Interview Steve Buscemi als Chruschtschow: «Ich dachte erst, da sei was falsch gelaufen»

Interview: Marlène von Arx, Hollywood-Kolumnistin

12.4.2018

Was tun, wenn der Diktator stirbt? Charakter-Darsteller Steve Buscemi über seine Rolle in der Polit-Satire «The Death of Stalin», Massenmörder und Movies, sowie seine Erinnerungen an «The Big Lebowski» zum 20. Geburtstag des Kultfilms.

«Bluewin»: In der Komödie «The Death of Stalin» spielen Sie Nikita Chruschtschow. Sahen Sie sich sofort in der Rolle des ersten KPdSU-Parteichefs nach Stalin und späteren Ministerpräsidenten der Sowjetunion?

Steve Buscemi: Nein, überhaupt nicht. Ich dachte zuerst, da sei wohl etwas falsch kommuniziert worden und man wolle mich für eine andere Rolle. Also rief ich den Regisseur Armando Iannucci an. Dieser versicherte mir aber ganz locker, er hätte schon Chruschtschow gemeint und dass das mit Glatze, etwas Make-up und angehängtem Bauch schon passen würde. Da dachte ich: «Ja, warum sollte es eigentlich nicht passen?»

Wie viel Wahrheit steckt in dieser schrägen Komödie?

Recht viel. Natürlich ist «The Death of Stalin» - wie alle Spielfilme mit historischem Hintergrund - kein Dokumentarfilm, aber die emotionale Wahrheit ist schon vorhanden. Es war eine absurde, von Angst geprägte Zeit. Armando ist wirklich gut darin, gleichzeitig Klamauk und Horror herüberzubringen. «Veep» und «In the Loop» zeigen diese Art von politischem Humor gut.

Glauben Sie, dass Satire ein besseres Mittel ist, ernsthafte Inhalte zu vermitteln als ein Drama?

Das kann sicher möglich sein. Das Drehbuch zu «The Death of Stalin» erinnerte mich an «Dr. Strangelove» - da ging es ja mit der Atomwaffengefahr ebenfalls um ein sehr ernsthaftes Thema, das auf eine komödiantische Weise abgehandelt wurde. Sidney Lumet tat dies mit «Fail-Safe». Aber ich glaube, die Leute erinnern sich mehr an «Dr. Strangelove» wegen des absurden Humors. Es gibt Dinge, die sind so schrecklich, dass man sie nur mit Humor angehen kann, sonst machen sie einen depressiv.

Die Bilder zu «The Death of Stalin»

In Russland wurde der Film verboten. Erstaunt Sie das?

Eigentlich nicht. Was die Macht mit Leuten macht und wie sie sie korrumpiert, ist ja zeitlos. Das ist heute nicht anders. Vielleicht ist man jetzt nach den russischen Wahlen etwas entspannter, was den Film betrifft. Und es ist ja nicht so, dass man den Film deswegen nicht sehen kann. Bekanntlich haben die da drüben ja Zugriff auf alles…

Sind Sie politisch interessiert? Was halten Sie beispielsweise davon, dass sich «Sex and the City»-Schauspielerin Cynthia Nixon in New York zur Gouverneurs-Wahl aufgestellt hat?

Das finde ich gut. Sie ist sehr engagiert. Ich bin politisch auch sehr interessiert und so engagiert wie ich es halt sein kann. Man müsste den Kopf ganz schön tief in den Sand stecken, wenn man derzeit nichts mitbekommen würde. Wir leben in interessanten Zeiten, in den USA in besonders chaotischen, was wir vor allem der Führung beziehungsweise der Führungslosigkeit im Weissen Haus zu verdanken haben. Aber immerhin: Bewegungen wie der «March For Our Lives» [Marsch für unsere Leben], bei dem junge Aktivisten das Zepter übernommen haben, stimmen mich optimistisch, dass etwas verändert werden kann - in diesem Fall bezüglich vernünftige Waffengesetze.

Sie haben ja in vielen, sehr gewaltreichen Filmen mitgespielt. Glauben Sie, dass sich auch Entertainer über ihre Rolle bei Massenmorden Gedanken machen müssen?

Gewalt in der Kunst gab es schon immer - schon bevor es Filme gab. Aber ich finde schon, dass es Filme und TV-Unterhaltung gibt, bei denen die Gewalt überflüssig ist. Oft wird sie als sexy dargestellt, um damit etwas zu verkaufen. Damit habe ich ein Problem. Andererseits bin ich kein Befürworter von Zensur. Ich wünschte einfach, dass die Film-Industrie etwas vernünftiger wäre, dass mehr Gedanken dafür aufgebracht würden, was man eigentlich für Bilder in die Welt setzt. Ich hätte ja auch selber nie gedacht, dass ich in Filmen wie «Reservoir Dogs» oder Serien wie «The Sopranos» oder «Boardwalk Empire» mitspielen würde.

Sondern?

Ich mochte zwar die alten Gangster-Filme mit James Cagney und Edward G. Robinson, aber eigentlich zog es mich eher zu den Komikern wie Jerry Lewis und Laurel und Hardy [«Dick und Doof», Anmerk. d. Red.] hin. Zum 6. Geburtstag wünschte ich mir eine Bauchredner-Puppe und bekam sie auch. Ich habe sofort ein Programm einstudiert und trat auch in der Schule damit auf.

Obwohl Sie offenbar schon früh zum Komiker neigten, lernten Sie zuerst einen seriösen Beruf und wurden Feuerwehrmann. Wie fühlte es sich an, als Sie schliesslich Ihren Namen zum ersten Mal in grossen Buchstaben am Kino-Eingang sahen?

Im Nachhinein fühlt es sich noch cooler an als damals: Einer meiner ersten Filme war «Parting Glances». Es waren keine Stars im Film, und aus irgendeinem Grund entschied ein New Yorker Kino, meinen Namen unter den Filmtitel auf die Leuchtreklame zu setzen. Das war noch vor den Multiplex-Kinos. Es spielten nur zwei Filme im Kino. Der andere war «My Beautiful Laundrette» mit Daniel Day-Lewis. Ich habe ein Foto von unseren beiden Namen nebeneinander, als uns noch niemand kannte.

Vor zwanzig Jahren kam der Kultklassiker «The Big Lebowski» der Coen-Brüder ins Kino. Welche Erinnerungen haben Sie an den Film?

Ich erinnere mich vor allem daran, dass wir enorm viel Spass hatten. Es war der erste Film der Coen-Brüder nach «Fargo», und die Presse wusste nicht, was sie von diesem schrägen Folgefilm halten sollte. Er schlug auch nicht sofort ein. Es ging sicher fünf Jahre, bis mich mal jemand auf der Strasse darauf ansprach - normalerweise war es ein Student, der sich den Film in der Endlosschlaufe ansah. Mit der Zeit erkannte ich den Lebowski-Fan sofort. Der Film hat ja keine grosse Handlung, sondern man liebt einfach die Figuren und die Situationen, in denen sie sich befinden. Und jedes Mal, wenn man ihn sieht, zieht es einen wieder von Neuem hinein.

Sie spielen in der neuen Comedy-Serie «Miracle Workers» dieses Jahr auch noch Gott. Was würden Sie als Erstes machen, wenn Sie Gott wären?

Ich würde die Uhr zurückdrehen - gerade so vor die Präsidentschaftswahlen in Amerika. Man fragt mich oft, wie man sich auf diese Rolle vorbereitet. Das kommt wohl darauf an, welche Version von Gott man spielt. Ich spiele die von Serienschöpfer Simon Rich. Dieser Gott ist kindlich, etwas inkompetent und nicht gerade der schlauste Typ im Raum. Er hat ein grosses Herz, aber er ist auch der Boss, den man besser nicht verärgert.

Wen fürchten Sie mehr: Gott oder Stalin?

Stalin ist tot, aber als er am Leben war, vermutlich Stalin. Denn ihn gab es wirklich. Ich will damit nicht sagen, dass es Gott nicht gibt, aber wir sind doch da einfach nicht ganz sicher.

«The Death of Stalin» läuft ab Donnerstag, 12. April 2018, in unseren Kinos.

Siege und Niederlagen der Russischen Armee gestern und heute
Nicht verpassen: 5 Kino-Highlights im April
Zurück zur Startseite