Kampf um Lufthoheit Kiew will einfach nur Jets – was aber will Moskau?

Von Philipp Dahm

9.3.2022

Die Menschen in Lwiw rüsten sich für den Angriff  

Die Menschen in Lwiw rüsten sich für den Angriff  

Die russische Invasion in der Ukraine schreitet voran, wenn auch nicht so rasch, wie das Russland wohl erwartet hätte. Denn sowohl die ukrainischen Truppen als auch die Bevölkerung leisten Widerstand und bereiten sich auf mögliche Angriffe russischer Truppen vor. So auch die Menschen in der Stadt Lwiw, rund 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt: Männer und Frauen kaufen Waffen, errichten Panzersperren, üben sich im Widerstand. Wünschen würden sich die Menschen nur eines: Frieden.

09.03.2022

Noch hält sich die russische Luftwaffe einigermassen zurück und muss deshalb Verluste hinnehmen. Das könnte sich nun ändern. Kiew ruft derweil nach Mig-29S-Jets – Polen kann aber nicht liefern, weil die USA nicht mitspielen.

Von Philipp Dahm

Der Generalleutnant der russischen Luftwaffe strotzt im vergangenen Sommer vor Selbstbewusstsein: 60 neue Jets sollten bis Ende 2021 beschafft werden, verkündet Sergej Dronow – darunter der Bomber Su-34 und die Jäger Su-30, Su-35 und Su-57.

Doch im Krieg in der Ukraine ist von Moskaus 440 neuen Flugzeugen, die zwischen 2009 und 2020 gekauft wurden, nichts zu sehen: «In den ersten beiden Wochen des Kampfes hat die russische Luftwaffe eine minimale Rolle gespielt», wundert sich «The Economist».

Es stehe ausser Frage, dass sich Moskau zurückhalte: «Schnelle Jets haben nur wenige Einsätze im ukrainischen Luftraum geflogen», wird Justin Bronk vom Think Tank Royal United Services Institute zitiert. «Einzeln oder in Paaren, immer tieffliegend und meistens nachts.»

Luftraum voller Raketen

Die russische Luftwaffe fürchtet offenbar die ukrainische Flugabwehr. Nicht zu Unrecht, wie ein Video aus Kiew nahelegt. Er zeigt angeblich, wie zwei Jets über der Stadt abgeschossen werden, während am Boden Menschen jubeln. Die Flieger sind wohl am 6. März von Mittelstrecken-Raketen getroffen worden, die eine 9K37 Buk abgefeuert hat.

Angeblicher Abschuss zweier russischer Jets am 6. März über Kiew: Eine Rakete trifft ihr Ziel anscheinend direkt, die andere explodiert wohl in dessen Nähe.

Weil der Kreml diese Systeme bisher nicht ausgeschaltet hat, muss die Luftwaffe möglichst tief fliegen. Doch dort lauert jedoch eine andere Gefahr: Unter 3500 Meter bedrohen die aus dem Westen gelieferten Stinger-Raketen die russischen Piloten, wie ein Clip vom 5. März beweisen soll, der angeblich den Abschuss eines Helikopters nahe Kiew zeigt.

Angeblicher Abschuss eines russischen Helikopters am 5. März in der Region Kiew.

Was sich inzwischen zu bestätigen scheint: Der Kreml hat ein Nachschub-Problem. Bei der Luftwaffe spiegelt es sich in der Bewaffnung wider: Selbst wenn moderne Jets wie die Su-34S aufsteigen, tragen sie nur ungelenkte Bomben unter den Flügeln, bemerkt «The Economist». Michael Kofman vom Think Tank CNA hält es aber auch für möglich, dass Moskau seine Präzisionswaffen für später spart.

Ungewisse Abschusszahlen

Wie viele Flugzeuge, Drohnen und Helikopter Russland dank seiner Zurückhaltung verloren hat, ist unklar. Kiew behauptet, bereits 49 Jets, 81 Helikopter und 7 Drohnen vom Himmel geholt zu haben. Der unabhängige und spezialisierte niederländische Blog Oryx hat bisher den Abschuss von 11 Flugzeugen, 11 Helikoptern und 2 Drohnen belegen können.

Des einen Leid, des anderen Freud: Die Abwesenheit der russischen Luftwaffe ist ein Segen für das ukrainische Pendant. Dass Kiew zu dieser Zeit überhaupt noch seine eigenen Flugzeuge starten lassen kann, hätte zu Kriegsbeginn wohl keiner gedacht. Doch während es offenbar genug Piloten gibt, mangelt es an Material, mit dem die Verteidiger auch umgehen können.

Nur drei Nachbarländer verfügen noch über entsprechende Jets vom Typ Mi-29 oder Su-25: Die Slowakei hat 10 Mig-29 AS und 2 doppelsitzige Trainer im Arsenal, die modernisiert worden sind und neben Nato-Munition auch noch jene aus russischem Bestand nutzen kann. Es ist jedoch das einzige Jagdflugzeug der Slowakei. Polen fliegt noch 30 Mig-29S, die ebenfalls auf einen neueren Stand gebracht worden sind – auch wenn sie nicht modern wie die slowakischen sind.

Im Hintergrund lockt die Mig-29: bulgarische und spanische Piloten auf dem Militärflughafen  Graf Ignatievo am 17. Februar im bulgarischen Plowdiw.
Im Hintergrund lockt die Mig-29: bulgarische und spanische Piloten auf dem Militärflughafen  Graf Ignatievo am 17. Februar im bulgarischen Plowdiw.
EPA

Selenskyjs flehende Bitte nach Jets

Die 15 bulgarischen Mig-29 stehen kurz vor der Pensionierung, könnten Kiew aber immer noch helfen – und sei es nur als Ersatzteillager. Neben dem Jäger würde das Erdkampfflugzeug Su-25 der Ukraine gute Dienste leisten: Bulgarien soll noch 14 Exemplare davon haben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Osteuropäer eindringlich gebeten, seinem Land die Jets zu überlassen.

Doch das ist dem Trio angesichts Wladimir Putins Aussagen offenbar zu heiss: Waffenlieferungen von Nato-Staaten könnten den Krieg ausweiten, drohte der Kreml unverhohlen. Um das Problem zu umgehen, hat die Regierung in Warschau auf Washington gesetzt – allerdings ohne sich mit den USA abzusprechen.

Polen hat vorgeschlagen, 28 Mig-29S dem Pentagon zu überlassen, damit dieses sie dann in die Ukraine weiterleitet. Das Kalkül: Wenn Washington die Waffen liefert, wird sich der Kreml nicht trauen, zurückzuschlagen. Im Gegenzug wollte Warschau die Jets mit gebrauchten amerikanischen F-16 ersetzen, die jedoch eigentlich bereits Taiwan versprochen sind.

Warschau überrascht Washington

Dieser diplomatische Schachzug hat das Weisse Haus jedoch auf dem falschen Fuss erwischt, weiss «Politico»: Das Angebot sei demnach völlig unerwartet gekommen. John Kirby, Sprecher des Pentagon, antwortete klipp und klar: «Wir glauben nicht, dass der polnische Vorschlag durchführbar ist.»

Die Idee, die Migs würden von der US-Basis Ramstein in Deutschland starten, um dann in den ukrainischen Luftraum zu fliegen, sei viel zu gefährlich. Eine direkte Lieferung an Kiew schliesst Warschau aber weiterhin aus: Es scheint daher, als könne die ukrainische Luftwaffe keine Hilfe erwarten.

Eine russische Su-35S am 27. Januar während des Manövers in Belarus, das direkt in einen Krieg überging.
Eine russische Su-35S am 27. Januar während des Manövers in Belarus, das direkt in einen Krieg überging.
EPA

Dabei wäre sie jetzt wohl dringender denn je, denn Moskau schaltet bei seiner Luftwaffe womöglich einen Gang höher, berichtet das Fachblatt «Janes»: Demnach fliege Russland nun Sead-Einsätze über der Ukraine. Sead steht für Suppression of Enemy Air Defence, also die Unterdrückung der generischen Flugabwehr durch elektronische Gegenmassnahmen.

Das würden Bilder startender Su-35S Flanker-E belegen, die einerseits mit Raketen bestückt sind, die gegnerische Radaranlagen angreifen. Andererseits seien die Jets mit Luft-Luft-Raketen bewaffnet. Vielleicht macht sich Moskau nun daran, die absolute Lufthoheit anzustreben. Ob das zutrifft, werden die kommenden Tage zeigen.