Rechtsmediziner Hätte sich Diana angeschnallt, wäre sie vermutlich noch am Leben

Von Runa Reinecke

3.1.2020

Diana hätte den Unfall in Paris überlebt, davon ist Richard Shepherd überzeugt.
Diana hätte den Unfall in Paris überlebt, davon ist Richard Shepherd überzeugt.
Bild:  Keystone

In seinem neuen Buch gewährt der Forensiker Richard Shepherd tiefe Einblicke: in die Umstände zu Dianas Tod, in menschliche Abgründe und in sein Innerstes, das durch seinen Beruf schweren Schaden genommen hat.

Obwohl er zum Leben dazugehört – den Tod versuchen wir, soweit uns das möglich ist, «outzusourcen». Und doch gibt es Menschen, die sich beruflich bewusst mit der Vergänglichkeit des menschlichen Seins befassen: Trauerredner, Bestatter oder spezialisierte Ärzte, zu deren Alltag es gehört, Obduktionen an Leichen durchzuführen.

Einer dieser forensischen Mediziner ist der in seiner Heimat Grossbritannien berühmte Dr. Richard Shepherd. Auf der Suche nach Wahrheit und Gewissheit führte er während seiner mehr als 30 Jahre andauernden Karriere etwa 23'000 Autopsien durch: 23'000 mehr oder weniger versehrte Körper. Personen, die eines natürlichen Todes gestorben waren oder durch die Hand eines Widersachers getötet wurden.

Rund 23'000 Fälle, bei denen er die Leiche äusserlich genau begutachtete, das Skalpell ansetzte, Organe entfernte, um deren Gewicht zu protokollieren, Gewebe- und Blutproben für Toxikologie oder Histologie entnahm.

Tempo und Alkoholkonsum

Als Prinzessin Diana und ihr damaliger Lebenspartner Dodi al-Fayed am 31. August 1997 starben, hatte Richard Shepherd keine Rufbereitschaft. Die Obduktion der beiden Toten führte sein Arbeitskollege durch. Vier Jahre später rankten sich immer noch Mythen um das, was in jener Nacht in einem Pariser Tunnel tatsächlich geschah.

Der heute 66-Jährige gehörte damals zu einem Untersuchungskomitee. Es war damit betraut, die Umstände, die zum Tod der ehemaligen Prinzessin von Wales, al-Fayed sowie des Chauffeurs des Mercedes, Henri Paul, führten, aufzuklären.

Der Rechtsmediziner und Autor ist in Grossbritannien eine Berühmtheit. 
Der Rechtsmediziner und Autor ist in Grossbritannien eine Berühmtheit. 
Bild:  riva Verlag 

Vor Gericht sagte Richard Shepherd später aus, dass es sich um «einen einfachen Verkehrsunfall wegen zu hoher Geschwindigkeit im Zusammenhang mit Alkoholkonsum des Chauffeurs» gehandelt habe.

Fehler mit tödlichen Folgen

Besonders tragisch erscheint das Unglück, wenn man sich ein winziges Detail vor Augen führt: Diana war, so hiess es später, noch ansprechbar, als die Rettungskräfte eintrafen. Ihr Bodyguard, Trevor Reese Jones, vermeintlich schwerer verletzt als Diana, wurde mit der ersten Ambulanz ins Spital gebracht, Diana mit der zweiten. 

Ein folgenschwerer Fehler, wie sich später herausstellen sollte. 



Richard Shepherd ist davon überzeugt, dass das ganze Drama durch eine einfache Sicherheitsmassnahme hätte verhindert werden können:

«Wäre Diana angeschnallt gewesen, dann wäre sie vermutlich zwei Tage nach dem Unfall mit einem blauen Auge, vielleicht ein wenig kurzatmig wegen der gebrochenen Rippe und mit einem gebrochenen Arm in der Schlinge aus dem Spital entlassen worden.»

Stichproben am Sonntagsbraten

Werden Shepherds Dienste nicht als Sachverständiger beansprucht, verbringt der Rechtsmediziner viel Zeit am Seziertisch oder wird zu Tatorten gerufen, bei denen er sich einen ersten Überblick über den Zustand einer Leiche und mögliche Tatwerkzeuge verschafft.

Seinen Untersuchungen ist zu verdanken, dass «Unfälle» als Delikte vorsätzlicher Tötung enttarnt, scheinbare Morde als Suizide aufgeklärt und Opfer von Terroranschlägen oder Leichen nach Katastrophen nicht verwechselt und unter falschen Namen beerdigt wurden.

Mit den Jahren entwickelte er ein grosses Interesse an einer Mordwaffe, die besonders häufig eingesetzt wird: dem Messer. Um Einstichtiefe oder exakten Winkel einer Stichverletzung nachzustellen und so den möglichen Tathergang rekonstruieren zu können, musste bei Familie Shepherd immer wieder der Sonntagsbraten herhalten.

Chaos und Verwesung

Richard Shepherd half, herauszufinden, welche britischen Staatsangehörigen bei den Anschlägen von 9/11 ums Leben kamen, und identifizierte Menschen, die auf dem Partyboot «Marchioness» ausgelassen feierten, bis es von einem Baggerschiff gerammt wurde und sank.

Von den 137 Gästen an Bord wurden 51 in die Tiefe der Themse in den Tod gerissen, die meisten von ihnen gab der Fluss erst mehrere Tage später wieder frei. Shepherd kennt das Chaos, den beissenden Gestank verwesender Körperteile, die er in der schwülen Hitze Indonesiens zusammenfügte.



Gut gelaunte Menschen, viele von ihnen kaum älter als zwanzig, die Spass hatten, bis eine Bombe auf Bali ihr Leben in Stücke riss.

Einige der in Richard Shepherds Buch geschilderten Morde entziehen sich jeglichem Vorstellungsvermögen dafür, zu welchen Taten ein Mensch fähig ist. So schildert der Brite zwei Fälle, die er aufgrund der Art der zugefügten Verletzungen ein und demselben Täter zuordnete. Zwei Mütter und ein kleines Kind fielen einem Mörder zum Opfer, dessen Vorgehen an die grässlichen Taten von Jack the Ripper erinnerten.

Unheilvolles Nachspiel

Um den Beruf eines Rechtsmediziners ausüben zu können, bedarf es eines Schalters, den man, wenn es darauf ankommt, umlegen kann, um menschliche Regungen wie Mitleid, Betroffenheit, Trauer, Wut und Ekel auszuschalten. Und dann ist da noch der Druck: zum Beispiel, wenn Richard Shepherd im Kreuzverhör vor Gericht eigene Befunde rechtfertigen musste. Oder dann, wenn er wegen seiner teils ungewöhnlichen Arbeitsmethoden von Angehörigen der Verstorbenen oder der Presse harsch kritisiert wurde.



Der Vater zweier Kinder glaubte über einen On-/Off-Mechanismus zu verfügen. Bis Panikattacken über ihn hereinbrachen. All die schrecklichen Szenen, die er gesehen hatte, all das Grauen, die leblosen Körper, die unerträglichen Gerüche, die ihn immer wieder heimsuchten. «Hunderte von verstümmelten und zerstückelten Leichen an einem Ort», so erzählte Richard Shepherd dem TV-Sender BBC, «das hinterlässt Bilder im Kopf». Und die machten ihn zeitweise sogar arbeitsunfähig.

Besser ging es ihm erst, als er begann, sich intensiv mit sich und seiner Situation auseinanderzusetzen.

Mord, Terror und Katastrophen

In seinem Buch erzählt Richard Shepherd von seinen spannendsten Fällen. «Der mit den Toten spricht» trifft nicht nur den Nerv der Fans von «CSI» oder «Quincy». Das Buch ist auch eine interessante Lektüre für alle, die sich für Fakten jenseits der «lebendigen» Medizin interessieren. In seinen Erzählungen schreckt Richard Shepherd weder vor Schilderungen teilweise schauderhafter Details zurück noch davor, zuzugeben, dass ein solcher Beruf auch bei hochprofessionellen, psychisch stabilen Fachpersonen Spuren hinterlassen kann.

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