«Tatort: Kein Mitleid, keine Gnade» Warum der Kölner «Tatort» ein Lehrstück in Sachen Mobbing ist

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12.1.2020

Eifersucht, Mobbing und Homophobie: Schenk und Ballauf erlebten im Kölner «Tatort: Kein Mitleid, keine Gnade», wie missgünstig es zwischen Teenagern an der Schule zugehen kann.

Ach ja, die Schulzeit! Keine Verantwortung, kein Job und jede Menge Spass – so verklärt so mancher Erwachsener seine jungen Jahre. Dabei ist die gute alte Lehranstalt für nicht wenige Jugendliche der pure Horror: Neben ätzenden Klausuren kann auch das soziale Miteinander zwischen Pubertierenden grausam sein. Was einst galt, gilt in den Schulen heute noch – das bekamen Schenk und Ballauf im neuen Kölner «Tatort» mit dem passenden Titel «Kein Mitleid, keine Gnade» hautnah zu spüren.

Der Mord an einem Schüler sorgte in dem exzellent umgesetzten Krimi für gegenseitiges Misstrauen und setzte die Kommissare einem toxischen Gebräu aus Anfeindungen, Homophobie, Eifersucht und Mobbing aus – von dem sie schliesslich auch selbst kosten mussten.

Worum ging es?

Ein toter Jugendlicher wurde nackt und erschlagen hinter einer heruntergekommenen Hausruine an einem See gefunden. In der Schule vermisste man Jan schon, die Klausur in Bio hätte er nie verpasst. Schliesslich stand das Abi bald an, auf das sich die ganze Klasse vorbereitet hatte. Nachdem die Bio-Lehrerin (Ines Marie Westernströer) den 17-Jährigen auf einem Foto der Leiche jedoch sofort identifiziert hatte, schien alles anders. Die Kommissare befragten Lehrer und Schüler – und mussten bald erschreckt feststellen: Manche Klassenkameraden schienen nicht gerade erschüttert über Jans Tod. Augenscheinlich war der Jugendliche, von dessen Homosexualität die Ermittler bald erfahren, gemobbt worden.

Worum ging es wirklich?

Um toxisches Miteinander, gegenseitiges Beschuldigen – und vor allem Homophobie und Mobbing. «Schwuchtel», schimpfte etwa die Teenagerin Nadine (Emma Drogunova), und auch ihr Freund Lennart (bekannt aus «Dark» und überaus talentiert: Moritz Jahn) sowie der Fussballstar der Schule Robin (Justus Johanssen) verloren über den Getöteten kein gutes Wort. Gemobbt wurde auch sein offensichtlich einziger Freund Paul (Thomas Prenn), den die anderen Teenager ebenfalls mit homophoben Tiraden belegten.

Geht es um angebliche Abweichungen von einer gesetzten Norm, so zeigte dieser «Tatort», können Jugendliche fast grausamer sein als die Erwachsenen. Homophobie begleitete Schenk und Ballauf bei ihren Ermittlungen Schritt auf Tritt: «Es kommt nicht gut im Fussballverein, wenn man 'nen schwulen Freund hat, oder?», fragten die Kommissare den Kicker-Star, der mit dem Opfer einst befreundet war. Der Homo-Hass war hier nicht nur gesellschaftlich gespeist, sondern entsprang persönlichen Verletzungen.

Welche Rolle spielte dabei das Drama um den THW-Mitarbeiter?

Wie schwer gesellschaftlicher Zwang wiegen kann und wie tödlich er bisweilen ist, illustrierte noch eine weitere Figur dieses «Tatorts» nach einem Skript von Johannes Rotter: Bei der Recherche mit einer Schwulen-Datingapp stiessen die Ermittler auf Farid Slimani (Karim Düzgün Günes), der als THW-Sanitäter Rettungskurse an der Schule des Toten gab – und zum Schein mit seiner Kollegin zusammen war. Als sein Vater mitbekam, dass im Zuge der Ermittlungen auch sein Sohn ins Visier geriet, brach für beide eine Welt zusammen.


Nichts für schwache Nerven: Die bizarrsten Leichenfunde beim «Tatort»

Auch wenn Ballauf und Schenk klarstellten, dass nicht irgendwelche Liebschaften zwischen Männern verboten sind, sondern «jemanden umzubringen, ist verboten»: Für viele scheint die Tatsache, dass Menschen lieben dürfen, wen sie wollen, schwerer zu wiegen als der Mord an einem Menschen.

Dass der «Tatort» diesen zweiten Handlungsstrang öffnete, mutete zunächst etwas überladen an, verstärkte aber letztlich die bedrückend realistische Atmosphäre einer laufenden unterschwelligen Bedrohung durch die Mitmenschen, der sich nicht einmal die Polizei – hier in Gestalt Schenks – entziehen konnte.

Wie wurde Schenk so schnell zur Zielscheibe?

Auch Schenk musste erfahren, wie es ist, ins Visier von Hass und Beschuldigung zu geraten: Schülerin Nadine, die der «Tatort» leider ein wenig zu klischeehaft als die böse Zicke zeichnete, die zudem noch den besten Freund ihres Freundes anmachte, entging der Befragung durch den Ermittler, indem sie auf dem Schulhof anfing zu schreien: «Der hat mich begrapscht!» Die Smartphones der Mitschüler filmten fleissig alles mit – und auch wenn Schenk vollkommen unschuldig war, landeten die Videos bald online und auf dem Tisch der internen Ermittlung bei der Polizei.

War das realistisch?

Wie schnell so ein erfundener Belästigungsvorwurf entstehen kann, zeichnete der «Tatort» wohl realistisch nach – vor allem die gesellschaftlichen Folgen davon. «Dieses Miststück», reagierte Ballauf entsetzt, und auch der sich eigenartig verhaltende Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling) warnte, dass man so bald «Gleichstellungsheinz» und «Diskriminierungstante» an der Backe habe. Zugleich die im Raum schwebende Frage: War Schenk denn wirklich unschuldig – oder war da nicht doch was dran? Misstrauen herrschte letztlich nicht nur in der Schüler-, sondern auch in der Beamtenschaft: «Warum gibt es keinen Teamgeist mehr?», wollte Ballauf entsprechend wissen.

Ob allerdings der Sache von belästigten Frauen, denen ohnehin selten geglaubt wird, in Zeiten von MeToo mit diesem «Tatort» nicht eher ein Bärendienst erwiesen wurde, ist wiederum eine andere Frage. Unemotional wird die Diskussion um falsche Anschuldigungen und der Definitionsmacht des Opfers jedenfalls wohl niemals geführt werden können. Auch dieser «Tatort» könnte daher für Debatten sorgen.

Der «Tatort: Kein Mitleid, keine Gnade» lief am Sonntag, 12. Januar, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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