Handspiel

Jan Arnet

«Bluewin»-Sportredaktor

Ein krasser Fehlentscheid entscheidet das Spiel und vielleicht sogar die Meisterschaft. Und er zeigt einmal mehr, dass der VAR in der Premier League nicht so funktioniert, wie er sollte.

«Ein Vergehen liegt in der Regel vor, wenn ein Spieler den Ball mit der Hand/dem Arm berührt und seinen Körper aufgrund der Hand-/Armhaltung unnatürlich vergrössert.» So schreiben es die Fussball-Regelhüter vom IFAB in ihrem Regelbuch auf Seite 112.

Es ist genau das Vergehen, das Liverpool-Verteidiger Trent Alexander-Arnold im Spiel gegen Man City schon nach fünf Minuten im Strafraum begeht (s. Video unten). Mit seinem ausgestreckten Arm verhindert er, dass der Ball zum einschussbereiten Raheem Sterling fliegt, von einer natürlichen Bewegung kann nicht gesprochen werden – im Gegenzug erzielt Liverpool das 1:0.

Zum Glück gibt es seit dieser Saison in der Premier League den Video Assistant Referee, kurz VAR, wird sich Pep Guardiola gedacht haben, der an der Seitenlinie wild mit den Armen fuchtelt. Doch weit gefehlt: Der Videoassistent greift nicht ein und so rennen die Citizens bis zum Schluss einem Rückstand hinterher. Liverpool gewinnt schliesslich 3:1 und hat nun acht und mehr Punkte Vorsprung auf die Konkurrenz – das Titelrennen scheint entschieden.

Es ist ein fataler Fehlentscheid des Schiedsrichter-Teams um Michael Oliver. Denn jeder weiss, wie wichtig es in einem solchen Spitzenspiel ist, in Führung zu gehen. 

Warum der VAR bei Alexander-Arnolds Handspiel nicht eingreift, wird sein Geheimnis bleiben. Doch es offenbart einmal mehr, dass die Technologie in England nicht richtig eingesetzt wird. Millimeter-Dinger bei Abseits-Entscheidungen werden teils minutenlang überprüft. Doch bei offensichtlichen Handspielen oder Fouls wird dem Schiedsrichter auf dem Platz nicht einmal mitgeteilt, dass er sich die Szene vielleicht nochmals am Bildschirm neben dem Spielfeld anschauen sollte, wie das in Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich und auch in der Schweiz der Fall ist. 

Ein viel klareres Handspiel als jenes von Alexander-Arnold kann es kaum geben. Das zeigt allein die Reaktion von Sergio Agüero, der den Ball im Anschluss nicht zu Sterling spielt, sondern zum Unparteiischen rennt und vehement einen Penalty fordert. Da hätte der City-Stürmer wohl besser weitergespielt. 

Wobei: Eigentlich war das ganz schlau von Agüero, weil ein Treffer ohnehin nicht gezählt hätte, da Bernardo Silva zuvor selbst mit der Hand am Ball war. Nach neuer Regel darf ein Tor nicht zählen, wenn zuvor ein Angreifer auf irgendeine Weise mit der Hand am Ball war. Den Penalty aber hätte es gegeben, weil es kein strafbares Handspiel von Silva war. Was das für einen Sinn ergibt, wissen auch nur die Regelhüter. Aber das ist ein anderes Thema. 

 

Beides falsch

Tobias Benz

«Bluewin»-Sportredaktor

Manchester City wird nicht Opfer des VAR, sondern Opfer einer Regel, für die noch immer niemand eine Lösung gefunden hat. 

Handspiel oder nicht? Ehrlich gesagt, der Schiedsrichter muss einem in so einer Situation einfach leidtun. Liverpool hat gerade im wichtigsten Spiel der Saison das 1:0 erzielt, 54’000 Zuschauer in Anfield sind aus dem Häuschen und nun stellt sich die Frage: Zählt der Treffer oder gibt es Elfmeter auf der anderen Seite?

Dass Alexander-Arnold den Ball mit dem Arm spielt, ist nicht zu bestreiten und wenn Michael Oliver in dieser Situation auf den Punkt zeigt, kann er sich auch nicht beschweren. Oder doch?

Der Fakt, dass Bernardo Silva den Ball Sekunden zuvor ebenfalls mit der Hand spielt – etwas, das laut neuer Regel in jedem Fall zur Annullierung eines unmittelbar darauffolgenden Tores führt – bringt das Schiedsrichtergespann in eine Zwickmühle.

Dem VAR bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder – und so hat er es getan – er lässt die Aktion laufen und versucht, das Handspiel als keinen eindeutigen Fehlentscheid zu verkaufen. Das ist nicht so schwierig bei dieser Regel, denn dank der ersten sieben Worte, die je nach Sichtweise entweder komplett dämlich oder äusserst clever formuliert sind, lässt sie gar keinen eindeutigen Fehlentscheid zu. 

Gegen diesen Entscheid spricht, dass es nüchtern betrachtet halt einfach ein klares Handspiel war.

Oder – die zweite Möglichkeit: Das Tor im Nachhinein annullieren und auf Elfmeter für Manchester City entscheiden. An der Anfield Road.

Für diesen Entscheid hätte der Schiedsrichter, wie Oli Kahn sagen würde, eine ordentliche «Portion Eier» benötigt. Und sehr viel Redegewandtheit. Denn irgendwie hätte man den 54’000 Zuschauern verklickern müssen, wie man nach Bernardo Silvas Handspiel ein Tor zwar nicht hätte zählen lassen, ein Penalty-Tor allerdings schon. Sprich: Ist Alexander-Arnold nicht mit dem Arm am Ball und versenkt Sterling die Chance, zählt das Tor nicht. Aber jetzt gibt's trotzdem Elfmeter? Viel Spass bei dieser Erklärung.

Spitzfindige Zuschauer würden jetzt behaupten, es wäre trotzdem richtig gewesen, auf Elfmeter zu entscheiden, weil es so in den Regeln steht. Andere spitzfindige Zuschauer hingegen würden genau das Gegenteil behaupten, weil der VAR nur bei einem klaren Fehlentscheid eingreifen darf. Da es bei der Regelauslegung des Handspiels faktisch unmöglich ist, von einer klaren Fehlentscheidung zu sprechen, müsste der VAR stumm bleiben.

Wie soll eine Frage, die auf einer Sportredaktion nach langer Diskussion nicht geklärt werden kann, von einem Videoschiedsrichter innert weniger Sekunden beurteilt werden? Das Problem beim Handspiel ist nicht der VAR – es ist die Regel. Und solange dafür keine vernünftige Lösung gefunden wird, kann die Diskussion gar kein Ende nehmen.