«Dare to dream» Das grosse Gähnen von Tel Aviv

Carlotta Henggeler

19.5.2019

Unglaublicher vierter Platz für Luca Hänni in Tel Aviv. Kommendes Jahr gibt es beim Eurovision Song Contest Gouda und Grachtenfahrten: Duncan Laurence aus den Niederlanden holt sich den Sieg.

Die Gemüsesticks samt Hummus, die Kaltgetränke und die ESC-Tippliste stehen bereit. Das Camp vor dem TV ist für die lange Singsause bestens ausgerüstet. Die Nastüechli-Box für alle Fälle in der Nähe für eventuelle Verzweiflungstränen, war doch schon das #zweite Halbfinale eine Kakophonie der falschen Töne. Schlecht für die Ohren, gut für unseren Hoffnungskandidaten Luca Hänni. Die Buchmacher sehen den Berner Charmeur in der Top 5. Auch Pop-Titan Dieter Bohlen prognostizierte Luca viele Points.

Bilder vom ESC

Keine Paradiesvögel, viel Mainstream: 8 Points

Ist der ESC jedes Jahr eine Freude für Fans von Klamauk und Karnevalskostümen, enttäuscht die «Dare to Dream»-Ausgabe auf der ganzen Linie. Ein paar wenige Exoten ausgeschlossen. So erinnert Cyprus-Sängerin Tamta («Replay») mit ihrem SM-Outfit an Lady Gaga, eine TV-taugliche Version von «50 Shades of Grey». Katerine Duska («Better Love«) aus Griechenland hingegen scheinen direkt aus Uriellas Kleiderschrank zu stammen. Dafür wirkt Australierin Kate Miller-Heidke («Zero Gravity») wie aus einem Walt-Disney-Märchenfilm mit dem Titel «Die Eiskönigin».

Dazwischen ist man froh, hat jemand auf der Fernbedienung die Lautlos-Taste erfunden. So droht weder der Gang zum Ohrenarzt wegen eines Tinnitus, noch zerspringen die edlen Kristallgläser in der Vitrine. Viel Mainstream für die Augen und schlimme Töne auf die Ohren. Fast schon droht sich eine ESC-Lethargie breit zu machen, es sind viele Kandidaten so spannend wie alter Kamillentee. Sogar der Buchmacher-Favorit Niederlande, Duncan Laurence («Arcade»), wirkt an seinem Piano sehr brav. Geduld bringt Rosen, heisst ein altes Sprichwort. Hatari aus Island (Startnummer 17) bringen mit ihrer Brachial-Rock-Nummer «Hatrið mun sigra» Licht am Ende des Koma-Tunnels. 

Kein Wunder: Das kleine Wikinger-Land ist bekannt für schräge Artisten à la Björk. Hatari sind ein Mix aus Rammstein, Kraftwerk und Depeche Mode. Dazu werfen sich die schrillen Kunststudenten in Sadomaso-Kostüme aus dem Sexshop in Reykjavik. So viel Mainstream ist zwar ein Pech für die 200 Millionen Zuschauer, aber ein Glück für Luca Hänni. Der Berner Beau bringt den Saal so richtig zum Beben. Perfekte Choreografie, heisser Elektropop und eine coole Bühnenshow. In Tel Aviv zeigt der Berner mit einer überzeugenden Performance, warum er «DSDS» rockte und Dieter Bohlen ein Fan von ihm ist. Reicht es für ganz an die Spitze?

Die Show: perfektes Handwerk (12 Points)

Stimmige Kandidaten-Einspieler, eine perfekt durchorchestrierte Sendung. Israel weiss, wie man ein TV-Spektakel veranstaltet und Top-Model Bar Refaeli ist die Entdeckung des Abends. Die kecke Blondine macht nicht nur auf Designer-Laufstegen und Fashion-Covers eine gute Figur. Frisch, eloquent und sympathisch führt sie als Co-Moderatorin durch den ESC. So als hätte sie das schon oft getan. Dabei war sie erst einmal Jurorin bei der SAT.1-Castingshow «Million Dollar Shooting Star» 2012. Refaeli könnte «GNTM»-Übermama Heidi Klum eine Lektion in Sachen Moderation erteilen.

Trotz Refaelis Talent, wenn 26 Länder im Rennen sind, wird die laaangeee Punktevergabe zur Odyssee. Da hilft auch Madonnas Mini-Auftritt – mit vielen Misstönen verziert – nicht mehr viel gegen die drohenden Gähnattacken. Nach langem Mitfiebern steht fest: Der grösste Singwettbewerb Europas findet 2020 in den Niederlanden statt. Auf dem zweiten Platz folgt Italien mit Mahmoods Rap «Soldi», gefolgt von Russland mit Sergey Lazarev («Scream»). Hoffentlich haben die ESC-Kandidaten nächstes Jahr mehr Pfeffer als ein milder Gouda. 

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