Serena Williams beeindruckt bei ihrem Comeback nach einem Jahr mit viel Kämpferherz. Nach über drei Stunden muss sich die 40-Jährige aber geschlagen geben. Kehrt sie überhaupt noch einmal auf den Platz zurück?
Drei Stunden und zehn Minuten lässt Serena Williams auf dem Centre Court in Wimbledon nichts unversucht, um ihr erstes Einzel nach einem ganzen Jahr Pause zu gewinnen. Gegen die Französin Harmony Tan scheint ihr nach dem verlorenen Startsatz tatsächlich die Wende zu gelingen, im zweiten Satz erinnert sie phasenweise gar an die 23-fache Grand-Slam-Siegerin, die das Frauen-Tennis über Jahre nach Belieben dominiert hatte.
Im Entscheidungssatz kann Williams zweimal mit Break vorlegen. Nach dem Servicedurchbruch zum 5:4 reisst die leidenschaftliche Amerikanerin ihre Arme in die Höhe und jubelt schon über den vermeintlichen Sieg. Doch Tan schlägt stets zurück, Williams bringt selbst eine 4:0-Führung im Match-Tiebreak nicht über die Runden. Und so endet die 21. Wimbledon-Teilnahme (!) für Williams bereits nach dem ersten Auftritt.
«Es war ein sehr langer Kampf», sagt Williams im Anschluss erschöpft. Mit 40 Jahren, einer Tochter und einer Investmentfirma erfüllt sie sich immerhin den Wunsch, nach ihrer verletzungsbedingten Aufgabe im Vorjahr noch einmal in den All England Club zurückzukehren und diesen mit neuen, vielleicht letzten Erinnerungen zu verlassen. «Es ist definitiv besser als letztes Jahr», macht Williams klar.
Harsche Kritik in den USA
Die Medien in der Heimat gehen dagegen hart ins Gericht mit dem Auftritt des jahrelangen Aushängeschilds. «Williams, die schon zu ihren besten Zeiten gegen variantenliebende Gegnerinnen verloren hat, sah zu Beginn oft verdattert aus. Sie wirkte auch gespannt wie eine Klaviersaite, rang damit, ihre natürliche Kraft fliessen zu lassen, und verpasste zahlreiche Volleys und Annäherungsschläge daran arbeitend, sich seitwärts zu bewegen», kritisiert etwa die «New York Times».
Die «Washington Post» schreibt: «Die Fans, viele mit einem Verständnis für den Prozess des Alterns, schienen Williams etwas zukommen zu lassen, das für einen der grössten Champions aller Sportarten nie nötig war: Mitgefühl.» Und die «Associated Press» findet: «Williams hat ihr Comeback in Wimbledon nach 364 Tagen ohne Einzelwettkampf begonnen – und beendet – und sah so aus wie jemand, der genauso lange nicht gespielt hat. Sie verpasste Schläge, schüttelte den Kopf, rollte mit den Augen.»
«ESPN» schliesst sich der schonungslosen Analyse an: «Gegen Tan, die als Nummer 115 der Welt geführt ist und ihr Debüt im Hauptfeld des Turniers gab, zeigte Williams, vor einem hingebungsvollen Publikum, gleichzeitig Anzeichen für Rost und flüchtige Blicke auf ihre charakteristische Brillianz.»
Die US Open als nächstes Ziel?
Am späten Dienstagabend lässt Williams die Fortsetzung ihres Comebacks und damit die Zukunft offen. Ob es das letzte Spiel auf höchster Stufe war? «Das kann ich nicht beantworten. Wer weiss, wo ich als nächstes auftauchen werde», will sich Williams nicht aus dem Fenster lehnen.
Aufs US Open im September angesprochen, macht sie ihren Fans aber Hoffnung. «Das ist immer etwas sehr Besonderes. Es ist definitiv Motivation vorhanden, um besser zu werden und zu Hause zu spielen», sagt Williams. Die harsche Kritisch der einheimischen Medien dürfte ihre Motivation dabei nur antreiben.
Zweifelsohne einen Motivationsschub erfährt Gegnerin Tan. «Es ist ein Traum für mich. Ich habe Serena im Fernsehen gesehen, als ich jung war», schwärmt die 16 Jahre jüngere Französin und sagt bescheiden: «Als ich die Auslosung gesehen habe, hatte ich wirklich Angst. Sie ist so eine Legende. Ich habe gedacht: Oh mein Gott, wie kann ich gegen sie spielen. Es ist gut, wenn ich ein oder zwei Spiele gewinne.»