Im Januar verletzt sich Mauro Caviezel abermals. Einen Monat später nimmt er eine WM-Medaille im Super-G ins Visier. Nachwehen der Hirnerschütterung sind noch da. Aufhalten lässt er sich davon nicht.
Wieder eine Verletzung! Mauro Caviezel hat es wahrlich nicht leicht als Skirennfahrer. Wobei, zu einem Teil trägt er selber dazu bei, dass sein Körper schon an so manchen Stellen malträtiert worden ist. Der 32-jährige Bündner ist bekannt dafür, dass er sich kaum einmal zurücknimmt, auch nicht ausserhalb des Wettkampfs. Davon zeugt auch ein Video eines fürchterlichen Sturzes im Training im Südtirol vor zwei Jahren, das er auf Instagram hochgeladen hat. «Ich bin es gewohnt zu attackieren», sagt er. Und: «Wir bewegen uns am Limit.»
Kälte, Reisestrapazen, Schufterei im Kraftraum und haufenweise Verletzungen. Skirennfahrer sind harte Hunde. Mauro Caviezel ganz besonders. Vor einem Monat lotete er die Grenzen im Training abermals zu sehr aus. Der Sturz in Garmisch-Partenkirchen zwang ihn zum Forfait für den mit reichlich Speed-Rennen bepackten Januar. Nun fühlt er sich bereit, im WM-Super-G erneut alles zu riskieren.
Der Vorteil ist, dass Caviezel der Umgang mit Verletzungen vertraut ist, er die Signale seines Körpers zu deuten weiss. Die Erfahrung gibt ihm auch die Gewissheit, dass Verletzungen nicht das Ende der Träume bedeuten. Sein Weg an die Weltspitze war gepflastert mit einer Vielzahl an körperlichen Rückschlägen. Er hat so viele Verletzungen erlitten, dass er den Überblick darüber ohne seine Notizen selbst nicht mehr hat.
Von Kopf bis Fuss
Kreuzband, Meniskus, Schienbein, Schulter, Hand – alles war bis zum ersten Podestplatz im Frühling 2017 schon einmal kaputt. 29 Jahre alt musste er trotz unbestrittenem Talent werden, bis es mit dem Durchbruch nach ganz oben geklappt hatte. Nach einer Operation an der Hand im Sommer 2016 blieb er endlich über eine längere Zeit unversehrt. Der Weg für den sportlichen Aufstieg war frei.
Ein Achillessehnenriss im Sommer 2020, zugezogen bei einer Schnelligkeits-Übung im Konditionstraining, warf ihn nicht aus der Bahn. Sechs Monate später siegte er im ersten Super-G des Winters in Val d'Isère und wurde er eine Woche später Zweiter in Val Gardena. Dabei hatten die Spezialisten ein halbes Jahr ohne Ski-Training prophezeit. Dass er die Rennen mit gebrochenem Zeigefinger bestritt: eine Randnotiz.
Nun also das jüngste Malheur, der Sturz im Training in Garmisch Anfang Januar. Diagnose: schwere Gehirnerschütterung, Aussenbandverletzung und Knochenprellung im linken Knie. Und dieses Mal ist es anders als bisher. «Das mit dem Kopf ist neu für mich.» Verletzungen am Gehirn erfordern mitunter viel Ruhe. Auf Krafttraining verzichtete Mauro Caviezel nicht.
Aus dem erhofften Comeback in Garmisch wurde nichts. Am Wochenende spürte der Bündner noch die Folgen der Gehirnerschütterung. «Es geht mir gut. In den letzten Tagen machte ich grosse Fortschritte. Aber ich merke: Irgendetwas ist noch nicht gleich wie vorher.» Will heissen: Die Synapsen im Gehirn reagieren, zumindest gefühlt, auf die Signale der Augen verzögert. Das ist natürlich Gift für einen Skirennfahrer, der innert Hundertstelsekunden auf alles Mögliche reagieren muss.
Das Problem ist das Visuelle
Am Sonntag, zwei Tage vor dem ursprünglichen Super-G-Termin an der WM, sprach Caviezel von einer ungewohnten phasenweisen Müdigkeit, von Kopfdruck und Licht-Empfindlichkeit. Klassische Symptome einer Gehirnerschütterung. «Das Problem ist das Visuelle», so Caviezel. Damit ein Start Sinn macht, er an der WM um eine Medaille fahren kann, müsse er die Gewissheit haben, voll attackieren zu können. Am Montag testete er sein Befinden auf Ski und Schnee erneut. Danach befand er sich für startklar für den Dienstag. Dass der Super-G auf Donnerstag verschoben wurde, spielt ihm in die Karten.
Gino Caviezel, der als Ersatz eingesprungen wäre, ist überzeugt, dass sein Bruder physisch nichts eingebüsst hat. Er hat keine Zweifel daran, dass Mauro Caviezel diese Verletzung ebenso gut wegsteckt wie die bisherigen. «Es ist sehr bitter. Er kam eben erst aus einer Verletzung und gewann trotzdem Rennen und fuhr aufs Podest. Aber er wird auch dieses Mal zurückkommen. Er ist mental enorm stark.»
Für Spitzenfahrer gibt es an Titelkämpfen nur alles oder nichts. Marco Odermatt drückt es so aus: «An einer WM zählen nur Medaillen.» Mauro Caviezel traut sich eine solche zu. Bleibt die Frage, ob er seine gute Form konservieren konnte. Tom Stauffer, der Cheftrainer der Alpinen, äusserte sich am Sonntag positiv: «Ich habe den Eindruck, dass es ich ihm recht gut geht.»
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