«Es geschah am hellichten Tag» Das Schweizer Verbrechen hinter dem Dürrenmatt-Klassiker

Von Fabian Tschamper

14.9.2019

Heinz Rühmann (rechts) stand beim Film «Es geschah am hellichten Tag»  von 1958 als Protagonist vor der Kamera.
Heinz Rühmann (rechts) stand beim Film «Es geschah am hellichten Tag»  von 1958 als Protagonist vor der Kamera.
Keystone

Friedrich Dürrenmatt erhält 1957 den Auftrag, ein Drehbuch für einen Kinofilm zu schreiben. Die Vorlage war schliesslich ein Kriminalfall, der die Schweiz Jahrzehnte schockiert und aufgewühlt hat.

«Es geschah am hellichten Tag» beschreibt ein Sexualverbrechen an einem kleinen Mädchen. Dies entsprach auch Dürrenmatts Aufgabe – ein Film über einen «Lustmord» an einem Kind. Inspiration fand der Schweizer Schriftsteller dabei im Fall von Hansli Eichenberger von 1949.

Am 20. Mai 1949 kehrt Hansli nicht nach Hause zurück. Seine Mutter hat ihn zuvor einkaufen geschickt: Der fünfjährige Kindergartenschüler aus Altstetten soll ein Kilo Zitronen heimbringen.

Am Tag darauf entdecken Polizeibeamte in einem Wassergraben Hanslis Einkaufstasche. Sie liegt in einer Betonröhre, durch die das Wasser durchfliesst. In der Tasche findet die Polizei auch noch die Unterwäsche des Jungen. Daraufhin wird eine Fahndung eingeleitet.

Tagelang durchkämmen Polizisten die umliegende Wohn- und Gewerbelandschaft. In Rundschreiben werden Liegenschaftbesitzer, deren Mieter, gar Schrebergärtner aufgefordert, jede noch so kleine Veränderung in ihrem Areal zu untersuchen – besonders solle man auf frische Stellen in den Böden achten.



Nach zehn Tagen erfolgloser Suche lässt die Bezirksanwaltschaft ein Plakat drucken: «Vermisst – Belohnung 1000 Franken» steht prominent darauf. Mangels Boulevardzeitungen und Fernsehen lässt die Anwaltschaft das Plakat vielerorts aufhängen. Das Brustbild von Hansli zeigt ihn mit Hosenträgern und einem verschleierten Blick. Der Junge ist 1,19 Meter gross und spricht Zürcher und Glarner Dialekt. Er sei ein «lieber und hübscher» Knabe, heisst es auf dem Plakat.

Des Rätsels keine Lösung

Als bekannt wird, dass am Höschen des Buben Blutspritzer gefunden worden sind, gehen Hunderte Hinweise bei der Polizei ein.

Eine Frau hat kurz nach der Tatzeit ein Auto beobachtet. Bei der Röhre hat es angehalten, und ein Mann ist ausgestiegen. Er wirft ein paar Blicke in das Betongewölbe, wo die Einkaufstasche gefunden werden wird. Mittlere Statur, auf 30 bis 40 Jahre wird sein Alter eingeschätzt – eine vage Angabe und der letzte ernstzunehmende Hinweis auf einen möglichen Täter.

Ein paar Tage später findet die Polizei die gekauften Zitronen mit Migrospackpapier eingewickelt auf einem Feld. Verstreut in einem zwanzig Meter Abstand zueinander sollten diese Früchte den letzten glaubhaften Sachhinweis darstellen: Hansli Eichenberger wird nie gefunden.

Zahlreiche Mutmassungen jedoch bleiben. Wie die «Schweizer Illustrierte» später vermeldete, habe sich ein Mann in die Zürcher Irrenanstalt Burghölzli einweisen lassen. Er sei während der Untersuchung des unlösbaren Falls geisteskrank geworden.

Dürrenmatts Inspiration

Aus Hanslis Fall und einem weiteren, der sich in Winterthur abspielte, zimmert Friedrich Dürrenmatt 1957 das Drehbuch für den Spielfilm «Es geschah am hellichten Tag» zusammen. Heinz Rühmann übernahm dabei die Hauptrolle.

Dürrenmatt konnte sich bei der Geschichte allerdings ein anderes Ende vorstellen und schrieb darum eine zweite Fassung des Stoffs in einem Roman nieder. «Das Versprechen» endet mit einer ausgeklügelten Falle, die der Kommissar dem «Lustmörder» stellt. Auch der Film «The Pledge» mit Jack Nicholson in der Hauptrolle basiert auf Dürrenmatts Drehbuch. Im Hollywood-Streifen wird der Täter abermals nicht gefasst, was den verantwortlichen Kommissar infolge der jahrelangen Suche in Alkohol und Wahn stürzt.

Die Kino-Highlights im September
Zurück zur Startseite