Seit dem vermeintlichen Durchbruch und dem ersten Grand-Slam-Titel gerät die Karriere von Dominic Thiem ins Stocken. Seinem ehemaligen Trainer gefallen die jüngsten Entwicklungen überhaupt nicht.
Noch vor einem Jahr ist die Welt von Dominic Thiem mehr als in Ordnung. Im September 2020 kürt er sich bei den US Open zum Grand-Slam-Champion und durchbricht damit eine dreieinhalb Jahre anhaltende Serie, in der Nadal, Djokovic oder Federer 14 Major-Turniere in Folge unter sich ausmachen.
Wenig später schliesst der frischgebackene Major-Sieger die Saison beeindruckend ab. Bei den ATP Finals zwingt er im Halbfinal gar Djokovic in die Knie. Obwohl er im Endspiel gegen Medvedev den Kürzeren zieht, trauen ihm nach dem vermeintlichen Durchbruch zahlreiche Experten gar den baldigen Sprung an die Weltranglistenspitze zu. Davon ist der Österreicher aber heute noch meilenweit entfernt.
Ein Jahr zum Vergessen
Thiem erlebt 2021 eine Saison zum Vergessen. Bei den Australian Open im Februar scheitert er bereits im Achtelfinal diskussionslos, auch im März setzt es in Doha und Dubai frühe Pleiten ab. Immerhin glückt danach der Start in die Sandsaison mit dem Halbfinal-Einzug in Madrid noch halbwegs, in der Folge aber gewinnt Thiem auf seinem bevorzugten Belag nur noch eine von drei Partien.
Bei den French Open bleibt er gar in der ersten Runde in fünf Sätzen an Pablo Andujar hängen. Es ist zugleich die letzte Partie, die Thiem zu Ende spielen kann. Kurz darauf verletzt er sich beim Rasenturnier in Mallorca am Handgelenk und muss seine Auftaktpartie früh aufgeben. Seither warten seine Fans vergeblich auf die erhoffte Rückkehr.
Das österreichische Aushängeschild verpasst im Anschluss nicht nur Olympia und Wimbledon, er kann auch bei den US Open nicht zur Titelverteidigung antreten. Im Nachgang spricht er von einem «unglücklichen Fehler während des Erholungsprozesses», der ihn schliesslich zum vorzeitigen Ende einer verkorksten Saison zwingt. Seinen Anteil daran hat offenbar auch der langjährige Physio Alex Stober, der gemäss Thiem «auf eigene Faust therapiert» und ein zu frühes Comeback anpeilt.
Das aufgeschobene Comeback
Gerade einmal 18 Partien absolviert der Rechtshänder im Kalenderjahr 2021, nur die Hälfte davon kann er für sich entscheiden. In der Weltrangliste rutscht Thiem von Position 3 auf Rang 15 ab. Ein Absturz, der nach dem neuerlich verschobenen Comeback noch nicht überstanden sein dürfte. Vor allem aber hinterlässt die anhaltende Absenz des 28-Jährigen Fragezeichen.
Das Showturnier in Abu Dhabi vergangene Woche sagt Thiem kurzfristig ab, weil er sich noch nicht bereit fühlt, auf dem höchsten Level mitzuhalten. Nun bläst er auch die Teilnahme beim ATP Cup (ab 31. Dezember) und dem darauffolgenden ATP-Turnier in Sydney ab. Daran ist aber nicht das lädierte Handgelenk schuld. «Unglücklicherweise habe ich in Dubai eine Erkältung erwischt und konnte letzte Woche nicht trainieren», erklärt Thiem, der deshalb von Dubai zurück in die Heimat anstatt nach Australien reist. Die Teilnahme am ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres steht wohl mehr denn je in den Sternen.
Ex-Trainer Thomas Muster schlägt deshalb nun Alarm. «Er tut sich selber nichts Gutes, immer wieder ein Comeback anzukündigen und dann zu verzögern. Auch den Fans nicht», kritisiert er seinen ehemaligen Schützling bei der Jahresabschlussgala auf Servus TV. «Wenn es nicht geht, geht es nicht. Ich glaube, dass er die Australian Open gar nicht spielen wird. Es würde auch keinen Sinn machen.»
«Da sollte er mehr Feuer haben»
Zudem gefällt Muster ganz und gar nicht, dass er beim 28-Jährigen schon eine gewisse Zufriedenheit spüre. «Obwohl er das Comeback vor sich hat, müsste er für die Sache brennen. Er ist jung genug und hat die Möglichkeit, bis 35, 36 zu spielen. Da sollte er mehr Feuer haben», so der 54-Jährige, der auch klarmacht: «Die Schönwetterspiele, wo alles passt, die werden mit der Zeit immer weniger.»
Thiems Weg zurück an die Weltspitze stellt für Muster auch deshalb eine Herkulesaufgabe dar. «Ich glaube erst 2023 wieder an einen Dominic Thiem in einer Liga der ersten 20, 15, 10. Und dann werden auch andere ein Wort mitreden. Weil dieses Zeitfenster, das er jahrelang hatte, wird immer enger», fürchtet der French-Open-Gewinner von 1995.
Immerhin einen Grand-Slam-Titel konnte sich Thiem im angesprochenen Zeitfenster vor einem neuerlichen Generationenwechsel ergattern. Seither gibt er Tennis-Österreich aber Rätsel auf. Und statt dem vermeintlichen Karrieredurchbruch ist vor allem ein Karriereknick zu beobachten.