Lilo Baur hat viele Karrieren: als Schauspielerin in Theater und Film und als Regisseurin für Schauspiel und Oper. Das Bundesamt für Kultur ehrt sie dafür mit dem Schweizer Grand Prix der Darstellenden Künste / Hans Reinhart Ring.
31.10.2024, 17:02
SDA
«Von seiner Leidenschaft leben zu können, ist ein Luxus, es ist unglaublich, dass das möglich ist», sagte Lilo Baur. Diese Leidenschaft verrieten nur schon ihre Mimik und Gestik im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Ob als Schauspielerin oder Regisseurin, die gebürtige Aargauerin arbeitet improvisatorisch, und sie rückt den Körper ins Zentrum. Diese Herangehensweise ist bereits in ihrer Ausbildung angelegt. Sie hat die Internationale Schauspielschule Jacques Lecoq in Paris besucht. Die Institution baut auf dem Körpertheater auf, Improvisation spielt eine zentrale Rolle.
Wesentlich für Lecoqs Arbeitsweise sei die Beobachtung, sagte Baur. «Es ist ein Wecken der Sinne, man muss den Körper beobachten und vor allem analysieren». Wenn sie ein Stück inszeniert, beziehe sie die Schauspielerinnen und Schauspieler mit ein. «Ich gebe den Schauspielern Schlüssel für den Zugang und erarbeite mit ihnen die Figuren und einzelnen Bewegungen», erklärte sie ihre Vorgehensweise.
«Der Geizige» auf dem Bankenplatz Genf
Ein Beispiel dafür ist ihre Inszenierung von Molières «L'Avare» ("Der Geizige") an der Comédie-Française in Paris. Dort arbeitet Baur seit 2010 regelmässig. «L'Avare» aus dem Jahr 1668 wurde 2022 anlässlich des 400. Geburtstags des prägenden französischen Dramatikers und Schauspielers aufgegriffen und steht in der Spielzeit 2024/25 auf dem Spielplan.
«Als ich das Stück erneut las, sagte ich mir: Das ist so aktuell.» In Baurs Interpretation ist die Hauptfigur Harpagon «ein Schweizer Bankier nach dem Zweiten Weltkrieg, der von seiner im Garten versteckten Schatulle besessen ist», schreibt das Theater auf seiner Website. «Ich dachte sofort an Genf, denn dort wird das Geld aus aller Welt aufbewahrt», sagte Baur.
Sie wurde 1958 in Muri im Aargau geboren. Ihre Karriere machte sie vorwiegend im Ausland, erst als Schauspielerin und seit der Jahrtausendwende vorwiegend als Regisseurin. Sie inszeniert aber auch immer wieder in der Schweiz.
Von 1998 bis 2000 war sie Ensemblemitglied der renommierten Londoner Theatergruppe Théâtre de Complicité, mit der sie mehrfach international ausgezeichnet wurde, unter anderem für ihre Hauptrolle in «The Three Lives of Lucie Cabrol» (1994). Das Stück gastierte damals auch in Zürich am Theaterhaus Gessnerallee.
Unmittelbares Theater am Globe
In London hinterliess sie zudem ihre Spuren am Globe Theatre, mit Rollen in «The Honest Whore» oder «Der Kaufmann von Venedig» (beide 1998), oder bei Peter Brook als Gertrud in Shakespeares «Hamlet» (2002/03). Das Globe ist ein Theaterbau aus Shakespeares Zeiten mit Freilichtbühne und, wie damals üblich, grosser Nähe zum Publikum. «Es gab immer eine Interaktion mit dem Publikum», schwärmte Lilo Baur. «Es ist ein sehr unmittelbares und direktes Theater, ein bisschen wie Commedia dell'arte.»
Baur hat aber nicht nur Rollen für die Theaterbühne übernommen, sondern auch in Filmen, beispielsweise in «Vollmond» (1998) von Fredi Murer. 2004 hatte sie einen Kurzauftritt in «Bridget Jones». Oder sie spielte in der Charles Dickens-Verfilmung «Bleak House» (2005) der BBC.
Der Wechsel von der Schauspielerei zur Regie war für Baur ein Wendepunkt in ihrem Leben. 2003 erreichte sie eine Anfrage aus Griechenland. Sie sollte mit dem Theaterregisseur Thomas Moschopoulos zusammenarbeiten. Das Angebot hat sie angenommen.
Seither arbeitet sie vorwiegend als Regisseurin und hat unzählige Stücke inszeniert, etwa «Grimms Märchen» (2009) in Athen, «33 svenimenti» (2008) von Tschechow in Rom oder «Fish Love» (2008) nach Tschechow, das vom Théâtre de Vidy in Lausanne koproduziert wurde.
Oper lässt weniger Freiheit
Neben dem Schauspiel bringt sie Opern auf die Bühne, so etwa «Dido und Aeneas» (2011) des englischen Barockkomponisten Henri Purcell oder das moderne Werk «Ariane et Barbe Bleu» (2012) von Paul Dukas, beide in Dijon. Die spätromantische «Lakmé» von Léo Delibes realisierte sie 2013 an der Opéra de Lausanne und ebenfalls dort 2014 die Oper «Le Pétit Prince» von Michaël Levinas aus dem Jahr 1949.
Zum Unterschied von Schauspiel und Oper sagte sie, dass die Oper weniger Freiheiten lasse. So gebe die Partitur den Rhythmus vor. Eines bleibe aber gleich: «Ob Theater oder Oper, ich beginne immer mit Improvisationen mit den Darstellern». Zudem bezieht sie oft Tänzerinnen und Tänzer mit ein, die die körperliche und rhythmische Dimension der Aufführung betonen: «Ich habe grossen Respekt vor der Musik, ich finde sie sehr wichtig und denke, sie treibt die ganze Bühnenaktion an.»
Für dieses vielfältige Schaffen hat ihr das Bundesamt für Kultur am Donnerstagabend in Zug den Grand Prix der Darstellenden Künste / Hans Reinhart Ring verliehen. Die Auszeichnung ist mit 100'000 Franken dotiert und gilt als renommiertester Schweizer Theaterpreis.
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