Das Schweizer Nationalteam der Frauen braucht eine Nachfolgerin für Gaëlle Thalmann. Mit Nadine Angerer soll eine frühere Torhüterin von Weltformat die Schweizer Goalies auf ein neues Level hieven.
Einen Hut trägt sie zwar nicht, als sie am Montagnachmittag erstmals die Sportanlage Chrummen in Freienbach betritt. Und doch ist Nadine Angerer die Person, welche die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es ist der erste Arbeitstag der 45-jährigen Deutschen für den Schweizerischen Fussballverband (SFV). Als neue Goalietrainerin soll sie die Torhüterinnen des Schweizer Nationalteams auf ein neues Level hieven und ihren riesigen Erfahrungsschatz weitergeben.
«Es ist extrem beeindruckend, mit Nadine zusammen auf dem Platz zu stehen», sagt Elvira Herzog. «Man kennt sie ja sonst nur aus dem Fernsehen und von der Weltbühne.» Auf dieser Weltbühne ist Angerer zu ihrer Aktivzeit als Torhüterin quasi Stammgast. 2003 und 2007 wird sie mit dem deutschen Nationalteam Weltmeisterin, gar fünfmal holt sie den EM-Titel nach Deutschland. Als sie 2013 bei ihrem letzten Triumph im Final gegen Norwegen zwei Elfmeter pariert, titelt die Bild-Zeitung in den gewohnt grossen Buchstaben und in Anlehnung an die deutsche Goalie-Legende Oliver Kahn: «Natze, du Titanin.»
Zehn Jahre in den USA
Angerer wird in Schweden als beste Spielerin des Turniers ausgezeichnet, und nur fünf Monate später lächelt sie in Zürich an der Seite von Cristiano Ronaldo in die Kameras. Als erste Torhüterin erhält sie da die Auszeichnung zur Weltfussballerin. Natürlich trägt sie bei der Gala einen Hut. Es ist ein Markenzeichen Angerers, das sie auch Preise abseits des Fussballplatzes einheimsen lässt. Die «Gemeinschaft Deutscher Hutfachgeschäfte» kürt die in der Nähe von Frankfurt Aufgewachsene 2013 zur Hutträgerin des Jahres.
Doch ungeachtet dieser modischen Komponente zeigt der Blick auf Angerers Palmarès, dass es dem SFV gelungen ist, nach Pia Sundhage eine weitere Grösse des Fussballs an Bord zu holen. Die schwedische Trainerin ist denn auch der Hauptgrund dafür, weshalb sich die Deutsche für dieses neue Abenteuer in der Schweiz entschieden hat.
Nach ihrer Aktivzeit war Angerer während acht Jahren als Goalietrainerin bei den Portland Thorns in den USA tätig, einem der besten Klubteams der Welt, bei dem sie auch die letzten zwei Jahre ihrer Karriere als Spielerin verbracht hatte. Doch nach zehn Jahren in Übersee fühlte sich Angerer bereit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Da kam Sundhages Anruf gerade recht. «Wenn Pia dich anruft, kannst du sicher nicht Nein sagen», meinte Angerer bei ihrer Vorstellung.
Die grosse Frage nach der Nummer 1
Das neuste Staffmitglied und ihre Chefin verbindet eine lange Geschichte. «Ich habe immer wieder gegen sie verloren», sagt Sundhage und lacht. Ihr jetziger Assistent Anders Johansson coachte Angerer, als diese für Djurgardens IF in Schweden spielte. «Ich mag ihre Persönlichkeit», sagt Sundhage. «Sie ist Deutsche, und zwar eine Deutsche, die viel gewonnen hat. Ich denke, das könnte ansteckend sein.»
Eine Frage, die Sundhage und Angerer in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen wird, ist, wer künftig und damit auch an der Heim-EM 2025 die Nummer 1 im Tor der Schweizerinnen sein soll. Seit dem Rücktritt der langjährigen Stammspielerin Gaëlle Thalmann nach der WM im letzten Jahr in Neuseeland ist der Posten zwischen den Pfosten zu vergeben. Mit Elvira Herzog und Livia Peng duellieren sich zwei Torhüterinnen, die in der deutschen Bundesliga engagiert sind.
Bei Sundhages Premiere an der Seitenlinie Ende Februar in Marbella gegen Polen (4:1) stand Leipzig-Goalie Herzog im Tor, vier Tage später gegen den gleichen Gegner (0:1) Peng, die in Bremen spielt. Das Trainerteam will sich Zeit lassen mit dem Entscheid, wer in Thalmanns Fussstapfen treten soll, aber für Sundhage ist auch klar, dass die Rotation auf der Position der Torhüterin nicht dauerhaft sein und stattdessen eine klare Hierarchie etabliert werden soll. Denn das Wichtigste für eine stabile Defensive sei die Abstimmung zwischen Torhüterin und den Verteidigerinnen. «Wenn du immer wieder wechselst, ist diese zwar nicht unmöglich, aber sehr schwierig», sagt Sundhage, die sich bereits mit Angerer über die Situation unterhalten hat.
Angerer habe ihr gesagt, dass das Goalie-Trio, das von St. Gallens Nadine Böhi komplettiert wird, die erstmals im Kreis des Nationalteams fungiert, über viel Potenzial verfüge, erzählt Sundhage. Ein Fokus, den die Deutsche in ihrer Arbeit setzen möchte, liegt bei Flanken und Kopfbällen, die sie mit ihrer Erfahrung als Schwachstellen vieler Frauen ausgemacht hat.
Neue Chance für alle
Sundhage ist wichtig, dass trotz des anstehenden Konkurrenzkampfes eine gute Stimmung im Team der Torhüterinnen herrscht. «Wenn eine neue Trainerin dazustösst, ist das eine Chance, und ich weiss, dass sich alle freuen, mit Nadine zusammenzuarbeiten.»
Wem sie am Freitag (19 Uhr) im ersten Spiel der EM-Qualifikation, welche die Schweiz als Gastgeberin ausser Konkurrenz bestreitet, im Zürcher Letzigrund gegen die Türkei das Vertrauen schenken wird, verrät Sundhage nicht. Aber sie hofft natürlich, dass die Ära Angerer im SFV so beginnt, wie es sich die Hutträgerin mit den vielen Auszeichnungen und Trophäen gewohnt ist.
sda