US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Taiwan gelandet
Ungeachtet chinesischer Warnungen ist die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nach Taiwan gereist. Die US-Spitzenpolitikerin ist am Dienstagabend in der Hauptstadt Taipeh gelandet.
02.08.2022
Nancy Pelosi hat es getan: Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und damit dritthöchste US-Politikerin ist in Taiwan zu einem Besuch eingetroffen – trotz Drohkulisse aus China. Droht nun die Eskalation? Thomas Jäger, Experte für chinesische Aussenpolitik, schätzt die Lage ein.
China fühlt sich durch den Besuch Nancy Pelosis klar angegriffen, kommt das einer Demütigung gleich?
Eine Demütigung würde ich es nicht nennen, aber es ist aus chinesischer Sicht eine klare Provokation. Normalerweise würde es niemand interessieren, wo Nancy Pelosi hinfährt. Und auch Besuche von hochrangigen Politikern in Taiwan sind keine Seltenheit. Seine besondere Schärfe erhält dieser Besuch jedoch wegen seines Zeitpunkts: In den nächsten Wochen werden in China die Gespräche stattfinden, die dafür sorgen sollen, dass Präsident Xi Jinping eine dritte Amtszeit antreten kann. Das ist ungewöhnlich, weil seine Vorgänger immer nach zwei Amtszeiten ausschieden. Um sein Ziel zu erreichen, darf Xi darum in keiner Weise schwach dastehen.
«Sie hatten drei Monate Zeit, um einen Grund zu finden, warum Pelosi Taiwan nicht besuchen kann.»
Thomas Jäger
Aussenpolitik-Professor an der Uni Köln
Seine dritte Amtszeit ist doch gesichert?
Ja, aber innenpolitisch steht der Präsident stark unter Druck. Das Wirtschaftswachstum ist niedrig, die Zero-Covid-Politik ist gescheitert, die Jugendarbeitslosigkeit ist mit fast 20 Prozent sehr hoch und der Immobilienmarkt eingebrochen, um nur einige Beispiele zu nennen. Darum braucht er diesen Moment, wo er immerhin aussenpolitisch stark erscheinen kann. Das hilft ihm, seine Linie auch personell in der Partei durchzudrücken. Auch deshalb wird der Besuch von der chinesischen Seite auch so hoch gehängt.
Sowohl das US-Militär als auch US-Präsident Joe Biden haben Pelosi von der Reise abgeraten. Warum ist sie nun doch unterwegs?
Es ist ein Mysterium, warum diese Reise zwischen Pelosi und der Administration zuvor nicht klarer abgesprochen wurde. Eigentlich hätte die Reise im April stattfinden sollen (Anmerkung der Redaktion: Pelosi musste die Reise wegen einer Corona-Erkrankung verschieben). Sie hatten also drei Monate Zeit, um einen Grund zu finden, warum Pelosi Taiwan nicht besuchen kann. Eine mögliche Erklärung, warum die Intervention des State Departements ausblieb ist wohl, dass die Aufmerksamkeit woanders lag. Aber vielleicht ist es auch anders und Pelosis Besuch ist eine Art diplomatische Abschreckung, um zu zeigen, dass den USA Taiwan wichtig ist.
«Grundsätzlich sind beide Seiten nicht an einer Eskalation interessiert.»
Hätte der Besuch im April stattgefunden, wäre das Eskalationsrisiko also noch nicht so hoch gewesen?
Damals hatte der chinesische Aussenminister zwar schon von einer Provokation gesprochen, jedoch wurde der Besuch nicht so hoch gehängt. Jetzt vermitteln beide Seiten den Eindruck, dass sie gerüstet seien, auf militärische Provokationen zu reagieren. Das ist eine äusserst gefährliche Lage. Wenn das Militär von zwei solch hochgerüsteten Nationen in irgendeiner Weise aufeinandertrifft, braucht es sehr viel Professionalität, damit die Situation nicht ausser Kontrolle gerät.
Wie wird der Besuch das Verhältnis USA–China prägen?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder dieser Besuch ist ein Funke, der direkt eine Konfrontation auslöst. Das ist nicht ganz ausgeschlossen. Oder man wird in drei Tagen nicht mehr darüber reden. Dann werden sich bald nur noch Historiker mit dem Ereignis befassen.
Thomas Jäger
Der Politikwissenschaftler ist seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Aussenpolitik an der Universität Köln. Seine Forschung fokussiert sich auf internationale Beziehungen sowie amerikanische und deutsche Aussenpolitik.
Denn grundsätzlich sind beide Seiten nicht an einer Eskalation interessiert. Die amerikanische Administration hat dies schon im Vorfeld zu erkennen gegeben, als sie Pelosi öffentlich vom Besuch abriet. China muss zwar eine kraftvolle Antwort geben, aber das kann auch nur durch Bilder und Propaganda geschehen. Denn China ist an stabilen internationalen Beziehungen interessiert. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass die Einnahme Taiwans das wichtigste Ziel ist, welches China in territorialer Hinsicht verfolgt.
Wie steht es um Taiwan selbst: Drohen der Insel Sanktionen?
Taiwan ist in der unkomfortablen Lage, dass China gleichzeitig ihr wichtigster Handelspartner und ihre grösste Bedrohung ausmacht. China hat also die Möglichkeit, hier Sanktionen zu setzen, insbesondere wenn die Berichte stimmen, dass China zunehmend in der Lage ist, Microchips selbst herzustellen, die sie bis anhin vor allem in Taiwan bezog.
Ich glaube aber, dass die chinesische Führung das Wirtschaftswachstum höher gewichtet und es darum bei symbolischen Sanktionen belassen wird, die dann propagandistisch nach Innen eingesetzt werden können.
US-Präsident Joe Biden konnte heute mit der Tötung des Al-Qaida-Anführers durch eine US-Drohne einen grossen Triumph verkünden: Wird dieser Erfolg von Pelosis Taiwan-Besuch überschattet?
Normalerweise wäre diese Tötung die Nachricht des Tages gewesen, jetzt ist es nur die zweite Nachricht. Aber in den amerikanischen Medien wurde prominent darüber berichtet. Das gibt dem Präsidenten eine kurze Reputationsunterstützung. . An seiner Unbeliebtheit in den USA wird das langfristig jedoch nichts ändern. Solange die Inflation hoch bleibt, lassen sich Bidens schwache Zustimmungswerte nicht aufhellen.