Experten warnen vor Massnahmen Was macht Wladimir Putin nach der Wahl?

dpa/dmu

17.3.2024

Der russische Präsident Wladimir Putin hat bei der Wahl ums Präsidentenamt keine ernsthafte Konkurrenz.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat bei der Wahl ums Präsidentenamt keine ernsthafte Konkurrenz.
Archivbild: Keystone

Dass der russische Präsident im Amt bestätigt wird, gilt als sicher. Was kommt danach? Viele erwarten unpopuläre Entscheidungen, die sich Putin für die Zeit nach dem Wahltag aufspart.

dpa/dmu

17.3.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Dass Wladimir Putin bei der derzeitigen Wahl als Präsident Russlands bestätigt wird, gilt als gesetzt.
  • Experten warnen davor, dass der Kremlchef mehrere unpopuläre Entscheidungen für die Zeit nach den Wahlen aufgespart hat.
  • In erster Linie dürften weitere Ressourcen für den Krieg gegen die Ukraine mobilisiert werden.

Die Wahl in Russland bietet nur wenig dramatische Spannung: Klar ist, dass Präsident Wladimir Putin auf eine weitere sechsjährige Amtszeit zusteuert. Was er nach dem Wahlsieg tut, ist eher die spannende Frage – Beobachter blicken mit Sorge auf die kommende Zeit.

«Die Präsidentschaftswahl in Russland ist nicht so wichtig wie das, was danach kommt», erklärt Politikexperte Bryn Rosenfeld von der Cornell University in Ithaca im US-Staat New York in einem Kommentar. «Putin hat unpopuläre Massnahmen oft bis nach den Wahlen aufgeschoben.»

Mit einer Bestätigung könnte Putin bis 2030 im Amt bleiben. Dann hätte er Russland volle drei Jahrzehnte als Präsident oder Ministerpräsident regiert. In Kombination mit der Unterdrückung von Opposition und Kritik ist die Machtfülle enorm. Putins Position wird aktuell noch gestärkt durch die überraschende Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft, die diese den weitreichenden westlichen Sanktionen nach dem Einmarsch in die Ukraine entgegengesetzt hat. Auch die Erfolge an der Front im Angriffskrieg gegen die Ukraine in den vergangenen Monaten spielen Putin in die Hände.

Ressourcen für Krieg mobilisieren

Der wohl unpopulärste Schritt wäre die Anordnung einer zweiten Mobilmachung für den Kampf gegen die Ukraine. Die erste Mobilisierung im September 2022 hatte Proteste ausgelöst und viele Russen in die Flucht getrieben, um einer Einberufung zu entgehen.

«Die russische Führung spricht jetzt von einer ‹Konsolidierung der gesamten russischen Gesellschaft um ihre Verteidigungsbedürfnisse herum›», sagt Brian Michael Jenkins von der Denkfabrik Rand Corporation. «Was genau mit dieser Formulierung gemeint ist, ist nicht ganz klar, aber sie deutet darauf hin, dass die russische Führung verstanden hat, dass der von Putin beschriebene Krieg noch lange andauern wird und deshalb Ressourcen mobilisiert werden müssen», erklärt er. «Mit anderen Worten: Die russische Gesellschaft muss für einen fortwährenden Krieg organisiert werden.»

Tatiana Stanovaya vom Carnegie Russia Eurasia Center geht allerdings davon aus, dass Putin gar keine weitere Mobilisierung brauche. Das liege einerseits daran, dass sich viele aus ärmeren Regionen zum Kampf meldeten, um einen Sold zu erhalten, der deutlich über ihren jetzigen Einkünften liege. Andererseits könne Putins gezeigte Zuversicht, dass sich der Krieg zu Russlands Gunsten wende, ihn veranlassen, auf eine Beilegung am Verhandlungstisch zu bestehen – was für die Ukraine in Wirklichkeit Kapitulation bedeuten solle.

Die Nato als Papiertiger entlarven

Mit Blick auf die Nato könnte der russische Präsident möglicherweise darauf zielen, die Entschlossenheit des westlichen Verteidigungsbündnisses auf die Probe zu stellen, lautet eine weitere Einschätzung von Beobachtern. Alexandra Vacroux vom Davis-Zentrum für Russlandstudien an der Universität Harvard geht davon aus, dass Putin innerhalb der kommenden Jahre einen Versuch startet, den Bündnisfall nach Artikel 5 zu provozieren. Dieser besagt, dass ein bewaffneter Angriff auf ein Mitglied als Angriff gegen alle angesehen wird.

«Ich glaube nicht, dass Putin glaubt, dass er physisch und militärisch stärker sein muss als alle anderen Länder», sagt Vacroux. «Er muss nur dafür sorgen, dass sie schwächer und zerrissener sind.» Die Frage, die sich für ihn stelle, sei also eher: Wie kann ich alle anderen schwächer machen? «Um das zu erreichen, muss man eine Situation finden, in der man Artikel 5 testen kann», erklärt sie.

Wenn dann die Reaktion schwach oder unsicher sei, «dann hat man gezeigt, dass die Nato nur ein Papiertiger ist», sagt Vacroux. Das könnte auch ohne direkte militärische Konfrontation geschehen: Eine Frage sei etwa, welche Art von Cyberangriff eine Angriffsdrohung darstelle.Zuhause in Russland werden weitere Repressionen für Opposition und Kritiker befürchtet. Dabei forciere weniger Putin selbst solche Massnahmen, meint Carnegie-Expertin Stanovaya. Vielmehr heisse er die anderer gut, die in vorauseilendem Gehorsam für ihn ersonnen würden.

LGBTQ+-Bewegung im Visier

«Viele Akteure versuchen zu überleben und sich anzupassen, und sie konkurrieren miteinander und haben oft widersprüchliche Interessen», erklärt Stanovaya. «Sie versuchen alle gleichzeitig, ihre eigenen Prioritäten und die Stabilität des Regimes zu sichern.»

Ben Noble vom University College in London sieht beispielsweise die – als «extremistisch» eingestufte - LGBTQ+-Bewegung im Visier weiterer Repressionen in der nächsten Amtszeit Putins. Sie könne gut als «Import aus dem dekadenten Westen» angegriffen werden.