Kolumne am MittagAls Jerry Lewis seine Scham mit ins Grab nahm
Von Fabian Tschamper
10.12.2019
Der Holocaust-Film «The Day The Clown Cried» fand nie den Weg auf die Leinwand – noch sonst wohin. Jerry Lewis schämte sich bis zu seinem Tod für das Werk. Eine Geschichte über emotionale Zerrissenheit.
Jerry Lewis, einer der grossen Entertainer des 20. Jahrhunderts, hatte eine Filmidee, die zum Wendepunkt in seiner Karriere werden sollte. Einen Film zu drehen, den unsereins nicht von ihm erwartet hätte: Die Tragikomödie «The Day The Clown Cried» («Der Tag, an dem der Clown weinte») handelt von einem Clown, der im vom Weltkrieg zerrütteten Deutschland Kinder in Konzentrationslager bringt.
Der Film entstand, doch das Projekt mit Lewis als Regisseur und Hauptdarsteller kulminierte nicht in einer Veröffentlichung – 1972 brachte Lewis es höchstselbst zum Scheitern.
Lewis hat der Vorgang so erschüttert, dass er überhaupt in den 1970er-Jahren keinen Film mehr drehte. Erst Martin Scorseses «King of Comedy» im Jahr 1982 brachte Lewis zurück auf die Leinwand. Und Regie übernahm er erst wieder 1983.
Wie ist das Handeln von Lewis zu erklären? Nie gab er darauf eine Antwort, und er brach mehrfach Interviews ab, wenn jemand nach dem Warum fragte.
Das Eis gebrochen
Erst dem Dokumentarfilmer Eric Friedler ist es 2016 gelungen, Lewis zum Sprechen zu bringen. In der Doku «Der Clown» setzte sich der damals 90-jährige Jerry Lewis tatsächlich hin und erzählte von seiner Scham.
Wie es zu dieser Kehrtwende kommen konnte? Hat sich Friedler auch nicht genau erklären können – er hatte jedoch einen Verdacht: Vielleicht sah Lewis dieses Interview als eine Art Testament an – vielleicht, dachte sich Friedler, war er selbst auch schlicht nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen.
«Ich machte den Fehler und las eine beliebige Seite im Skript. Und ich dachte: ‹Heilige Maria Mutter Gottes›. Ich wollte das Projekt realisieren. Aber ich hatte Angst. Eine Angst, die bis heute niemand versteht», erzählte Lewis. Auch nicht seine Frau oder seine Kinder.
War der Weltkrieg noch zu nahe? Konnte der Film Lewis' Karriere ruinieren? Waren dies die Fragen, die sich Lewis stellte? Man bedenke: Es war ein Film, in dem Kinder zu Hunderten von einem Clown in die «verdammten Öfen» (Lewis) geführt werden. Vielleicht war es einfach das furchtbare Thema – und: Lewis hatte selbst jüdische Wurzeln.
Für die Dreharbeiten zum Film hatte Lewis an verschiedenen Orten recherchiert, an denen die Nazis ihre Zerstörung hinterliessen. Hauptsächlich drehte er in Schweden, «weil er Menschen brauche, die wie Deutsche aussehen». Die Hauptfigur ist Helmut Doork (Lewis), ein deutscher Zirkusclown, der nach abschätzigen Bemerkungen über Hitler im KZ landet. Dort unterhält er die inhaftierten Kinder. Am Ende wird er gezwungen, eine Gruppe von Jungen und Mädchen in die Gaskammer zu führen.
Nach den Dreharbeiten hatte niemand damit gerechnet, dass Lewis so auf seinen Film reagieren würde. Kurzerhand entwendete jener nämlich drei Filmrollen und floh nach Los Angeles – es schien wie eine Kurzschlusshandlung, aber es steckte mehr dahinter. Die Rollen wurden jedenfalls nie mehr gesehen.
Vielleicht ein Akt des Wahnsinns?
Lewis äusserte sich in den folgenden Jahren immer nur spärlich und negativ zu «The Day The Clown Cried». Doch es passierte dies: Während seiner Recherche fand Eric Friedler einen Teil des übrigen Materials inklusive zahlreicher Schlüsselszenen. Und diese Schnipsel und Fragmente machten es möglich, Lewis' Kommentare einzuschätzen.
«Tausendmal habe ich mich gefragt: Wo war die Comedy, wenn der Clown 65 Kinder in eine Gaskammer führt?», erinnert sich Lewis im Interview mit dem deutschen Dokumentarfilmer. Man könne schon einen komischen Film über den Holocaust drehen, aber man müsse unbedingt darauf fokussieren, «dass die Comedy dem Schrecken gerecht wird».
Nach eigenen Aussagen sei Lewis während der Dreharbeiten «bestimmt zwanzigmal zusammengebrochen», er sei so betroffen gewesen von dem Geschehen in dem Film, dass ihm «die Idee entglitten» sei.
Aber nur weil der Film nicht lustig ist, heisst das doch nicht, dass er schlecht ist?
Produktionen über den Holocaust waren erst recht zu jener Zeit ein Wagnis, die filmische Aufarbeitung dieses grauenhaften Kapitels Menschheitsgeschichte hatte noch nicht begonnen.
Man braucht kein grosses Interesse an den Mysterien der Kinogeschichte, um Lewis zu verstehen. Auf einer allgemeineren Ebene geht es um einen Menschen, der einen grossen Neuanfang anstrebt – und dann abstürzt.
«Hat Sie das Thema Holocaust überfordert?», hat Friedler Lewis gefragt.
«Ja.»
Regelmässig gibt es werktags um 11.30 Uhr bei «Bluewin» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.
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