Analyse Die Lokomotive Apple zieht die Tech-Züge – und bremst sie 

Henning Steier

20.11.2018

Apple-Boss Tim Cook: Gemeinsam im Fahrstuhl nach oben – und nach unten.
Apple-Boss Tim Cook: Gemeinsam im Fahrstuhl nach oben – und nach unten.
Symbolbild: Keystone

Der iPhone-Hersteller hat die Aktien anderer Tech-Giganten mit nach oben getrieben. Die jüngsten Korrekturen kommen daher wenig überraschend  – eine Analyse.

Wer kennt schon Lumentum? Entscheidende Investoren, die Apple-Aktien im Portfolio haben. Denn als sich bei dem Zulieferer vergangene Woche die Ertragsaussichten schlagartig verschlechterten und dafür ein Grosskunde verantwortlich gemacht wurde, litt nicht nur das Papier des Sensorenlieferanten. Apples Aktie verlor auf einen Schlag 50 Milliarden Franken. Das entspricht etwa dem Börsenwert der UBS.

Lumentum liefert Technologie für Face ID, die Gesichtserkennung von iPhones und iPads. Die Prognose wurde als Zeichen gewertet, dass die Nachfrage nach den Apple-Geräten sinken dürfte. Gestützt wurde diese These durch schlechte Aussichten bei den Apple-Zulieferern AMS und IQE. Dann legte gestern das seriöse «Wall Street Journal» nach und berichtete von verringerten Apple-Bestellungen der neuen Smartphones iPhones XS, XS Max und XR. Wohlgemerkt: Offiziell bestätigt wurde der Bericht nicht. Das gilt auch für immer lauter werdende Spekulationen, das eingestellte iPhone X könnte ein Comeback erleben.

Man muss kein Prophet sein, um heute die nächste Verkaufswelle anrollen zu sehen, die mindestens 35 Milliarden Dollar pulverisieren dürfte, wie in der Branche zu vernehmen ist. Denn die wichtigste Bank der Welt hat Apple erneut herabgestuft. Zum zweiten Mal innert einer Woche strich Goldman-Sachs-Analyst Rod Halls Apples Kursziel zusammen, nun von 209 auf 182 Dollar, nachdem er es sechs Tage zuvor von 222 auf 209 Dollar gesenkt hatte.

Toxische Mischung

Alles in allem ergibt das aber eine aus Anlegersicht toxische Mischung, die ausreichte, um auch andere Tech-Aktien in den Sog des Absturzes zu ziehen. Apple, Amazon und Facebook verloren in den vergangene vier Wochen jeweils rund 15 Prozent, die Netflix-Aktie sogar 20 Prozent. Dabei hatte der Streamingdienst unlängst Rekordzahlen präsentiert.

Ist das noch rational, was bei den Tech-Aktien passiert? Klar ist, die Tech-Riesen sind gemeinsam im Aufzug nach oben gefahren und haben Euphorie entfacht. Man sollte sich daran erinnern, dass traditionell gewisse Branchen den ganzen Markt nach oben treiben. Man denke etwa an Energieaktien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder an Papiere von Eisenbahngesellschaften im 19. Jahrhundert. Umgekehrt gilt das natürlich ebenfalls. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Verluste des Dow Jones auch zu sehen.

Nun machen einige grosse Anleger Kasse. Denn manche befürchten offenbar, dass einige der Tech-Giganten ihre fettesten Jahre hinter sich haben. Zur Erinnerung: Netflix zum Beispiel ist ausserhalb der USA nach wie vor nicht profitabel, bei Facebook schrumpft die Nutzung des Social Networks in Europa, Amazon hat hohe Investitionen zu bewältigen und Apple – siehe oben. 

Konjunktur trübt sich ein

Zu beachten ist, dass sich die wirtschaftlichen Aussichten insgesamt verschlechtert haben und die erwähnten Unternehmen in Endkundenmärkten tätig sind, die stark auf konjunkturelle Schwankungen reagieren. 

Nicht vergessen darf man dabei, dass die Aktien immer noch zu Recht relativ hoch (Stichwort: Kurs-Gewinn-Verhältnis) stehen, man aber keine Parallelen zur Dotcom-Krise der Jahrtausendwende ziehen sollte. Denn ein Dutzend IT-Giganten aus den USA wird dieses Jahr jeweils einen zweistelligen Milliardengewinn einfahren. Randnotiz zum Fall Apple. Dem Unternehmen kommt wegen seiner Profitabilität die Rolle einer Lokomotive zu. Es gab immer wieder Berichte über Einbrüche bei der iPhone-Nachfrage. Dem Management ist es aber immer wieder gelungen, die Prognosen zu widerlegen oder die Absatzzahlenrückgänge durch höhere Preise auszugleichen. Dabei bleibt natürlich trotzdem die Frage unbeantwortet, wie nachhaltig das ist.

Parallelen zum Februar

Nicht zuletzt ist die Börse Zyklen unterworfen. So sah man beispielsweise im Februar innert einer Woche Googles Börsenwert um zehn Prozent oder mehr als 80 Milliarden Dollar abschmelzen. Die Börsenkapitalisierung von Facebook sank im selben Zeitraum um 37 Milliarden Dollar oder mehr als sechs Prozent, Netflix-Titel gaben um vier Prozent nach. Echte Gründe waren auch damals schwer zu finden. 

Damals kommentierte James Bateman, Anlagechef bei Fidelity, das Ganze so: «Der Technologiesektor und insbesondere die sogenannten Fang-Aktien wie Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google haben sehr hohe Bewertungen erreicht. Sie unterstellen Geschäftsmodelle, die geradezu perfekt optimiert sind.» Es sei logisch, dass nicht jeder zum Erfolg komme, der sich mit grossem finanziellem Aufwand Marktanteile zusammenkaufe und hoffe, seine Konkurrenten auf Dauer aus dem Markt zu jagen.

Das kann man heute immer noch so sehen.

Update 22:05 Uhr: Apple hat heute 40 Milliarden Dollar an Börsenwert eingebüsst.

Update 23. November: Das iPhone X soll wieder auf den Markt kommen,  

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