Pulverfass Balkan Serbien rasselt an der Grenze zum Kosovo mit dem Säbel

Von Andreas Fischer

27.12.2022

«Grund zur Besorgnis» – Spannungen im Nord-Kosovo verschärfen sich

«Grund zur Besorgnis» – Spannungen im Nord-Kosovo verschärfen sich

STORY: Im Norden des Kosovo spitzt sich die Lage zwischen Serben und albanischen Kosovaren weiter zu. In der ethnisch geteilten Stadt Mitrovica errichteten Serben am Dienstag neue Strassensperren und forderten die Freilassung eines verhafteten Ex-Polizisten. Die serbische Regierung hatte mitgeteilt, die Armee nach wochenlangen Spannungen mit der kosovarischen Regierung in Pristina in höchste Alarmbereitschaft versetzt zu haben. Der serbische Verteidigungsminister Milos Vucevic besuchte am Montag Soldaten an der Grenze zum Kosovo. Es gebe keinen Grund zur Panik, aber Grund zur Besorgnis, so das Verteidigungsministerium in Belgrad. Präsident Aleksandar Vucic sei überzeugt, dass das Kosovo einen Angriff auf die Serben in der Region vorbereite und die Barrikaden gewaltsam entfernen wolle. Im nördlichen Teil des mehrheitlich albanischen Kosovo leben rund 50.000 Serben. Sie weigern sich seit Jahren, die Regierung in Pristina oder den Kosovo als Staat anzuerkennen. Sie werden dabei von Serbien unterstützt, von dem sich das Kosovo 2008 unabhängig erklärt hatte.

27.12.2022

Die Lage im Kosovo spitzt sich zu. Militante Serben blockieren nun eine grössere Stadt, und nicht nur die Rhetorik wird kriegerischer. Explodiert das Pulverfass auf dem Balkan? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Andreas Fischer

Die ethnischen Konflikte im Norden Kosovos nehmen immer grössere Ausmasse an. Nachdem Serben bereits seit Anfang Dezember Blockaden auf den Strassen in Richtung Grenze errichteten und es vereinzelt zu Schusswechseln kam, werden nun auch in der geteilten Stadt Mitrovica, in der sowohl Serben als auch ethnische Albaner leben, Strassen blockiert. Militante Serben versperren seit Dienstagmorgen mit beladenen Lastwagen die Zugänge zu einem von Bosniaken bewohnten Viertel.

Wegen der aktuellen Spannungen im Kosovo hat die serbische Regierung die Armee bereits am Montag in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Präsident Aleksandar Vucic habe «höchste Kampfbereitschaft» angeordnet, erklärte der serbische Verteidigungsminister Milos Vucevic. Schon zuvor war Armeechef Milan Mojsilovic angesichts der «komplizierten Lage» von Vucic an die Grenze zum Kosovo entsandt worden.

Angesichts der neuerlichen Eskalation wächst die Befürchtung, dass die Situation auf dem Balkan ausser Kontrolle gerät – zumal Serbien die rhetorische Rechtfertigung für einen Einmarsch in den Kosovo schafft und behauptet, die kosovarische Regierung würde einen Angriff auf die Serben im Norden des Kosovo vorbereiten.

Hier sind Antworten auf die wichtigsten Fragen zur unübersichtlichen und angespannten Lage auf dem Westbalkan.

Warum kehrt im Kosovo keine Ruhe ein?

Das Kosovo mit seiner mehrheitlich albanischen Bevölkerung hatte im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt, wird aber von Belgrad bis heute als abtrünniges Gebiet betrachtet. Beide Länder lieferten sich noch vor wenigen Jahren einen blutigen Krieg.

Trotz Dialogversuchen vor allem seitens der EU geraten beide Parteien immer wieder in Konflikte. Belgrad bestärkt die serbische Minderheit im Norden des Kosovo bei ihren Versuchen, sich der Autorität Pristinas zu widersetzen.

Worum geht es im aktuellen Kosovo-Konflikt?

Anfang Dezember haben die Spannungen an der Grenze des Kosovo zu Serbien merklich zugenommen. Hintergrund waren Pläne der Regierung in Pristina, für den 18. Dezember Kommunalwahlen in den mehrheitlich von Serben bewohnten Gebieten anzusetzen.

Die wichtigste Serben-Partei im Kosovo kündigte umgehend ihren Boykott an. Als die Wahlbehörden Anfang der Woche mit den Vorbereitungen beginnen wollten, kam es unter anderem zu nächtlichen Schüsse auf Polizisten und einem Angriff mit einer Blendgranate auf Einsatzkräfte der EU-Mission Eulex.

Aus Protest gegen die Festnahme eines ehemaligen serbischen Polizisten versammelten sich daraufhin Hunderte von Serben und legten mit selbst errichteten Strassenbarrikaden den Verkehr an zwei Grenzübergängen nach Serbien lahm.

Kurz nach Errichtung der Strassensperren verschob Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani die Wahlen auf den 23. April – eine Entscheidung, die von den Botschaften Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Grossbritanniens und der USA sowie von der EU-Vertretung als «konstruktiver Beitrag» zu einer Stabilisierung der Lage im Nordkosovo begrüsst wurde.

Kann aus dem Konflikt ein Krieg werden?

Serbiens Regierungschefin Ana Brnabic hat angesichts wachsender Spannungen im Norden des Kosovo bereits vor einer Woche vor einer Eskalation gewarnt. «Wir sind wirklich am Rande bewaffneter Konflikte», sagte sie am 21. Dezember in Belgrad.

Auch Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti wählt scharfe Worte: «Serbien droht dem Kosovo seit einigen Tagen mit Aggression», schrieb er bei Facebook. «Wir wollen keinen Konflikt, wir wollen Frieden und Fortschritt. Aber wir werden mit aller Macht, die wir haben, auf Aggression reagieren.»

Trotz der verschärften Rhetorik dürfte ein Krieg unwahrscheinlich sein. Sollte Serbien in den Kosovo einmarschieren, würde dies automatisch zu einem Zusammenstoss mit den etwa 4000 Soldaten der KFOR-Friedenmission führen, die seit 1999 in dem Land stationiert ist.

Wie reagiert die Schweiz auf den Konflikt?

Die Schweiz unterstütze die Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo, schreibt das Eidgenössische Departement des Äusseren (EDA). Das EDA sei «besorgt über die zunehmenden Spannungen» und fordere «beide Parteien auf, unverzüglich Massnahmen zu ergreifen, die zur Deeskalation der Situation führen können».

Die Schweizer Armee beteiligt sich mit dem 195 Mann starken Verband Swisscoy im Auftrag des UNO-Sicherheitsrats an der KFOR-Mission im Kosovo. Die Beteiligung an den Friedenstruppen sei wichtig, um für Sicherheit und Stabilität in der Region zu sorgen, heisst es beim EDA. Nicht zuletzt, weil rund 400'000 Menschen aus dieser Region in der Schweiz leben.

Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa und AP.

Jetzt blockieren Lastwagen auch in der Stadt Mitrovica Strassen. Gleichzeitig wurde die serbische Armee in höchste Alarmbereitschaft versetzt.
Jetzt blockieren Lastwagen auch in der Stadt Mitrovica Strassen. Gleichzeitig wurde die serbische Armee in höchste Alarmbereitschaft versetzt.
AP