Alisha Lehmann über Cybermobbing «Im echten Leben würden sie sich nie getrauen, dir sowas zu sagen»

Von Sandro Zappella

22.7.2022

Alisha Lehmann äussert sich in einer UEFA-Serie über Cybermobbing.
Alisha Lehmann äussert sich in einer UEFA-Serie über Cybermobbing.

Die UEFA hat eine Video-Serie lanciert, die Tabuthemen wie Sexismus, Rassismus oder Homophobie thematisiert. In der neuesten Folge geht es um den Missbrauch in den sozialen Medien. Mit dabei ist die Schweizer Nationalspielerin Alisha Lehmann.

Von Sandro Zappella

Das rund elfminütige Video startet mit dem Hinweis, dass 50 Prozent der Fussballprofis schon Opfer von Online-Missbrauch geworden sind. Im Video äussern sich schliesslich diverse Akteure und Akteurinnen und erklären, was die Online-Beleidigungen mit ihnen anstellen.

Das Video beginnt mit der Schweizerin Alisha Lehmann. Die Nati-Spielerin verzichtete auf die Fussball-Europameisterschaft, weil sie sich mental dazu nicht bereit fühlte. Lehmann ist nicht nur Profifussballerin, sie ist auch Influencerin und verdient nach eigener Aussage durch Instagram mehr Geld als durch Fussball.

7,8 Millionen Follower hat sie auf Instagram. Von ihren männlichen Kollegen können da weder Xherdan Shaqiri (2,7 Mio. Follower) noch Granit Xhaka (2,5 Mio. Follower) mithalten. Die ganze Nati-Startelf beim letzten Spiel gegen Portugal kam auf insgesamt 6,8 Millionen Follower.

Die Follower der Nati-Startelf gegen Portugal

  • Jonas Omlin, 25'000
  • Ricardo Rodriguez, 353'000
  • Nico Elvedi, 75'000
  • Manuel Akanji, 313'000
  • Silvan Widmer, 32'000
  • Granit Xhaka, 2,5 Millionen
  • Djibril Sow, 49'000
  • Remo Freuler, 95'000
  • Breel Embolo, 300'000
  • Xherdan Shaqiri, 2,7 Millionen
  • Haris Seferovic, 331'000

Alisha Lehmann erklärt ihre Beweggründe: «Ich verbringe viel Zeit auf den sozialen Medien wie Instagram, TikTok oder WhatsApp. Ich möchte junge Mädchen beeinflussen und ihnen zeigen: ‹Lets do it›, du kannst im Leben alles erreichen.» Viele Follower bedeuten aber auch mehr Kommentare und Nachrichten und damit mehr Hass.

«Ich finde Online-Missbrauch ist so viel schlimmer als im echten Leben, denn online sind es zehnmal mehr oder hundertmal mehr Leute, die sich äussern.»

Alisha Lehmann

Lehmann erzählt zudem: «Die Leute online sind viel weniger mutig. Denn sie sitzen hinter einem Handy oder Computer. Im echten Leben würden sie sich nie getrauen, dir solche Sachen zu sagen. Sie würden dich wohl eher um dein Shirt oder ein Autogramm bitten. Aber online denken sie: Ich kann sagen, was ich will. Aber das stimmt nicht.»

Homophobie als ständiges Thema

Lehmann macht zudem darauf aufmerksam, dass sie viele Hassnachrichten bekam, als sie mit Nati-Kollegin Ramona Bachmann in einer Beziehung war. Viele Leute hätten das nicht akzeptiert. In dieser Phase habe sie Nachrichten wie «Du bist keine von uns mehr» oder «Du bist für mich nicht mehr die Gleiche» erhalten. 

Ein Drittel des Online-Missbrauchs ist homophobischer Natur, schreibt die UEFA im Video. Noch extremer fällt dies bei den Männern aus.

Jesus Tomillero war der erste spanische Schiedsrichter, der sich öffentlich outete. Er erzählt, was er danach alles erlebte. «Alles war ok, bis ich einen Freund hatte und das Bild auf Social Media postete. Ich musste meinen Job als Profi-Schiedsrichter aufgeben. Ich tat das, weil ich über 1500 Morddrohungen erhalten habe.»

In der Folge liest Tomillero einige der Nachrichten vor: «Ihr seid alle Sodomiten und werdet ein schreckliches Ende haben», lautet eine davon. Als ihm gedroht wurde, dass ihm die Beine abgeschnitten werden, wandte sich Tomillero an die Polizei und stand in der Folge einen Monat unter Polizeischutz. «Zu dieser Zeit dachte ich oft an Selbstzerstörung oder gar Suizid. Ich konnte einfach nicht mit all dem Druck umgehen.»


Suizid-Gedanken? Hier findest du Hilfe

Brauchst du Hilfe? Hier kannst du reden

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da.

Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143, www.143.ch Beratungstelefon Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147, www.147.ch

Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben:

Refugium: Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch
Nebelmeer: Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net




Rassismus bleibt das grösste Problem

Ein weiterer Aspekt, der immer mehr in den Fokus rückt, ist der rassistisch motivierte Online-Missbrauch. Dieser ist während der Saison 2020/21 um 48 Prozent gestiegen. Die französische Nationalspielerin Wendie Renard erklärt, wie schnell die Stimmung kippen kann: «Während der WM 2019 schoss ich im ersten Spiel zwei Tore und bekam über Social Media viel Lob. Im zweiten Spiel erzielte ich ein Eigentor und sofort kamen die Beleidigungen. Mein Gesicht wurde mit dem eines Affen verglichen.»

Renard versucht Erklärungen zu finden, weshalb die Täter zu Tätern werden: «Da sind Leute hinter den Computern oder Smartphones, die leider nicht das erreicht haben, was sie wollten oder nicht den Erfolg haben, den du hast.» Der Hass in Social Media sei sowas wie deren Sucht. «Ich denke, es kann richtige Narben hinterlassen. Speziell, wenn die Leute, die das einstecken müssen, mental nicht so gefestigt sind.» Wenn man etwas aus Social Media poste, realisiere man wohl nicht, wie schmerzhaft das für den Empfänger sein könne oder welche Konsequenzen es habe.

Derzeit spielt Renard mit Frankreich an der EM. Am Samstag steht das Viertelfinale gegen die Niederlande an. 
Derzeit spielt Renard mit Frankreich an der EM. Am Samstag steht das Viertelfinale gegen die Niederlande an. 
Bild: Keystone

«Ich würde sagen, es ist noch schlimmer für meine Familie, wenn sie sieht, dass ihre Tochter als Affe beschimpft wird.»

Wendie Renard

Ein grosses Thema war der Online-Rassismus nach dem EM-Final im vergangenen Sommer. Italiens Jorginho hat mit Italien im Penaltyschiessen gegen England gewonnen. Er selbst hat seinen Elfmeter verschossen, das taten aber auch die Engländer Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka. «Einerseits war ich sehr glücklich, dass wir die EM gewonnen haben, aber ich konnte auch sehen, was diesen drei Jungs geschehen ist, ihren Familien. Es ist schrecklich», so Jorginho.

Die drei dunkelhäutigen Engländer wurden als Schuldige für den geplatzten EM-Traum ausgemacht und anschliessend online übelst beschimpft. Patrick Vieira kommt im Video ebenfalls zu Wort und zeigt sich entsetzt: «Ich war geschockt. Ich war verletzt. Und ich war sehr enttäuscht, diese drei dunkelhäutigen Spieler zu sehen, wie sie als Zielscheibe ausgemacht wurden.» Der ehemalige französische Nationalspieler und heutige Trainer von Crystal Palace fasst zusammen: «Fussball ist das perfekte Spiegelbild der Gesellschaft.»

Es gibt kein Entkommen

Erfahrungen mit Cybermobbing machte auch die ehemalige englische Nationalspielerin Karen Carney. Sie macht darauf aufmerksam, dass man den Online-Missbrauch nicht einfach ignorieren könne: «Die Leute verstehen es nicht. Es ist eine Welle, du kannst nicht davor fliehen.»

Dann erzählt Carney ihre Geschichte: «Ich wurde ziemlich stark online missbraucht. Ich hatte so viel Stress in meinem Körper, ich wusste nicht mehr, wie ich damit umgehen kann. Also bin ich viel joggen gegangen. Ich wollte fliehen, weil ich gefühlt habe, dass mich alles so einnimmt. Es war eine Form der Befreiung, aber es war nicht genug. Dann hatte ich einen Ermüdungsbruch in meinem Fuss. Nun hatte ich zwei Operationen, aber ich kann den Sport, den ich liebe, nicht mehr machen, denn mein Fuss ist ruiniert, wegen der Belästigungen, mit denen ich umgehen musste.»

Eine Lösung für das Problem schlägt Alisha Lehmann vor: «Ich denke, die Social-Media-Plattformen müssen sich verändern und neue Regeln aufstellen. Sie müssen den betroffenen Leuten helfen.»

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