Die Sportwelt blickt gebannt nach Melbourne. Ein Grossanlass mit Zuschauern: Das gab es sehr lange nicht mehr. Im Interview spricht CNN-Mann Ursin Caderas, der mit dem Tennis-Tross einreisen konnte, über Vorfreude, Risiken und die Skepsis in der Bevölkerung.
Ursin Caderas, Sie kommen aus einer zweiwöchigen Hotelquarantäne. Wie haben Sie diese erlebt?
Zwei Wochen Hausarrest sind hart. Natürlich war es ein nobles Hotel, in dem die eingereisten Spieler, Betreuer und Journalisten gemeinsam untergebracht wurden. Aber letztlich ist man eingesperrt und kann zum Beispiel auch nicht das Fenster öffnen. Viele Spieler erklärten, dass ihnen zu schaffen machte, wenig frische Luft zu bekommen. Wichtig war, dass man sich beschäftigte und sich mit Bewegung und Arbeit bei Laune hielt.
Sie waren im selben Hotel wie die Spieler untergebracht. Wie sah es mit der Gleichbehandlung aus?
Ich hatte Glück, dass ich als TV-Produzent in dem Kontingent von 1200 Personen einreisen durfte. Die Grenzen in Australien sind ja bekanntlich geschlossen. Wir reisten gemeinsam mit den Spielern in insgesamt 15 Fliegern aus sieben Städten ins Land. Die Bedingungen waren eigentlich dieselben, mit Ausnahme der Trainingseinheiten, die den Spielern zugestanden wurden. Uns wurden aber Fitnessgeräte zur Verfügung gestellt und man hat sich gleich um uns gekümmert, wie um die Spieler.
Ursin Caderas
Ursin Caderas (35) arbeitet als TV-Produzent für den Nachrichtensender CNN. Der Bündner studierte nach seinem Bachelor-Abschluss an der Hochschule in Winterthur Internationalen Journalismus an der City University in London. An den Australian Open arbeitet er zudem als Reporter für das weltweite TV Signal. Caderas konnte im Januar als einer von insgesamt 1200 Spielern und Offiziellen nach Melbourne reisen, um in der Folge über das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres zu berichten. Dabei wird er als einer der wenigen Journalisten auch direkten Zugang zu den Spielern haben.
Der Schock kam an diesem Mittwoch: Ein Hotelangestellter wurde positiv getestet. 600 Personen, darunter auch Spieler und Betreuer, mussten unmittelbar in Quarantäne. Was ging in Ihnen vor?
Die erste Reaktion war: ‹Nein, nicht schon wieder!› Wir sind ja erst gerade aus der Quarantäne gekommen und konnten die Arbeit unter strengen Vorlagen aufnehmen. Die Information kam aus heiterem Himmel. Weil die Regierung wirklich strikt ist, war sofort klar, dass wir zurück in Isolation und uns testen lassen müssen (Anm. der Redaktion: Noch während des Gesprächs erhält Caderas das negative Testresultat).
War die Massnahme gerechtfertigt?
Absolut. Man hatte hier während eines Monats keine neuen Infektionen und man unternimmt alles, dass die Zahlen tief bleiben – am besten bei null. Da gibt es keinen Spielraum und keine Ausnahmen. Auch nicht für die Australian Open und auch nicht für die vermögenden Spieler.
Hatte man zu diesem Zeitpunkt das Gefühl, das Turnier könnte ins Wanken geraten?
Es war schon seltsam. Bei der Ankunft in Australian dachte man: ‹Jetzt geht es los.› Als ich aus der Quarantäne kam und mit dem Turnierdirektor (Craig Tiley, Anmerkung der Redaktion) sprechen konnte, sagte er mir: ‹Wir sind noch nicht so weit.› Und wie die Ereignisse am Mittwoch zeigen: Es braucht nur einen Fall, und die Situation ist innerhalb weniger Stunden eine ganz andere. Das Turnier bleibt in Gefahr, sollte es weitere Fälle geben.
Inwiefern geht man mit der Turnierdurchführung ein Risiko ein?
Logischerweise werden die Australian Open unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. Alles wird permanent desinfiziert, es wird nur die Hälfte der Sitzplätze belegt sein und es gilt eine Maskenpflicht in allen Gebäuden. Sobald etwas passiert, greift die Politik ein. Man will wirklich nichts aufs Spiel setzen. Natürlich: Das Turnier ist wichtig. Für die Stadt, für die Region, für das Land. Es geht natürlich auch um viel Geld, für TV-Rechte etwa. Aber letztlich will und darf man die Gesundheit der Bevölkerung nicht riskieren. Das ist das oberste Gebot.
«Eine Normalität, die wir Eingereisten seit einem Jahr nicht mehr kannten.»
Ursin Caderas über das wiedererlangte Freiheitsgefühl in Down Under.
In der Schweiz denkt man: ‹Wow! Null Fälle! Die leben ja ganz normal in Australien› – beschreiben Sie uns Ihre Eindrücke.
Die Menschen hier schätzen sich sehr, sehr glücklich, das merkt man. Sie haben aber auch viel geopfert, standen fünf Monate quasi unter Hausarrest, durften pro Tag lediglich eine Stunde raus, um einzukaufen. Jetzt, im australischen Hochsommer, schätzen alle das Erreichte. Auch weil man sieht, was in der restlichen Welt gerade passiert. Man kann in eine Bar, in ein Restaurant oder in die Disco. Eine Normalität, die wir Eingereisten seit einem Jahr nicht mehr kannten.
Wie sieht denn die Stimmung in der Bevölkerung aus? Wird das Turnier akzeptiert?
Ganz ehrlich: Man ist sehr kritisch. Wenn man mit den Menschen spricht, Medien konsumiert oder sich durch die Social-Media-Timelines scrollt – die Bedenken sind da. Die Organisatoren hoffen natürlich, dass die Stimmung mit dem Turnierstart am Montag ins Gute kippt. Ich kenne alle vier Grand-Slam-Turniere sehr gut, und die Atmosphäre in Melbourne gehört seit jeher zu den besten. Man hofft, dass die Euphorie aufkommt, sobald die Spieler auf dem Platz stehen.
Werden die Tennis-Fans überhaupt an die Spiele kommen und das Turnier vor Ort verfolgen, wenn die Skepsis gross ist?
Pro Tag dürfen maximal 30'000 Menschen auf das Gelände. Verteilt auf alle Stadien und Plätze. Es gibt eine Kapazitätsbeschränkung von 50 Prozent in jedem Stadion. Die Ticketverkäufe verliefen schleppend in den letzten paar Wochen, gerade auch wegen der kritischen Stimmen. Aber man muss schon davon ausgehen, dass dies noch anziehen wird.
Wie sehen die Sicherheitsvorkehrungen konkret aus?
Normalerweise sind die Australian Open ein riesiges Fest. Dieses Jahr ist das natürlich komplett anders. Dazu gehören die erwähnten Desinfektionen, ein rigoroses Contact-Tracing oder die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen. Tickets auf Papier gibt es keine, das läuft alles via Handy – inklusive Tracing. Auf dem Gelände darf man sich nur in ‹seiner› Gruppe aufhalten. Die Ballkinder dürfen zudem keine Tücher mehr anfassen. Es gibt viele Vorschriften. Und: Sollte es nur einen positiven Fall geben, könnte es sehr schnell gehen.
Was sagen die Spieler dazu? Die haben sich bei ihrer Anreise teils deutlich geäussert und ihrem Unmut Luft verschafft.
Fakt ist: Die Spieler freuen sich unglaublich auf das Turnier. Man muss sich vorstellen: Es ist das erste Mal seit fast einem Jahr, wo es wieder Zuschauer geben wird. Ich habe im letzten Jahr einige ‹Geister-Turniere› verfolgt, das ist schon etwas ganz anderes. Zudem schaut ab Montag die ganze Sportwelt nach Australien. Auf diese Bilder können wir uns freuen.
Wie zeigt sich die Vorfreude bei den Spielern, haben Sie ein Beispiel?
Naomi Osaka etwa sagte mir in einem Interview, wie ihr bei einem Trainingsmatch fast die Tränen kamen, als sich die Zuschauer erhoben haben und applaudierten. Sie habe Gänsehaut bekommen, weil sie diese Momente derart vermisste. Ich denke, solche Szenen werden wir in den nächsten zwei Wochen noch ein paar mal zu sehen bekommen.
Wie sehen eigentlich Ihre Tage nun in Melbourne aus?
Ich werde hauptsächlich Spielerinterviews führen – in einem Studio. Und natürlich gibt es auch da viele Vorschriften, denn wir sind in einem Raum mit den Spielern und tragen Masken. Auch regelmässige Tests werden fortan zu meinem Alltag gehören.
Fühlen Sie sich sicher?
Oh ja, sehr sogar. So sicher wie lange nicht mehr. Ich lebe in London, da sind die Fälle immer noch sehr hoch. Hier ist das Leben fast so normal, wie wir es alle kannten, das habe ich vermisst.
Erleben wir in den nächsten Wochen so etwas wie einen Startschuss zurück in bessere Zeiten?
Natürlich ist das ein wegweisender Moment. Und eine Bewährungsprobe. Kann man so viele Spieler einfliegen und in Quarantäne stellen? Halten sich alle daran? Gibt es eine sichere ‹Bubble›? Der Turnierdirektor sagte mir vor Kurzem, dass er derzeit aus der ganzen Welt Anrufe von Veranstaltern erhalte, die sich danach erkundigten, wie man solche Events mit Zuschauern auf die Beine stelle. Auch die Organisatoren der Olympischen Sommerspiele in Tokio sollen sich gemeldet haben. Ob wir aber den Anfang der Normalität erleben, ist wohl dennoch nicht zu erwarten.
Es gibt so viele Nebengeräusche dieser Tage: Ist die Absage von Roger Federer in Melbourne überhaupt ein Thema?
Natürlich ist man sich dessen bewusst hier. Roger Federer ist der mit Abstand beliebteste Tennisspieler in Australien. Es gibt Fans, die sich einzig wegen ihm ein Ticket kaufen. Sobald er sich ankündigt, steigen die Preise, das ist ja nicht nur in Melbourne so. Man wird wohl auch in diesem Jahr viele RF-Mützen sehen. Ich bin sicher, es werden auch Schweizer Fahnen zu sehen sein, die natürlich auch für Belinda Bencic und Stan Wawrinka geschwenkt werden.