Erika Reymond-Hess, die 1987 in Crans-Montana im Slalom und in der Kombination Weltmeisterin wurde, hat sich vor den drei Speed-Rennen im Walliser Skiort Zeit für blue Sport Zeit genommen.
Erika Reymond-Hess, Sie organisieren seit vielen Jahren Volksläufe im alpinen Skisport. Das muss eine Herzenssache sein.
Wir haben vor 27 Jahren damit begonnen, diese Rennen zu organisieren. Für mich ist es immer wieder erfreulich, diese Veranstaltungen auf die Beine stellen zu können. Ich kann auf ein Organisationskomitee zählen, in dem sich viele Leute engagieren, damit diese Rennen so gut wie möglich ablaufen. Zu sehen, wie sich all diese Kinder austoben, wenn sie in einer friedlichen Atmosphäre die Pisten hinuntersausen, macht mir immer sehr viel Freude.
Konnten Sie in all den Jahren dabei einige Talente beobachten, die heute vielleicht beruflich Ski fahren?
Ich hatte das Glück, zukünftige Talente zu sehen. Ich denke da vor allem an Daniel Yule. Es gibt auch noch etwa Delphine Darbellay (C-Kader – d. Red.) Dennoch bleiben es Volksläufe, die für Menschen jeden Alters offen sind.
Die Organisation dieser Wettkämpfe kostet Sie sicherlich einiges an Energie. Haben Sie überhaupt noch Zeit, sich alpinen Skisport im Fernsehen anzusehen?
Wenn ich mich um meine Enkelkinder kümmere, ist es manchmal schwierig, gleich vier Läufe an einem Tag zu sehen. Dennoch schaue ich mir die Rennen gerne im Fernsehen an. Im Slalom oder im Riesenslalom gibt es viele Athleten, die gewinnen können. Das finde ich wirklich toll. In den technischen Disziplinen ist es oft sehr spannend. Das hat man vor allem bei dem fantastischen Sieg von Daniel Yule im Slalom in Chamonix gesehen.
Dieser Winter war von heftigen Stürzen und zahlreichen Verletzungen geprägt. Wie erklären Sie sich diese Häufung an Unfällen?
Bei der Abfahrt in Cortina musste ich meinen Fernseher ausschalten. Zu sehen, wie diese Athleten so heftig stürzen, tut mir im Herzen weh. Allerdings glaube ich nicht, dass man zufällig in diese Situation gekommen ist. Alles begann mit dem Sturz von Alexis Pinturault in Wengen, als er gerade Vater geworden war. Er hatte sicherlich noch viel zu viele Emotionen in sich, um sich voll und ganz auf das Rennen zu konzentrieren. Dann gab es noch den heftigen Abflug von Aleksander Aamodt Kilde, ebenfalls am Lauberhorn. Der Norweger, der vor dem Rennen krank war, war auch nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, als er mehrere lange Abfahrten hintereinander fuhr.
Bei den Damen gab es Mikaela Shiffrin, die höchstwahrscheinlich noch von dem Sturz ihres Freundes Kilde gezeichnet war. Schliesslich könnte die Verletzung von Corinne Suter auch auf die sehr lange Wartezeit zurückzuführen sein, die es nach den Stürzen gab, die diese schreckliche Abfahrt in Cortina überschattet haben. Man kann sich nicht vorstellen, was es erfordert, fast 30 Minuten lang konzentriert zu bleiben. Tatsächlich ist die Konzentration vor einem Rennen ein ganzer Prozess. Das Aufwärmen, die körperlichen und geistigen Übungen, die Konzentration auf die Strecke ... All diese Faktoren haben zu den vielen Stürzen geführt. Man sollte also nicht alles durcheinander bringen!
Was geht im Kopf vor, wenn man noch im Starthaus steht und sieht, wie mehrere Fahrerinnen auf der Strecke schwer stürzen?
Man muss im Kopf kühl bleiben und sich einreden, dass einem das nicht passieren wird, auch wenn eine andere Konkurrentin gestürzt ist. Wie ich bereits erwähnt habe, sind die langen Wartezeiten nach Stürzen nicht gerade hilfreich. Hinzu kommen die sehr harten Pisten sowie die Verbesserung der Ausrüstung, die die Athleten dazu zwingt, enorme Risiken einzugehen. All das erfordert körperliche und geistige Anstrengungen von immenser Intensität.
Wenden wir uns wieder positiveren Dingen zu. Ab Freitag macht der Ski-Zirkus in Crans-Montana Halt. Ein Ort, der bei Ihnen zwangsläufig gute Erinnerungen weckt ...
Ich werde mir am Wochenende die Rennen ansehen. Das ist immer eine gute Gelegenheit, Freunde und die Welt des Skisports wiederzusehen. Ich fühle mich immer sehr gut, wenn ich nach Crans-Montana zurückkehre. Was ich dort erreicht habe, kann mir niemand mehr nehmen. Dieser Ort steht auch für eine unglaubliche Zeit, sowohl für mich als auch für den helvetischen alpinen Skisport im Allgemeinen (Anm. d. Red.: Die Schweiz hatte bei den Weltmeisterschaften 1987 14 Podestplätze errungen).»
Einige Experten sagen, dass sich Lara Gut-Behrami in der Form ihres Lebens befindet. Sind Sie einverstanden mit dieser Analyse?
Das ist absolut richtig. Ich finde, dass Lara Gut-Behrami seit Beginn der Saison sehr gelassen ist. Sie scheint wirklich eine enorme Freude auf ihren Skiern zu haben. Ihr Erfolg ist zum Teil auf ihr aussergewöhnliches Durchhaltevermögen zurückzuführen. Sie hat es geschafft, nach ihren Verletzungen stärker zurückzukommen. Heute gelingt es ihr sehr gut, in ihrer Blase zu bleiben, weil sie sich mit Menschen umgeben hat, die sie zu schützen wissen.
Zum Abschluss das Phänomen Marco Odermatt. Hat der Schweizer Sport mit dem Nidwaldner seinen neuen Roger Federer gefunden?
Federer mit einem anderen Sportler zu vergleichen ist immer kompliziert, da Roger ein echtes Monument ist. Im Vergleich zu Marco Odermatt ist er noch in einer anderen Welt. Marco ist jedoch einfach unglaublich. Er ist zugänglich, begabt und erzielt phänomenale Ergebnisse. Er wird sicherlich einer der besten Skifahrer der Geschichte werden. Für uns Schweizer ist er ein grosser Stolz, eine Ehre.