Politik Entsetzen über Angriff auf Geburtsklinik – Russland dementiert

SDA

10.3.2022 - 16:51

Ein Freiwilliger geht am Mittwoch durch eine, durch einen Angriff beschädigte, Geburtsklinik in Mariupol. Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa
Ein Freiwilliger geht am Mittwoch durch eine, durch einen Angriff beschädigte, Geburtsklinik in Mariupol. Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa
Keystone

Nachrichten aus dem Krieg sind oft schrecklich, doch der russische Angriff auf das Gebäude einer Geburtsklinik in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol hat international besonders grosses Entsetzen ausgelöst.

«Es gibt wenige Dinge, die verkommener sind, als die Verletzlichen und Hilflosen ins Visier zu nehmen», schrieb der britische Premierminister Boris Johnson am Mittwochabend bei Twitter. Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, sprach von «barbarischer Anwendung militärischer Gewalt gegen Zivilisten». Moskau weist die ukrainische Darstellung entschieden als Falschmeldung zurück.

Das Gebäude wurde offenbar am Mittwoch beschossen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berichtete von 3 getöteten Zivilisten und 17 Verletzten.

Russland habe bereits am 7. März die Vereinten Nationen informiert, dass in der ehemaligen Klinik kein medizinisches Personal mehr sei, sondern ein Lager ultraradikaler Kämpfer des ukrainischen Bataillons Asow, sagte dagegen Russlands Aussenminister Sergej Lawrow am Donnerstag in Antalya nach Gesprächen mit seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba. Er sprach von einer «Manipulation» der gesamten Welt mit Informationen zu mutmasslichen Gräueltaten der russischen Armee.

Selenskyj wies Lawrows Vorwürfe zurück: «Die Russen wurden (im Fernsehen) damit belogen, dass angeblich in dem Krankenhaus keine Patienten und in dem Geburtshaus keine Frauen und Kinder waren», sagte der Staatschef in einer Videobotschaft. Das sei alles eine «Lüge».

Tatsächlich hatte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja am Montag vor dem UN-Sicherheitsrat mit Blick auf Mariupol gesagt: «Wir stellen fest, dass die ukrainischen Radikalen von Tag zu Tag deutlicher ihr wahres Gesicht zeigen. Die Anwohner sagen, dass sie das Personal einer Entbindungsklinik vertrieben und dann in dieser Klinik einen Ort zum Schiessen errichtet hätten.»

Zum Ärger Moskaus twitterte UN-Generalsekretär António Guterres trotzdem am Mittwoch: «Der heutige Angriff auf ein Krankenhaus in Mariupol, Ukraine, wo sich Entbindungs- und Kinderstationen befinden, ist entsetzlich.» Bei dieser Darstellung blieben die Vereinten Nationen auch am Donnerstag: Die Informationen für den Tweet von Guterres beruhten auf eigenen Informationen der UN, sagte Sprecher Stephane Dujarric der Nachrichtenagentur dpa. «Wir stehen zu dem, was wir gesagt haben.»

Der Kreml in Moskau kündigte eine Untersuchung an. «Wir werden unser Militär fragen, weil wir keine genauen Informationen darüber haben, was dort passiert ist», sagte Sprecher Dmitri Peskow. Und Aussenminister Lawrow behauptete: «In diesem Entbindungsheim (...) gibt es seit langem keine Frauen, keine Kinder, keine Pfleger mehr.»

Unterdessen kursieren in sozialen Netzwerken vor allem zwei Bilder: Das eine zeigt eine hochschwangere Frau auf einer Treppe voller Schutt, sie trägt einen gepunkteten Jogginganzug, im Brustbereich ist ein Teddybär aufgenäht, in ihrem Gesicht klebt Blut. Das zweite Bild zeigt eine offenbar ebenfalls schwangere Frau, die auf einer Liege durch Trümmer getragen wird.

Beide Aufnahmen stammen laut ukrainischer Darstellung von dem Gelände des betroffenen Entbindungsheims. Eine Druckwelle soll Scheiben, Möbel und Türen zerstört haben. Präsident Selenskyj veröffentlichte am Mittwochabend selbst ein Video, dass völlig verwüstete Räume der Klinik zeigen soll. «Menschen, Kinder sind unter den Trümmern», schrieb Selenskyj dazu.

Die unterschiedlichen Angaben beider Seiten liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer wird seit mehreren Tagen von russischen Truppen belagert. Zuletzt scheiterten mehrere Versuche, Zivilisten zu evakuieren. Die humanitäre Lage ist Beobachtern zufolge katastrophal.

Es wird befürchtet, dass die Lage in Mariupol durch die russische Belagerung letztendlich so dramatisch werden könnte wie einst in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny und im syrischen Aleppo. «Ich denke, was man in Mariupol vorfinden wird, wenn der Krieg vorbei ist, wird schrecklich sein», sagte der französische Aussenminister Jean-Yves Le Drian kürzlich. Auch der Chef der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Kenneth Roth, zog bereits die Parallele zu Aleppo und Grosny.

Ungeachtet der wiederholten Beteuerungen aus Moskau, nicht gezielt Zivilisten anzugreifen, meldete Mariupol am Donnerstag einen erneuten Beschuss von Wohngebieten. Nach Angaben der lokalen Behörden wurden mehrere Bomben abgeworfen. Auch das liess sich zunächst nicht überprüfen. «Die Zerstörung ist enorm», teilte der Stadtrat von Mariupol mit.

SDA