Ob Abfahrt, Super-G oder Riesenslalom – Lara Gut-Behrami ist in allen drei Disziplinen derzeit nur ganz schwer zu schlagen. Im Kampf um die grosse Kristallkugel sind ihr die Hände dennoch ein Stück weit gebunden.
Lara Gut-Behrami ist die Fahrerin der Stunde. Ob Super-G und Abfahrt oder Riesenslalom – die Tessinerin ist in sämtlichen Disziplinen bei den Allerschnellsten. Nach den jüngst ausnahmslos starken Auftritten übernimmt sie folgerichtig auch die Führung im Gesamtweltcup. Acht Rennen sind bis Saisonende noch zu fahren, Gut-Behramis beträchtlicher Vorsprung auf Petra Vlhova beträgt 187 Punkte. Sie scheint auf bestem Weg zum zweiten Gewinn der grossen Kristallkugel nach 2016.
Und doch dämpft die 29-Jährige nach ihrem Abfahrts-Double in Val di Fassa die grossen Schweizer Hoffnungen im Kampf um den Gesamtweltcup: «Ich habe noch fünf Rennen, die anderen haben fast doppelt so viele. Von dem her glaube ich, es ist eher unrealistisch», macht sie zurecht klar.
Unter den verbleibenden acht Rennen bei den Frauen stehen nicht weniger als vier Slaloms an – die Paradedisziplin ihrer ersten Verfolgerin Vlhova. Zudem stehen mit zwei Riesenslaloms weitere technische Rennen auf dem Programm, dagegen ist nur noch je eine Abfahrt und ein Super-G geplant. Die Gefahr ist deshalb gross, dass Gut-Behrami von der Slowakin noch abgefangen wird.
Sind die Speed-Spezialisten benachteiligt?
Nicht zum ersten Mal sorgt das Ungleichgewicht für Diskussionen. In diesem Winter stehen 9 Slaloms, 8 Riesenslaloms sowie 1 Parallelrennen gegenüber von 7 Super-G und 8 Abfahrten – unter dem Strich ergibt das 18 Gelegenheiten für Technikerinnen, während die Speed-Spezialistinnen «nur» 15 Mal zum Handkuss kommen. Noch extremer ist die Differenz diesbezüglich bei den Männern: 22 technischen Anlässen stehen nur 16 Speed-Rennen gegenüber.
«Es gibt viele Slalom-Klassiker, die in den Weltcup gehören. Aber ob es die zwei Slaloms Ende Januar in Chamonix wirklich braucht, ist eine andere Frage», sagt beispielsweise Marco Odermatt, der im Gesamtweltcup der Männer bloss 210 Punkte hinter dem führenden Alexis Pinturault liegt. Für Odermatt ist der aktuelle Kalender nicht fair: «Es gibt 11 Slaloms, aber nur 7 Super-G – das ist schon mal eine mögliche Differenz von 400 Punkten», so der Nidwaldner gegenüber dem «Tagesanzeiger». Auch Abfahrts-Ass Beat Feuz pflichtet bei: «Ich wäre dafür, dass jede Disziplin gleich oft gefahren wird.»
Für den Schweizer Cheftrainer Thomas Stauffer ist die aktuelle Lösung unbefriedigend, aber: «Die Situation ist jetzt nun einmal so, wie sie ist, auch wenn sie nicht gut ist. Wir sollten nicht darüber jammern.» Eine mögliche Anpassung sieht Stauffer in der Verlegung einiger Slaloms vom Wochenende auf unter die Woche – um so Platz zu schaffen für ein weiteres Speed-Rennen.
Waldner: «Unser Sport ist nun einmal unfair»
Deutlichere Worte wählt der Österreicher Matthias Mayer. «Die Verteilung passt überhaupt nicht. Im Januar gab es gerade mal drei Speedrennen, im Februar sogar nur zwei. Es ist unmöglich, so als Speedspezialist um die grosse Kugel mitzufahren», bekräftigt er die anhaltende Kritik. «Man sollte sich überlegen, ob man nur noch einen Technik- und einen Speedweltcup macht. Denn ein Gesamtweltcup braucht es so eigentlich nicht mehr.» Ins gleiche Rohr bläst auch Teamkollege und Doppel-Weltmeister Vincent Kriechmayr: «Ich hoffe, dass es so weit kommen wird. Aber so, wie es aussieht, wird das so schnell nicht der Fall sein.»
Markus Waldner, FIS-Renndirektor der Männer, hat für die Kritik kein Verständnis. «Alle sagen: Es ist unfair. Immer höre ich: unfair. Ich kann dieses elende Wort nicht mehr hören. Unser Sport ist nun einmal unfair. Punkt! Die Startnummer 10 hat komplett andere Bedingungen als die 1.» Insbesondere in der Corona-Pandemie müsse man für die Kalenderplanung «tausend Kompromisse eingehen und tausend Dinge berücksichtigen». Dass in jeder Disziplin gleich viele Rennen gefahren werden, sei ein Ding der Unmöglichkeit. Waldner macht klar: «Wer jetzt die Courage hat, über Disbalancen im Kalender zu reden, der hat nichts verstanden.»
Die Diskussion ist für den Österreicher auch deshalb müssig, weil es schon immer so gewesen sei. «Die Sieger waren immer Allrounder», sagt Waldner und fügt an: «Die grossen Kugeln holen ohnehin nicht die reinen Spezialisten. Auch Marcel Hirscher bestritt Super-G, das tun nun auch Alexis Pinturault und Loïc Meillard.»