Kolumne Hunde sind wie Kinder – oder doch nicht?

Von Michelle de Oliveira

11.5.2024

«Meine zwei- und vierbeinigen Kinder sind das Beste auf der Welt»: Michelle de Oliveira.
«Meine zwei- und vierbeinigen Kinder sind das Beste auf der Welt»: Michelle de Oliveira.
Bild: Privat

Seit einigen Monaten hat die Kolumnistin einen Hund. Und muss zugeben, dass es sich in vielen Belangen anfühlt, als hätte sie ein drittes Kind – und das, obwohl genau dieser Vergleich sie früher so sehr geärgert hat.

Von Michelle de Oliveira

11.5.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Michelle de Oliveira ist seit einigen Monaten nicht nur Menschenkinder-Mama, sondern auch Hunde-Mutter.
  • Früher hat sich die blue News-Kolumnistin immer über den Vergleich «Hunde sind wie Kinder» genervt.
  • Heute findet de Oliveira den Vergleich zwar nach wie vor unpassend, aber aus anderen Gründen: «Wenn abends alle schlafen – die Kinder im Bett, Phoebe noch auf dem Sofa auf mir – denke ich ohne Ausnahme: Meine zwei- und vierbeinigen Kinder sind das Beste auf der Welt.»

Ich erinnere mich an einen grauen Morgen vor einigen Jahren. Ich hatte ungefähr vier Stunden geschlafen – selbstverständlich nicht am Stück.

Ich schleppte mich gerade mit einem quengelnden Zweijährigen im Kinderwagen und einem wenige Wochen alten Baby in der Trage zum Supermarkt.

Auf dem Weg traf ich eine Bekannte. Sie hatte einen Welpen an der Leine, ein absolut süsses, kleines Wuscheltier. Ich sagte ihr, wie herzig ich ihn fände. Sie antwortete: «Ja, das ist er. Aber auch wahnsinnig streng!»

Ich nickte verständnisvoll, doch dann fügte sie nach einem Blick auf das mir an die Brust geschnallte Baby an: «Das ist, wie wenn du ein Baby hast.»

Zur Person: Michelle de Oliveira

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogini, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Portugal.

Ich betrachtete sie – gewaschen, gekämmt, geschminkt, ohne Kotzflecken auf dem weissen Pulli, ohne dunkle Ringe unter den Augen – und hätte am liebsten gesagt: «Einen Scheiss, so streng ist es».

Aber dafür fehlte mir die Energie.

Menschenkinder-Mama und Hunde-Mutter

Seit dieser Begegnung nervte es mich immer sehr, wenn jemand diesen Vergleich «Baby – Hund» brachte. Ich fühlte mich in der Anstrengung des Elternseins ungesehen und das machte mich hässig.

Nun bin ich seit einigen Monaten nicht nur Menschenkinder-Mama, sondern auch Hunde-Mutter.

Phoebe kam aus dem Tierheim zu uns, ist ein kleiner Jagdhund – ein Podengo – und ist irgendetwas zwischen einem und drei Jahre alt.

Seit sie bei uns ist gehe ich nun an manchen Tagen fünfmal Gassi, wische trotzdem immer wieder Hunde-Urin weg, übe Befehle ein und sauge Hundehaare weg.

Ich schlichte nicht mehr nur Streitereien zwischen den Menschenkindern, sondern muss auch vermitteln, wenn Phoebe unbedingt beim Ballspielen dabei sein will – aber ständig die Regeln der Menschenkinder bricht. Und muss schon wieder eine Runde mit ihr drehen, obwohl gerade ein Sturm tobt.

Diese Erschöpfung der frisch gebackenen Mutter

Und dann spüre ich sie manchmal wieder, diese Erschöpfung der frisch gebackenen Mutter. Klar, Phoebe ist kein Welpe mehr und musste nach den ersten paar Tagen nachts nicht mehr raus.

Aber wenn sie wieder einen ganzen Tag lang Möwen und andere Hunde angebellt hat, ständig an der Leine gerissen hat, in der Hundeschule nur Flausen im Kopf und zum Dank dreimal auf die Teppiche gepinkelt hat – dann frage ich mich manchmal schon: Was haben wir bloss getan?

Etwas, dass ich mich in den bald sieben Jahren als Mutter wohl unzählige Male gefragt habe. Ja, wegen der Menschenkinder.

Aber hier kommt der Unterschied: Wenn Phoebe völlig durchdreht und die Kissen auf dem Sofa zerreissen und den Holztisch zerbeissen will, kommt die Hundebox ins Spiel. Oder auch dann, wenn die Kinder ihr keinen Raum geben und sie eine Pause von ihnen braucht.

Sie legt sich in die Box, kuschelt sich in die Decke und schläft innert Sekunden ein und pennt für Stunden. Davon habe ich immer und immer wieder geträumt, als die Kinder noch kleiner waren.

Nicht exakt von einer Box, aber von dieser Pause. Vom Durchatmen. Vom Moment der Stille. Von der Unterbrechung im Chaos. Und vielleicht ganz heimlich doch genau von einer solchen Box.

Meine Kinder sind das Beste auf der Welt

Und das ist wohl einer der grössten Vorteile eines Hundes gegenüber von Kindern, da muss mir niemand etwas anderes erzählen wollen. Ein gewaltiger Unterschied.

Genauso, wie Phoebe einen Abend lang alleine zu Hause bleiben kann – spontan und ohne Babysitter. Dass sie etwa 16 Stunden pro Tag schläft. Dass sie sich jedes Mal ungemein über ihr Essen freut und niemals motzt, dass ihr das nicht schmecke.

Für mich hinkt der Vergleich «Hunde sind wie Kinder» also noch immer.

Aber ich bin milder geworden und gebe zu, dass es zahlreiche Parallelen gibt. Dass sie zwar krass nerven können, aber das Leben so viel lustiger und aufregender und tiefer machen. Dass sie mich fordern und fördern. Dass sie mir die Welt aus einer ganz anderen Perspektive zeigen.

Und egal, wie anstrengend der Tag war, egal wie genervt ich zuweilen war: Wenn abends alle schlafen – die Kinder im Bett, Phoebe noch auf dem Sofa auf mir – denke ich ohne Ausnahme:

Meine zwei- und vierbeinigen Kinder sind das Beste auf der Welt.


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