Am kommenden Sonntag beginnen die ATP Finals in London. Es ist das Turnier, bei dem Nadal noch nie triumphieren konnte. Wird er auch in diesem Jahr scheitern?
Im Oktober gewann Rafael Nadal zum 13. Mal den Titel in Roland Garros, es war sein 20. Triumph bei einem Grand-Slam-Turnier. Damit zog er mit Rekordhalter Roger Federer gleich, der dann auch gleich zu den ersten Gratulanten gehörte.
In der Presse wurde der Spanier verdientermassen gefeiert, von «göttlicher Nadal» bis «der Beste der Geschichte» war alles zu lesen. Ein Spieler, der mit so viel Lob überschüttet wird, der müsste auch beim Saisonfinale zu den Favoriten zählen. In Tat und Wahrheit gilt Nadal aber als Aussenseiter. Einen Hoffnungsschimmer gibt es für den Spanier trotzdem.
Mit einem Triumph an den ATP Finals könnte Nadal die letzte grosse Lücke seiner Trophäensammlung schliessen. Dass er noch nie gewinnen konnte, mag erstaunen. Schliesslich qualifizierte er sich 16-mal in Folge für das Saisonfinale. Angetreten ist er allerdings nur neunmal. Als er sich 2005 erstmals für den Event qualifizierte, machte ihm eine Fussverletzung einen Strich durch die Rechnung. 2008 und 2012 verhinderte jeweils eine Sehnenentzündung am Knie die Teilnahme, 2014 eine Blinddarmentzündung, 2016 das Handgelenk, 2018 eine Bauchverletzung.
Bei seinen neun Teilnahmen stand Nadal nur zweimal im Endspiel: 2010 unterlag er Roger Federer in drei Sätzen, 2013 Novak Djokovic in zwei. Warum hat es der Spanier noch nie gepackt? Vor allem deshalb, weil die ATP Finals immer auf Hartplatz und in der Halle stattfinden. Von seinen 86 Turniersiegen hat er nur einen bei einem Indoor-Hartplatzturnier geholt – und das ist schon 15 Jahre her.
Viel spricht gegen einen Nadal-Triumph – einiges dafür
Und doch reist Nadal, trotz seiner Halbfinal-Niederlage beim Masters in Paris, mit einer gesunden Portion Selbstvertrauen und Ambitionen nach London: «Ich hatte die richtige Einstellung während des gesamten Turniers, habe in jedem Match gekämpft. Das hat mir vier Partien ermöglicht und ich denke, dass das sehr hilfreich war für London», so Nadal nach dem Aus in Paris. Er sei «besser auf diesen Belag vorbereitet» als in der Vergangenheit. «Meine Beine sind nicht so schwer wie früher und mein Spiel hat sich zuletzt gut entwickelt.»
Ob das reicht, um den Titel zu holen? Topfavorit ist natürlich Novak Djokovic, der das Turnier bereits fünfmal gewinnen konnte. Paris-Champion Daniil Medvedev und Nadal-Bezwinger Alexander Zverev sind auf dem Papier ebenfalls höher einzustufen. Auch Dominic Thiem dürfte Vorteile gegenüber dem «Stier aus Manacor» haben, sofern er fit antreten kann. Und dann wäre da auch noch Titelverteidiger Stefanos Tsitsipas, den ebenfalls viele auf der Rechnung haben. Selbst wenn Nadal auf Topniveau spielt, dürfte es also schwierig werden, den Titel-Fluch zu besiegen. Denn, wie sagte er unlängst selbst: «Das ist wahrscheinlich der Belag, auf dem ich am besten spielen muss, um erfolgreich zu sein.»
Mut machen dürfte Nadal der Umstand, dass der Turnierkalender in diesem Jahr aufgrund der Coronakrise ausgedünnt war und er keine körperlichen Beschwerden zu haben scheint. Die ATP Finals sind für einmal nicht das Schlussbouquet einer kräftezehrenden Saison, sondern einfach das letzte Turnier des Jahres – das könnte Nadal durchaus in die Karten spielen. Und dann wäre da noch der Blick auf die letzten Turniersieger. 2016 gewann Andy Murray, 2017 Grigor Dimitrov, 2018 Alexander Zverev, 2019 Stefanos Tsitsipas. Bei den ATP Finals ist es also durchaus möglich, auch als «Aussenseiter» für Furore zu sorgen. Bei den Grand-Slam-Turnieren sind Djokovic, Federer und Nadal diesbezüglich ja nicht so grosszügig.