«X Factor»-Siegerin Edita Abdieski meldet sich nach Hirnblutung zurück: «Man hat mir den Kopf aufgeschnitten»

Anna Blume

5.10.2017

2010 gewann Edita Abdieski (32) die deutsche Casting-Show «X Factor» - dann war es lange ruhig um die Bernerin. Jetzt meldet sie sich zurück und erzählt, welche Schrecken sie ausstehen musste und warum sie gezwungen war, abzutauchen.

«Bluewin»: Sie gewannen 2010 die erste Staffel von «X Factor» Deutschland. Wie gings danach weiter?

Edita Abdieski: Ein Jahr nach dem Sieg bei «X Factor» hatte ich eine Hirnblutung. Ich war mit meiner besten Freundin im Fitnessstudio, da bekam ich krasse Kopfschmerzen. Es fing an mit einem kleinen Stich, wurde schlimmer und schlimmer. Das waren Schmerzen! Es stellte sich heraus: Ich hatte ein angeborenes Aneurysma, das man nie entdeckt hatte. Ich habe das mein ganzes Leben mitgetragen und an diesem Tag beim Sport und beim Hanteltraining zu viel Druck ausgeübt – da ist es geplatzt. Die Menschen um mich herum haben richtig und schnell reagiert.

Nämlich?

Ich erinnere mich, dass ich angefangen habe zu fluchen, weil die Schmerzen so stark waren. Sie haben alle gesagt: Wir rufen jetzt den Notruf. Doch das war mir peinlich. Aber sie haben wegen der Kopfschmerzen darauf getippt, dass es etwas mit einer Blutung sein könnte und so konnten auch die Ärzte im Spital schnell handeln.

Was wurde dort mit Ihnen gemacht?

Da gabs noch ein paar Komplikationen. Mir wurden die Haare abrasiert, dann der Kopf aufgeschnitten - anders kann man es nicht sagen -, um die Blutung zu stoppen. Dann machten die Ärzte ihn wieder zu und ich musste ins Koma. Dabei gabs dann Schwierigkeiten, weil es so eine heftige Blutung war und mein Hirn zu viel Druck ausgeübt hat. Mein Kopf wurde zu gross. Also haben sie mir Schädelknochen entnommen, sie eingefroren, so dass mein Hirn Platz zum Atmen hatte.

Das hört sich furchtbar an.

Ja, das war so schlimm, wie es klingt. Vier Wochen später wurden die Knochen wieder eingesetzt. Letztlich hatte ich fünf OPs. Das hat sich über drei Monate gezogen. Heute kann ich sagen: Ich hatte unfassbar viel Glück. Als ich im Koma lag, war die Rede davon, dass das mit dem Sprechen und Laufen wohl nichts mehr wird. Ich konnte nach dem Koma zwar reden, aber laufen musste ich neu lernen. Ich erinnere mich, dass ich am Rollator war, aber viele Momente sind einfach weg.

Haben Sie heute Beeinträchtigungen?

Nein. Ich konnte lange keinen Sport machen, mein Körper war schwach, ich musste wirklich von vorne anfangen. Dabei war ich früher so aktiv, sass selten zwei Minuten still. Aber eigentlich gehts mir gut. Gaby Köster und Monica Lierhaus haben Ähnliches erlebt, ich bin auch beim gleichen Reha-Arzt wie Gaby Köster. In der Reha habe ich gemerkt, wie viel Glück ich hatte. Denn dort fiel mir auf, dass es bei anderen mehr Spuren hinterlassen hat. Da bin ich auf die Welt gekommen, habe realisiert, dass es anders hätte enden können.

Leben Sie Ihr Leben anders als vor diesem Ereignis?

Auf jeden Fall. Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich noch da bin. Und natürlich versucht man, mehr zu geniessen. Mir war von Anfang an wichtig, dass ich normal weiterlebe und mich nicht krank fühlen will. Bei Gigs muss ich aber darauf hinweisen, dass ich seit dem Vorfall Epileptikerin bin und die Veranstalter nicht so viele Stroboli einsetzen. Manches ist auch tabu, zum Beispiel Fussball spielen. Alles, wo mir was auf den Kopf knallen könnte, geht nicht. Wenn ich einen Film gucke und jemand kriegt auf den Schädel, zucke ich zusammen.

Was hat dieser Vorfall mit Ihrer Karriere gemacht?

Der Zeitpunkt war unpraktisch. Viele haben bemängelt, man würde nichts mehr von mir hören und haben gefragt: «Wo warst du denn und warum?» Aber mein Manager und ich haben entschieden: Wir warten, es soll nichts davon an die Medien dringen. Ich bin auf Tauchstation gegangen. Man hat mir ja sogar das Handy und den Rechner weggenommen für sechs Wochen wegen der Strahlen. Das hat mir aber nicht gefehlt. Genausowenig wie das Rauchen, das durfte ich auch nicht mehr.

Rauchen Sie heute?

Ja, dumm eigentlich. Meine Mutter hat geweint, als ich wieder angefangen habe.

Und wie war es, dass die Haare weg mussten?

Das war witzigerweise so egal. Ich durfte sie auch lange nicht waschen wegen der Wunde am Kopf. Ausserdem habe ich sie durch das viele Liegen regelrecht platt gedrückt. Auch das war egal. Dann habe ich häufig versucht, die Wunde mit Frisuren, Tüchern und Haarbändern zu verdecken. Heute kämme ich mir die Strähnen vor die Stirn, denn dort ist eine Narbe geblieben, weil etwas nicht richtig zusammen gewachsen ist. Jeder sagt, das sieht man nicht. Aber ich sehe es.

Sie haben Ihre Mutter erwähnt. Für sie war das sicher auch sehr schlimm.

Ja, ist es bis heute. Als das damals passiert ist, hat mein Management meine ganze Familie aus der Schweiz nach Deutschland einfliegen lassen. Sie waren alle extrem lange bei mir, irgendwann mussten sie natürlich wieder zur Arbeit. Aber meine Mutter ist mir nicht mehr von der Seite gewichen. Für sie war das der Horror-Moment ihres Lebens. Das hat sie geprägt. Seitdem ist sie ständig um mich und meine Geschwister besorgt. Für mich ist das auch das Schlimmste, wenn ich daran denke, dass es den anderen wegen mir so schlecht ging. Damit habe ich noch heute zu kämpfen.

Wie sind Sie dann wieder auf die Beine gekommen?

Mein Wille war das einzige, das mir geblieben ist. Als ich wieder aufgewacht bin, wusste ich sofort, dass ich Musik mache. Ich wollte zurück auf die Bühne, das hat mich wieder auf die Beine gebracht. Ich hatte keine Angst. Natürlich war die zwischendrin da. Hinzu kam, dass ich eine Frontalblutung hatte. Von der sagt man, dass sie die Selbsteinschätzung gefährdet. Man ist noch nicht fit, denkt aber, es geht einem super gut. Das hat mich stark gemacht, weil ich immer dachte: Ich schaffe das. Klar hatte ich ein paar Schwächeanfälle zu Beginn, aber dann gings jeden Tag ein bisschen besser. Weil ich etwas hatte, woran ich glauben konnte.

Das Singen mussten Sie ja wahrscheinlich auch neu lernen?

Das war am Anfang etwas heftiger. Durch die letzte OP waren meine Nerven angeschlagen, vor allem meine Kaunerven. Die Ärzte habe mich ja von einem Ohr bis zum anderen aufgeschnitten, dadurch konnte ich meinen Mund nicht mehr richtig aufmachen. Wenn meine Schwester mir einen Cheeseburger ins Spital gebracht hat, konnte ich ihn kaum essen. Da habe ich dann Panik bekommen wegen des Singens, denn da muss man den Mund natürlich weit aufmachen. Mit einem Osteopathen habe ich das in den Griff gekriegt. Dabei wurden mit Fingern im Mund Muskeln gedehnt - Muskeln, die ich noch nicht kannte. Aber das war das Schlimmste, dass ich immer dachte: Das kommt nicht mehr zurück.

Wann haben Sie gemerkt, dass es sich bessert?

Leider zu früh. Bei der Entlassung hat man mir geraten, noch ein paar Monate zu chillen, denn sonst könnte ich epileptische Anfälle bekommen. Doch mir ist die Decke auf den Kopf gefallen, also habe ich schnell wieder angefangen, Jobs anzunehmen. Das war nicht so gut.

Was ist passiert?

Ein Jahr nach der Entlassung hatte ich einen epileptischen Anfall, seitdem bin ich Epileptikerin.

War jemand bei Ihnen, als das passierte?

Nein, ich war alleine zu Hause. Vorher hatte ich mit Freunden zusammen gewohnt, die auch auf mich aufgepasst haben. Aber ich wollte es dann alleine schaffen. In dieser Nacht bin ich von einem Job in meine eigene Wohnung gekommen und habe nur realisiert, dass ich sehr müde bin. Am nächsten Tag bin ich in einem Blutbad aufgewacht. Ich wusste nicht, was passiert ist. Es stellte sich raus, dass das ein epileptischer Anfall war. Ich kriege keine Schäume, sondern Krampfanfälle und durch das Zucken habe ich mir am Nachttisch die Nase angeschlagen und gebrochen. Seitdem ist das aber nur noch ein Mal passiert, weil ich dummerweise meine Tabletten nicht genommen hatte.

Beeinträchtigt Sie das im normalen Leben?

Nein, ausser, wenn ich auftrete, dann muss ich eben dem Lichtmann Bescheid geben, dass die Stroboli aus sind. Das ist kein Problem, er muss es einfach wissen. Das ist besser für meine Sicherheit.

Hatten Sie in dieser erzwungenen Auszeit denn Existenzängste? Denn Geld verdienen ging ja nicht.

Ich hatte zum Glück noch etwas auf der Seite und von Erspartem gelebt. Es blieb mir nichts anderes übrig, ich hatte auch keine Berufsunfähigkeitsversicherung. Es ging, aber man muss schon gucken. Ich musste viele Jobs absagen.

Und heute: Profitieren Sie noch von ihrem TV-Sieg oder müssen Sie von vorne anfangen?

Beides ein bisschen. Klar hat man noch Anhänger von damals, das ist schön. Es gibt auch neue Fans, die sich freuen, Neues von mir zu hören. Aber ich habe bei der Platte – wie generell in meinem Leben – schon komplett von vorne angefangen, habe beispielsweise alles mitgeschrieben. Also ist es für mich ein Neuanfang.

Können Sie heute von der Musik leben?

Ja, das konnte ich bereits vor «X Factor». Ich bin nach Köln gezogen, weil ich in der Schweiz viel kellnern musste, aber in Deutschland kann man sehr gut von Musik leben. Ich versuche, nicht zu viel zu machen, aber wenn man will, kann man hier jeden Tag als Musiker arbeiten.

Dann ist eine Rückkehr in die Schweiz ausgeschlossen?

Das ist immer ein Kampf. Ich bin noch sehr oft in der Schweiz, eigentlich einmal pro Monat bei meiner Mutter in Bern. Meine engsten Freunde sind dort, meine Mama, Bruder, Schwester. Es ist schwer, weil ich seit viereinhalb Jahren einen Partner habe und den kriege ich aus Köln nicht so schnell weg. Ausser er bekäme in der Schweiz einen super Job – er ist Sportmanager – dann würde er es sich vielleicht überlegen. Ich vermisse die Schweiz auf jeden Fall. Man merkt erst, wenn man wegzieht, was man von einem Land hat.

Beispiele?

Das erste, das ich immer mache, ist das Wasser aus dem Hahn zu trinken. Das ist in Köln nicht so toll. Auch die Luft ist in der Schweiz besser. Und die Pünktlichkeit, mein Gott, nix gegen die Deutschen, aber ich bin auf die Bahn angewiesen, weil ich als Epileptikerin kein Auto fahren darf, und das ist manchmal etwas ätzend.

In welchen Momenten haben Sie Heimweh?

Sehr oft. Ich bin eine typische Bernerin, habe da meinen Freundeskreis und meine Familie und finde es manchmal doof, dass meine Mutter nicht um die Ecke ist und man keinen Kaffee zusammen trinken kann. Mit ihr telefoniere ich täglich, meistens morgens.

Sie haben vor Jahren mal erzählt, Ihre Mutter würde oft nachfragen, ob Sie den richtigen Mann gefunden haben. Ist sie mittlerweile zufrieden?

Jaja, sie liebt ihn viel zu sehr. Es nervt schon fast. Wenn sie nur hört, dass ich mich leicht gestritten habe, untersagt sie mir, meine Wut an ihm auszulassen.

Ist Familienplanung ein Thema?

Auf jeden Fall. Wir wussten schnell, dass wir auch Kinder haben wollen. Ich möchte unbedingt welche, aber nicht unbedingt jetzt. Für ihn könnte es hingegen morgen losgehen. Da muss ich mir immer was anhören. Ich würde aber jetzt gerne ein bisschen Musik machen und nicht hochschwanger auf der Bühne stehen.

Wie haben Sie sich denn kennengelernt?

Bei einer Wohnungsbesichtigung. Ich habe mein Apartment aufgegeben und er kam zur Besichtigung. Damals habe ich schrecklich ausgesehen. Aber es war witzig, er hat sie durch Zufall auch bekommen. Wenn ich ihn dann hinterher dort besucht habe, war das seltsam, plötzlich andere Möbel vorzufinden als meine eigenen. Nach zwei Jahren sind wir zusammen gezogen. In der neuen Wohnung habe ich mich durchgesetzt einrichtungsmässig. Eines habe ich ihm aber zugestanden: Ein Riesenplakat von der deutschen Nationalmannschaft in Rio, das darf er aufhängen. Schliesslich bin ich auch schon lange Fan.

Hängt auch ein Plakat der Schweizer Nati in der Wohnung?

Nein. Natürlich ist die Schweizer Nati mir auch nah. Und dann habe ich ja auch noch Wurzeln in Montenegro – bei internationalen Turnieren liegen also meine Nerven oft blank, weil ich für so viele Teams fiebere.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Es klingt so kitschig, aber ganz ehrlich: Frieden auf Erden. Das meine ich wirklich so. Dass die Menschen ein bisschen aufwachen. Und beruflich gesehen wünsche ich mir, wieder mit eigenen Sachen aufzutreten.

Edita Abdieskis neues Album «On&On» erscheint am 20. Oktober und ist mit ihrer Geschichte durchtränkt.
Edita Abdieskis neues Album «On&On» erscheint am 20. Oktober und ist mit ihrer Geschichte durchtränkt.
Bild: Musikvertrieb
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