Filmkritik«Joker»: Die Herkulesaufgabe des Joaquin Phoenix
Von Tobias Bühlmann
30.9.2019
Joaquin Phoenix schlüpft in die übergrossen Clownschuhe von Nicholson und Ledger. Der Schauspieler liefert in «Joker» seine Interpretation des Anarchisten ab. Kommt er an seine Vorgänger heran?
Jack Nicholson zeichnete 1989 eine karikaturistische Version des wahnsinnigen Gegenspielers von Batman im gleichnamigen Film. Heath Ledger zeigte fast 20 Jahre später eine realitätsnähere Darstellung des Jokers im Nolan-Meisterwerk «The Dark Knight». In beiden Fällen siegte schliesslich der superreiche Rächer im schwarzen Spandex-Anzug.
Irrelevant ist indes die Performance von Jared Leto als lächelnder Psychopath im Antiheldenfilm «Suicide Squad» von 2016 – wohl unter dem selbstauferlegten Druck, an Ledger herankommen zu wollen, scheitert er in allen Belangen.
2019 ist es nun Todd Phillips, der sich nach «Hangover» auf komplettes Neuland begibt und in die Regie-Nachfolge von Tim Burton («Batman») und Christopher Nolan («The Dark Knight») tritt. Er erzählt die Entstehungsgeschichte des Jokers mit Joaquin Phoenix und ohne Batman. Jener steckt buchstäblich noch in Kinderschuhen.
Die Rolle des Jokers wurde nach Heath Ledgers oscargekrönter Performance zum unheiligen Gral unter den Fans – womöglich auch unter den Schauspielern. Ledger hatte sich Joker wie einverleibt.
Doch nun kommt Joaquin Phoenix.
Gotham City, 1981. Die Stadt wird überrannt von Ratten, die die Menschen als Büffet à discrétion anfallen. Arthur Fleck (Phoenix) lebt und leidet in jener Stadt, die von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft geprägt ist, deren Wohlstandsdiskrepanz die Ausmasse des Grand Canyons hat.
Arthur führt eine kümmerliche Existenz: Mit seiner Mutter Penny (Frances Conroy) haust er in einer heruntergekommenen Gegend in einer mickrigen Wohnung mit Wänden so dünn wie Papier. Sein vermeintlich Freude bringender Job als «Miet-Clown» ist gespickt mit gehässigen Kommentaren – und gelegentlich mit Tritten und Faustschlägen – und er bringt nicht annähernd genügend Geld, um seine kranke Mutter zu versorgen.
Arthur ist zudem selbst schwer psychisch krank: Er leidet an Kuru, meint: Seit seiner Kindheit verfällt der längst gebeutelte Mann in Stresssituationen in unkontrollierbares Lachen, das ihm entsetzliche Schmerzen zu bereiten scheint. Seine Mutter spricht ihn darum wohl auch mit einem durchaus liebevollen und doch hämischen Spitznamen an: «Happy». Begleitet wird Kuru allen Übels auch noch von sporadischen Muskelkontraktionen und starkem Gewichtsverlust.
Schaurig authentisch
Joaquin Phoenix hat hier seine Hausaufgaben gemacht. Er hat für die Rolle 23 Kilogramm abgenommen, lässt hier und da ein Zittern einfliessen und verleiht dem herausgepressten Lachen eine unheimliche, sehr persönliche Note. Arthur ist in Therapie, diese wird aber wegen der Sozialleistungskürzungen in Gotham kurzerhand gestrichen – bezeichnend für die elitäre Natur der Bonzen, die sich einen Dreck um die Parasiten der unteren Schicht scheren.
«Bin ich es? Oder wird es da draussen immer verrückter?», fragt Arthur seine Psychiaterin in der letzten Sitzung.
Er spürt die zunehmenden Spannungen in Gotham. Der Graben zwischen Arm und Reich reisst immer mehr auf. Die obere Schicht verpönt ihr ärmeres Gegenstück, und der mental angeschlagene Arthur wird zur Zeitbombe, die im Film unerwartet und gravierend explodiert – alles untermalt von Frank Sinatras «That's life». Im Kontext von «Joker» hinterlässt genau dieses Lied ein mulmiges, schauerliches Gefühl und schafft eine unheimliche und passende Atmosphäre für den einschneidendsten Moment im Leben von Arthur Fleck.
Nebenbei: Robert De Niro spielt auch im Film mit, doch sieht er ziemlich alt aus eingedenk der Phoenix'schen Zauberei auf der Leinwand.
Dessen detailfokussiertes Schauspiel – und allein diese stechend grünen Augen! –, all das schafft unter der Regie des durchaus dramafähigen Todd Phillips den bis anhin düstersten und überzeugendsten Joker. Dass Phoenix sich durch Heath Ledgers Performance hat beeinflussen lassen, blitzt hier und da auf. Niemals aber hat man das Gefühl, es sei eine Kopie – die Ehrerbietung an den verstorbenen Joker-Darsteller gegen Ende des Films ist nur recht und billig.
Diese Charakterstudie über einen Mann, der durch Schicksal und ein missgünstiges Umfeld ins Verderben stürzt, ist brillant düster und schmerzlich. Es riecht nach Oscar im Hause Phoenix.
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