Sensationelle Knochenfunde Moderner Mensch lebte 5000 Jahre früher in Europa, als bekannt

dpa/zis

3.2.2024 - 19:25

Neben den Knochen wurden auch neue, bearbeitete Steine entdeckt, die dem Homo sapiens zugeordnet werden können. 
Neben den Knochen wurden auch neue, bearbeitete Steine entdeckt, die dem Homo sapiens zugeordnet werden können. 
sda

Neue Funde in Thüringen zählen zu den frühesten Nachweisen des Homo sapiens in Eurasien. Sie zeichnen ein anderes Bild von der Besiedlung Europas durch den Menschen – und vom Zusammenleben mit dem Neandertaler.

3.2.2024 - 19:25

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  • Ein internationales Forschungsteam hat in einer Höhle in Thüringen uralte Knochen entdeckt.
  • Diese können dem Homo sapiens zugeordnet werden.
  • Auch neu entdeckte bearbeitete Steine zeigen, dass der moderne Mensch viel früher als gedacht in Europa lebte.

Sensationelle Entdeckung eines Forschungsteams: In einer Höhle in Thüringen, Deutschland, entdeckten Forscher Überreste des modernen Menschen. Diese sind rund 45'000 Jahre alt – und bringen bisherige wissenschaftliche Theorien ins Wanken.

Bisher dachte man, dass der moderne Mensch Europa erst vor etwa 40'000 Jahren besiedelte und nur vereinzelt früher auftauchte. Nun aber zeigt sich: Der Homo sapiens besiedelte Mittel- und auch Nordwesteuropa schon deutlich früher als bisher bekannt. Die Funde aus der Ilsenhöhle belegen, dass moderne Menschen dort schon vor mindestens 45'000 Jahren lebten. 

«Die Fundstelle in Ranis erbrachte den Beweis für die erste Ausbreitung von Homo sapiens in die nördlichen Breiten von Europa», sagte Jean-Jacques Hublin, emeritierter Direktor des Leipziger Max-Planck-Instituts, in einer Mitteilung des Instituts. 

Auch neue Steinklingen entdeckt

Zudem zeigen die drei in den Fachjournalen «Nature» und «Nature Ecology & Evolution» veröffentlichten Studien, dass Mensch und Neandertaler über Jahrtausende in Europa koexistierten – möglicherweise sogar mehr als 10'000 Jahre lang.

Neben den Knochen entdeckten die Forscher auch Steinklingen, die für Aufsehen sorgen. So wurden bestimmte, teilweise beidseitig bearbeitete Steinklingen, bisher Neandertalern zugeordnet, die schon viel früher auf dem Kontinent lebten und vor etwa 40'000 Jahren verschwanden.

Die Entdeckung der Klingen bringt diese Theorie nun ins Wanken. «Es ist jetzt sicher, dass Steingeräte, von denen man dachte, dass sie von Neandertalern hergestellt wurden, definitiv von modernen Menschen stammen», so Hublin weiter. 

Höhle nur kurz genutzt

Die unmittelbar unter der Burg Ranis gelegene Ilsenhöhle wurde bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren ausgiebig erforscht. Doch bei Grabungen nach 2016 schürfte das Team nun tiefer – und stiess unter dem eingestürzten Höhlendach auf Tausende zersplitterte Knochenfragmente. Manche davon stammen eindeutig von modernen Menschen, andere von Tieren.

«Die archäozoologischen Untersuchungen zeigen, dass die Höhle in Ranis abwechselnd von Hyänen, überwinternden Höhlenbären und kleinen Menschengruppen genutzt wurde», erklärte Co-Autor Geoff Smith von der englischen Universität Kent. «Obwohl diese Menschen die Höhle nur über kurze Zeiträume nutzten, verzehrten sie Fleisch einer Reihe von Tieren, darunter Rentiere, Wollnashörner und Pferde.»

Anpassung an raue Bedingungen

Isotop-Analysen von Pferdezähnen zeigten, dass in der Region insbesondere vor etwa 44'000 Jahren ein sehr kaltes Kontinentalklima vorherrschte. Damals glich die Gegend einer offenen Steppe wie im heutigen Sibirien. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass selbst diese frühen Homo-sapiens-Gruppen, als sie sich über Eurasien ausbreiteten, schon in der Lage waren, sich an solch raue klimatische Bedingungen anzupassen», sagte Co-Autorin Sarah Pederzani von der Universität La Laguna auf Teneriffa.

«Bisher ging man davon aus, dass die Widerstandsfähigkeit des Menschen gegen kalte Klimabedingungen erst mehrere Tausend Jahre später entstand.» Möglicherweise zogen Menschen auf der Jagd nach grösseren Tierherden sogar gezielt in die kalte Region.

Auch weitere Knochen entdeckt

Vor Kurzem hatten Studien aus der Grotte Mandrin im südfranzösischen Rhone-Tal für Aufsehen gesorgt. Dort hatte ein Forschungsteam Hinweise auf Menschen gefunden, die 54'000 Jahre alt waren. Dies stiess in der Fachwelt zwar auf Zurückhaltung, doch das Team um Hublin schreibt: «Im Falle einer Bestätigung würde dies ein komplexes Mosaikbild für Europa ergeben, mit Gruppen von Neandertalern und Menschen schon vor 55'000 bis vor 45'000 Jahren.»

Unklar ist, ob die frühen Bewohner der Ilsenhöhle dauerhaft in Mitteleuropa lebten oder nur saisonal nach Norden vorstiessen, etwa in Form kleiner mobiler Jagdtrupps. Wie dem auch sei: Spuren im Erbgut heutiger Europäer hinterliessen sie nicht. Die genetische Linie dieser frühen Menschen starb irgendwann aus.

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