. Zahnverfärbungen sind relativ selten und entstehen beispielsweise durch Zahnschädigungen. Die kann man mit entsprechenden Hilfsmitteln wie Veneers oder Lumineers korrigieren.

Schöne Zähne sind saubere Zähne. Wenn Sie eine gute Mundhygiene haben, regelmässig eine Inspektion machen und Ihre Zähne zwischendurch von einer Dental-Hygienikerin reinigen lassen, dann haben Sie schöne weisse Zähne.

Was ist mit Verfärbungen?

Verfärbungen sind nicht vermeidbar und ganz normal, allein durch unsere Essgewohnheiten. Kaffee, Rotwein usw. führen gerne zur Verfärbung der Zähne. Es gibt zwei Techniken, um die zu entfernen. Ein richtiges Bleaching machen Sie bitte in der Praxis. Denn es kann unschöne Nebenwirkungen geben, wenn Sie's falsch machen. Glücklicherweise bekommen Sie die Konzentration, mit der Sie wirklich etwas falsch machen können, gar nicht im freien Verkauf, weil es sich um ein Medizinprodukt handelt. Das Bleaching in der Praxis kann dann mit Homebleaching-Produkten deutlich stabilisiert und verlängert werden.


Diese Lebensmittel verfärben die Zähne

Viele aufhellende Produkte sind im Handel frei erhältlich. Damit bringen Sie Verfärbungen weg.

Wie finde ich eine gute Zahnpasta?

Das Wichtigste ist, dass die Zahnpasta fluoridiert ist. Das ist heute Standard. Und das zweitwichtigste: Ihnen muss die Zahnpasta schmecken. Optimalerweise spucken Sie die Zahnpasta nach dem Putzen nur aus. Viele spülen intensiv mit Wasser nach, dabei stecken in der Zahnpasta sehr viele nützliche Wirkstoffe, die möglichst lange auf der Zahnoberfläche verbleiben sollen.

Deswegen sage ich, die beste Zahnpasta ist die, die Ihnen schmeckt – und die richtigen Wirkstoffe enthält. Die Produkte der grossen Firmen enthalten eigentlich alle gute Inhaltsstoffe. Es ist also reine Geschmackssache, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist übrigens auch kulturell geprägt. In den USA haben Sie mehrheitlich Zahnpasten mit Bubblegum-Geschmack. Bei uns in Europa ist Minzgeschmack beliebt, der wiederum geht in den USA gar nicht.

Was ist mit aufhellenden Zahnpasten? Sind sie schädlich für den Zahnschmelz?

Die Zeiten sind vorbei. Früher enthielten diese Produkte extrem abrasive Bestandteile. Das war im Prinzip Bimssteinpulver – und deswegen sind sie immer noch negativ besetzt. Die Wirkmechanismen von einer Zahnpasta mit Bleacheffekt sind heute völlig andere. Das funktioniert über Umpigmentierung. Das können Sie bedenkenlos machen.

In welchem Alter beginnt man bei Kindern mit der Mundhygiene?

Die beginnt in der Schwangerschaft. Gute oder schlechte Zähne werden nicht vererbt. Karies und Parodontitis impfen Sie Ihren Kindern quasi ein: Kinder im Säuglingsalter werden mit dem Löffel gefüttert, den die Eltern im Mund hatten. Das Kind hat noch kein richtiges Immunsystem und schluckt diese elterlichen Keime und bekommt so Karies oder auch eine Parodontitis. Das Beste, das Sie für Ihr Kind machen können, ist, dass Sie es im Säuglingsalter vermeiden, mit dem Löffel erst in den eigenen Mund und dann in den des Kindes zu gehen.

Die Mundhygiene fängt ab dem ersten Zahn an und wird von den Eltern betrieben. Ein Kind kann keine Zähne putzen. Der Mensch ist bis zu seinem fünften Lebensjahr physiologisch gar nicht in der Lage, systematisch zu putzen. Der Erwachsene putzt – und das Kind putzt nach.

Hygiene ist uns nicht angeboren, sondern Trainingssache. Wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass wir Zähne putzen müssen, dann wäre einer der zehn Finger eine Zahnbürste geworden.

Prof. Dr. Ralf Rössler ist Spezialist für Implantologie und Parodontologie. Er leitet eine internationale Forschungseinrichtung für die Digitalisierung in der Medizin und Zahnmedizin.
Prof. Dr. Ralf Rössler ist Spezialist für Implantologie und Parodontologie. Er leitet eine internationale Forschungseinrichtung für die Digitalisierung in der Medizin und Zahnmedizin.
Bild: zVg
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