Im dritten Anlauf hat es geklappt: Nach zwei Podestplätzen gewinnt Marc Hirschi die 12. Etappe der Tour de France vonChauvigny nach Sarran. Er ist damit der erste Schweizer Tagessieger seit Fabian Cancellara 2012.
Marc Hirschi sagte es beim Siegerinterview gleich selber, mit einer Mischung aus Erstaunen und Selbstvertrauen: «Das ist mein erster Profi-Sieg – und dann gleich bei der Tour de France. Ich habe bis zum letzten Kilometer gezweifelt.» In der 2. Etappe in Nizza hatte der Schweizer, geschlagen nur um wenige Zentimeter vom starken Franzosen Julian Alaphilippe, erstmals überrascht. Am vergangenen Sonntag zeigte Hirschi im zweiten Pyrenäen-Teilstück eine noch erstaunlichere Leistung. Nach einer 90-km-Flucht wurde er in Laruns erst auf dem zweitletzten Kilometer von den Topfavoriten auf den Gesamtsieg eingeholt. Im Sprint sicherte sich der U23-Weltmeister von 2018 immerhin noch den 3. Rang, war danach ob des entgangenen Sieges aber extrem enttäuscht.
Vier Tage später, auf der hügeligen und mit 218 km zugleich längsten Etappe der 107. Tour de France, nahm Hirschi – bislang d i e Entdeckung dieser Rundfahrt – das nächste Husarenstück in Angriff. Der Berner wurde dabei perfekt unterstützt von seinen Teamkollegen. Mit Tiesj Benoot und Sören Kragh Andersen attackierten zwei Fahrer von Sunweb am zweitletzten kategorisierten Anstieg. Kurz darauf verabschiedete sich auch Hirschi vom Hauptfeld. Wenig später schloss er bereits zur Spitze auf. Der Schweizer reagierte dann rund 28 km vor dem Ziel in Sarran im kurzen, aber steilen Anstieg zum Suc au May auf die Attacke von Marc Soler – und liess den Spanier umgehend stehen.
Alaphilippe: «Hirschi war der Stärkste»
Bis zu diesem Zeitpunkt hielt sich Alaphilippe noch bedeckt. Als der vor der Etappe meistgenannte Favorit auf den Tagessieg dann doch noch den Konter lancierte, betrug sein Rückstand auf Hirschi bereits rund eine Minute. Diese Lücke konnte Alaphilippe aber auch nicht annähernd mehr schliessen. Am Ende mochte der Franzose gar nicht mehr um die Ehrenplätze kämpfen. Stattdessen Zweiter wurde sein Landsmann Pierre Rolland (0:47 zurück). Der Däne Andersen rundete mit dem 3. Platz den Sunweb-Grosserfolg ab.
Hirschi demonstrierte auf dem Weg zum ersten World-Tour-Triumph seit seinem Übertritt zu den Profis Ende 2018 die ganze Palette eines kompletten Rennfahrers: Fähigkeiten am Berg wie ein Kletterer und in der Fläche wie ein Roller, dazu verwegene Abfahrts-Künste gepaart mit hoher Rennintelligenz und explosivem Antritt im richtigen Moment. «Da hat Hirschi wieder eine grosse Nummer abgezogen. Sein Sieg ist verdient», gratulierte auch Alaphilippe seinem Konkurrenten neidlos. «Er war der Stärkste.»
Auch von den internationalen Experten wird der Ende August 22 Jahre alt gewordene Hirschi nun fast im gleichen Atemzug wie das belgische Supertalent Remco Evenepoel (20), der in Frankreich schon um den Gesamtsieg kämpfende Slowene Tadej Pogacar (21) sowie der kolumbianische Tour-Titelverteidiger Egan Bernal (23) genannt.
Erster Schweizer Sieger seit 2012
Hirschi sorgte zugleich für den ersten Sieg eines Schweizers bei der Tour de France seit über acht Jahren. Damals gewann Fabian Cancellara, der ebenfalls aus Ittigen stammt und nun Hirschis Manager ist, den Prolog in Lüttich. Der letzte Schweizer Triumph in einer Tour-Etappe mit Massenstart gelang ebenfalls Cancellara, im Sommer 2007 in Compiègne. Insgesamt ist Hirschi der 31. Schweizer, der bei der Frankreich-Rundfahrt ein Teilstück gewinnen konnte.
Keine Änderungen ergab es in der 12. Etappe an der Spitze des Gesamtklassements. Der Slowene Primoz Roglic führt weiterhin vor Bernal (0:21 zurück) und dem Franzosen Guillaume Martin (0:28). Die Favoriten werde jedoch am Freitag stark gefordert sein. Es folgt eine Kletterpartie im Zentralmassiv: Auf den 191,5 km von Châtel-Guyon mit der Bergankunft in Puy Mary Cantal hat das Feld 4400 Höhenmeter und sieben Bergwertungen zu bewältigen.