Nach Skandalen Schwieriger Totalumbau: Facebook will jetzt auf Privatsphäre achten

Andrej Sokolow, dpa

1.5.2019

USA, San Jose: Der Vorstandsvorsitzende von Facebook, Mark Zuckerberg, spricht auf der Entwicklerkonferenz F8 im McEnery Convention Center.
USA, San Jose: Der Vorstandsvorsitzende von Facebook, Mark Zuckerberg, spricht auf der Entwicklerkonferenz F8 im McEnery Convention Center.
Bild: Andrej Sokolow/dpa

Facebooks Ruf beim Datenschutz ist mies, das räumt selbst Firmengründer Mark Zuckerberg ein. Doch der Umbau mit Fokus auf die Privatsphäre läuft. Das stellt Facebooks Geschäftsmodell in Frage – und dürfte auch den Kollisionskurs mit Apple verschärfen.

Wer hätte nach den Datenskandalen der vergangenen Jahre gedacht, dass man diesen Satz ausgerechnet von Facebook-Chef Mark Zuckerberg hören wird: «Privatsphäre gibt uns die Freiheit, wir selbst zu sein.» Vom Prügelknaben der Datenschützer und Politiker will Facebook jetzt also zum Vorreiter in Sachen Datenschutz und Privatsphäre werden.

Wie ernst kann das gemeint sein, von einem Unternehmen, dessen milliardenschweres Geschäftsmodell darauf basiert, so viel wie möglich über seine Nutzer zu wissen, und Werbekunden den Zugang zu den passenden Zielgruppen zu verkaufen? Berechtigte Zweifel, räumt selbst Zuckerberg ein. «Wir haben derzeit nicht den besten Ruf, was den Schutz der Privatsphäre angeht, um es freundlich zu formulieren», sagt er bei der Vorstellung der neuen Strategie auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz F8. Der Satz klingt als hätte er ein paar Lacher ernten sollen - doch niemand in dem vollen Saal lacht.

Umbau wohl mehr als Kosmetik

Die Dimension des Umbaus über alle Facebook-Apps hinweg zeugt jedenfalls davon, dass es um viel mehr als Kosmetik geht. Der Chatdienst Messenger wurde von Grund auf erneuert, nicht nur um ihn viel schneller zu machen, sondern auf Komplett-Verschlüsselung umzustellen. Zudem bekommt er einen prominent platzierten Knopf, hinter dem die Kommunikation mit Familie und engen Freunden gebündelt wird. In der Haupt-App von Facebok werden stärker Gruppen hervorgehoben, in denen sich Nutzer nach Interessen organisieren können. Sowas geht nur, wenn eine Armee aus tausenden Software-Entwicklern in Gang gesetzt wurde. Und ein Facebook-Manager nach dem anderen wiederholt Zuckerbergs neues Mantra: «Die Zukunft ist privat.»

Der neue Kurs wirft viele Fragen auf. Zum Beispiel: Wenn Inhalte mit der sogenannten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt sind, so dass nur Absender und Empfänger sie sehen können, wie soll Facebook dann Terrorpropaganda oder Hassrede finden und löschen? Stiehlt sich Facebook damit aus der Verantwortung – und wird die Politik das zulassen? Das Online-Netzwerk wolle ausgiebig unter anderem mit Sicherheitsbehörden über die richtige Vorgehensweise bei diesem Problem beraten, sagt Zuckerberg. In einem Interview der «New York Times» ergänzt er, dass Facebooks Software unerlaubte Aktivitäten zum Teil auch an Datenfluss-Mustern ohne Zugang zu den Inhalten erkennen könne. Das heisst auch: Es gibt noch viele andere Daten, die Facebook sammeln kann, auch wenn Inhalte verschlossen bleiben.

Bei Facebook könnten bis 2070 mehr tote als lebende Nutzer registriert sein.
Bei Facebook könnten bis 2070 mehr tote als lebende Nutzer registriert sein.
Bild: Carsten Rehder/dpa (Symbolbild)

Noch eine andere Frage stellen sich viele Besucher der Entwicklerkonferenz F8: Was bedeutet eine konsequente Umsetzung eines Neuanfang mit dem Fokus auf Privatsphäre für das Geschäftsmodell von Facebook? Werden die öffentlich geteilten Informationen noch ausreichen, um weiterhin zielgenaue Werbeanzeigen zu schalten? Wird sich Facebook neue Geschäftsideen suchen? Ein mögliches Zeichen dafür: Facebooks Online-Flohmarkt Marketplace wird um eine eigene Bezahlfunktion ergänzt. Und auch bei Instagram und WhatsApp soll es mehr Möglichkeiten für kommerzielle Anwendungen geben.

Zuckerberg hat als Facebook-Chef immer wieder fantastische Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Zum Börsengang 2012 schrieben einige Analysten Facebook schon ab, weil Nutzer gerade massenhaft von PCs auf Smartphones abwanderten, für die Facebook noch kein Geschäftsmodell hatte. Doch Facebook fand schnell eine Lösung mit Anzeigen zwischen Newsfeed-Beiträgen – die das Geschäft erst richtig gross machte.

Facebook kaufte Konkurrenten einfach auf

Wenn neue Dienste wie Instagram oder WhatsApp als potenzielle Rivalen in Erscheinung traten, kaufte Facebook sie einfach. Snapchat schlug das Übernahmeangebot aus. Auch kein Problem: Facebook kopierte von Snapchat kurzerhand die populäre «Stories»-Funktion, bei der Nutzer Fotos und Videos ihren Freunden für einen Tag zeigen, und nahm dem Rivalen so den Wind aus den Segeln.

Jetzt zeigen Facebook-Daten, dass die Nutzer verstärkt Chatdienste und «Stories» statt den klassischen Facebook-News - und Zuckerberg steuert den Facebook-Tanker entsprechend um. Der neue Kurs dürfte auch die Spannungen mit Apple verstärken. Denn schliesslich beansprucht der iPhone-Konzern die Rolle des Datenschutz-Champions in der Tech-Industrie schon lange für sich. Mit dem Chatdienst iMessage und dem Telefonie-Angebot FaceTime ist Apple zudem der stärkste Konkurrent für Facebooks Kommunikationsangebote. Man kann sich gut einen eskalierenden Wettstreit der beiden Tech-Supermächte vorstellen, wer die Nutzerdaten am wirksamsten schützen darf.

Facebook bekommt Rückenwind dadurch, dass die Mitglieder dem Online-Netzwerk allen Skandalen und Pannen zum Trotz die Treue halten. Auch in Europa steigen die Nutzerzahlen nach einer zwischenzeitlichen Flaute wieder. Über alle Facebook-Angebote hinweg – zum Konzern gehören auch die Chatdienste WhatsApp und Messenger sowie die Foto-Plattform Instagram – waren 2,7 Milliarden Nutzer aktiv, davon 2,1 Milliarden täglich.

Wie sicher sich Facebook fühlt, demonstriert auch eine bei der F8 vorgestellte Zusatz-Funktion zum neuen Dating-Dienst des Online-Netzwerks. Bei «Secret Crush» (etwa: heimlicher Schwarm) kann man Facebook-Freunde markieren, die man besonders attraktiv findet, ohne es ihnen direkt sagen zu müssen. Erst wenn sie einen auch auf die Liste setzen, wird das beiden offenbart. Facebook geht also weiterhin davon aus, dass die Nutzer auch sehr intime Informationen über sich auf der Plattform preisgeben werden.


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