Krise bei Victoria's Secret Engel im Sinkflug

Philipp Dahm

18.7.2018

Einst strahlte der Glanz der Victoria's-Secret-Engel himmlisch hell, doch sieht es düster für die Lingerie-Marke aus: Weil der digitale Wandel verschlafen wurde und frische Konzepte fehlen, droht dem Dessous-Hersteller ein höllischer Absturz.

Es war einmal eine amerikanische Dessousmarke, deren Marketingstrategie geradezu märchenhaft funktionierte: Anfang der 90er hatte Victoria's Secret die damals brillante Idee, die besten und bekanntesten Models der Welt zu engagieren, um sie in einer aufwändigen, opulenten Modeschau ihre neuesten Kreationen präsentieren zu lassen.

Die alljährlich durchgeführte Victoria's Secret Fashion Show wurde zu einem Markenzeichen des Lingerie-Herstellers: Supermodels wie Helena Christensen und Tyra Banks liefen 1996 erstmals als Engel über den Laufsteg, ein Jahr später kamen Laetitia Casta und Heidi Klum hinzu. 1999 wurden die Brasilianerinnen Gisele Bündchen und Adriana Lima engagiert, gefolgt von Alessandra Ambrosio und der Tschechin Karolína Kurková. Diese Ikonen der Fashion- und Glamour-Welt strahlten etwas aus – und ihr Glanz spiegelte sich in Victoria's Secret wider.

Marke kaputt

Doch die Zeiten, in denen die TV-Übertragung der jährlichen Show ein breiteres Publikum vor den Fernseher lockte, sind lange vorbei. Und wenn man Randal Konik glaubt, stehen die Engel gar vor einem tiefen Fall. Der Analyst der Jefferies Financial Group hat im Fachmagazin «Business of Fashion» das Unternehmen genauer unter die Lupe genommen. Sein knallhartes Urteil: Für Victoria's Secret heisst es «Game Over». Die Marke sei «kaputt», ätzt der Experte.

Engel im Anflug: 2007 verteilen (von links) Selita Ebanks, Adriana Lima, Alessandra Ambrosio, Heidi Klum und Izabel Goulart in Los Angeles Küsschen.
Engel im Anflug: 2007 verteilen (von links) Selita Ebanks, Adriana Lima, Alessandra Ambrosio, Heidi Klum und Izabel Goulart in Los Angeles Küsschen.
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Bereits im Mai hatte der Investmentbanker auf sinkende Gewinne und einen Aktien-Wertverlust von zehn Prozent hingewiesen. Das miese Ergebnis ist auch für den Mutterfirma L Brands Inc. ein Problem – «Victoria's Secret» und die junge Dessousmarke «Pink» haben im ersten Quartal 2018 rund 60 Prozent des Konzernumsatzes ausgemacht, weiss «Business Insider». Und im Juni geht der Absturz der Engel ungebremst weiter: Konik ist nach einem «massiven Rückgang beim Online-Traffic» und dem «steigenden Verlust von Marktanteilen» alarmiert.

Rabatte fördern Ramsch-Image

Die Gründe für den Absturz sind vielfältig. Lange hatten die Zahlen von «Pink» den Rückgang bei Victoria's Secret kaschiert. Doch seit Konkurrenten wie Aerie jugendliche Käufer abwerben, ist das Problem offensichtlich. «Wirklich schlecht» sei auch das Verkaufskonzept: Die Dessousfirma setzt auch in Zeiten von Online-Handel und Instagram noch auf physische Präsenz, doch immer weniger Kundinnen verirren sich in einen der rund 1200 Läden in Nordamerika. Der Offline-Umsatz sank zuletzt um sechs Prozent, berichtet  «Forbes».

Zusammengefasst: Der Lingerie-Hersteller bekommt schmerzhaft zu spüren, dass der digitale Wandel verschlafen worden ist. Der Aktienwert vom Mutterkonzern L Brands hat sich im laufenden Jahr halbiert. Rabattaktionen konnten den Trend nicht stoppen. Im Gegenteil: Mit Angebote wie 3 for 1 haben die Engel ihrem eigenen himmlischen Image geschadet und sind beim Kunden inzwischern gefühlt auf Ramschniveau gelandet.

Entzauberung des Laufstegs

Nicht zuletzt ist auch der Zeitgeist ein anderer als noch in 90ern oder den Nuller-Jahren: Wenn Adriana Lima früher freimütig berichtete, dass sie in den Tagen vor den Shows bloss Proteindrinks trinke, freuten sich die meisten Zuschauer vielleicht noch über diesen intimen Blick hinter die Laufsteg-Kulissen. Heute weht ein anderer Wind: Magermodels sind passé, Begriffe wie Body Positivity wurden geprägt und eine Modeschau ist in Zeiten von Instagram, YouPorn und Tinder optisch auch nicht mehr so reizvoll wie noch vor zwei Jahrzehnten.

Und nun? Dass den Topmodels von damals und heute das Geld fürs Essen fehlt, steht nicht zu befürchten. Und um L-Brands-CEO Leslie Wexner muss sich auch niemand Sorgen machen: Der 80-Jährige, der sich einer offensiven Online-Strategie beharrlich verweigert, kann dank eines Vermögens von geschätzt knapp sechs Milliarden Dollar etwaige Aktienverluste verkraften.

Und selbst für enttäuschte Kundinen findet sich Trost. Zum einen bei den Konkurrenten der schlingernden Lingerie-Marke und zum anderen in der Bibel. Wie heisst es noch im Matthäus-Evangelium? «Der Engel aber sagte zu den Frauen: Fürchtet euch nicht!»

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