Nach zwei Jahren ohne grosse Investitionen greift Real Madrid mal wieder ganz tief in die Tasche. Geholt wird aber kein gestandener Superstar, sondern ein hochgelobtes Talent, das vielerorts noch ziemlich unbekannt ist. Dürfen wir vorstellen? Aurélien Tchouaméni.
«Aurelién Tchouaméni to Real Madrid, here we go!» – mit seinem legendären Satz verkündet der stets gut informierte Transferexperte Fabrizio Romano am Dienstag den Wechsel von Aurélien Tchouaméni zu Real Madrid. Und mittlerweile ist auch die Vollzugsmeldung da.
Die Königlichen überweisen laut Romano und «The Athletic» mehr als 100 Millionen Euro (inklusive Bonuszahlungen) an die AS Monaco. Transfers in dieser Grössenordnung gab es bei Real bislang erst zweimal: 2019 bei Eden Hazard (115 Mio. Euro von Chelsea) und 2013 bei Gareth Bale (101 Mio. Euro von Tottenham).
Im Gegensatz zu Hazard und Bale – und natürlich auch Cristiano Ronaldo, der 2009 zum «Schnäppchenpreis» von 94 Millionen Euro Manchester United Richtung Madrid verliess – hat Aurélien Tchouaméni aber noch nicht Superstar-Status. Ganz im Gegenteil. Der 22-jährige Franzose befindet sich immer noch in der Entwicklung.
Das unglaubliche Potenzial, das Tchouaméni mitbringt, ist aber wohl genau das, was ihn für die Top-Klubs so interessant machte: Neben Real waren auch Liverpool und PSG am defensiven Mittelfeldspieler dran. Der Youngster hat sich für Madrid entschieden und unterschreibt in der spanischen Hauptstadt einen Vertrag bis 2027.
Die Anlagen zum Weltstar
Die Erwartungshaltung an den Youngster wird riesig sein. Doch Mitspieler und aktuelle oder ehemalige Trainer kommen aus dem Schwärmen über Tchouaméni gar nicht heraus. «Er ist kein Junge, er ist ein Mann. Es ist ein Vergnügen, neben ihm zu spielen. Er hat viel Energie, technische Qualität und eine aussergewöhnliche Physis», sagte Paul Pogba kürzlich über seinen Nationalmannschaftskollegen. Monaco-Mitspieler Cesc Fabregas bezeichnet Tchouaméni als «kompletten, modernen Mittelfeldspieler».
Besonders ausführlich hat Robert Moreno bei «Sky Sports» über seinen ehemaligen Schützling gesprochen. Der spanische Coach holte Tchouaméni im Januar 2020 von Bordeaux zu Monaco und hat grossen Anteil an der Entwicklung des Supertalents.
«Tchouaméni ist ein besonderer Spieler, weil er den Fussball versteht. Wenn man mit ihm spricht, merkt man das. Es gibt diese Spieler, die einfach nur spielen. Spieler, die nicht erklären können, was sie tun. Aber Aurélien analysiert immer, was vor sich geht und was passieren wird», so Moreno.
Und weiter: «Ich halte ihn für eines der grössten Talente Europas. Er ist robust, aber technisch versiert – ein kompletter Spieler. Und er kann sich weiter verbessern. Er könnte noch jahrelang bei Real Madrid bleiben und im nächsten Jahrzehnt zu einem der besten Mittelfeldspieler der Welt werden.»
Ein Sechser mit Qualitäten in der Offensive
Moreno erinnert sich auch an sein erstes Telefonat mit Tchouaméni. «Ich hatte den Eindruck, dass er sich besonders darauf konzentrierte, ein grosser Spieler zu werden. Er hatte einen klaren Plan für seine Karriere, obwohl er noch keine 20 Jahre alt war», so der Spanier. «Sein Denken war klar und er hatte den Willen, seine Ziele zu erreichen.»
In Monaco konnte er sich auf Anhieb durchsetzen und überzeugte in den letzten beiden Jahren vor allem mit seinen Balleroberungen. Die Statistik spricht eine klare Sprache: Mit 97 Tacklings und 114 abgefangenen Bällen (Quelle: fbref.com) ist Tchouaméni statistisch gesehen der beste Spieler der abgelaufenen Ligue-1-Saison, wenn es darum geht, dem Gegner den Ball abzuluchsen.
Den jungen Franzosen auf seine defensiven Fähigkeiten zu beschränken, wäre aber falsch. Zumindest wenn man den Worten von Robert Moreno Glauben schenkt. «Er hat auch die Fähigkeit, ein offensiver Mittelfeldspieler zu sein. Die Datenanalyse hat gezeigt, dass er viele Pässe spielt, welche die Linien durchbrechen», so der inzwischen vereinslose Coach, der 2019 auch für ein paar Monate als Nationaltrainer Spaniens amtete.
Tchouaméni könne seine Gegenspieler nicht nur mit klugen Pässen überwinden, sondern die Linien auch mit dem Ball am Fuss durchbrechen. «Das ist sehr selten», sagt Moreno. «Der Rhythmus seines Passspiels und seine Geschwindigkeit sind beeindruckend.» Und auch vor dem Tor ist der Youngster durchaus gefährlich. Das 1,87 Meter grosse Juwel verfügt über einen guten Schuss, ist kopfballstark und weiss, wie er in den Strafraum eindringen und sich darin verhalten muss.
Acht Tore und sieben Assists in 95 Spielen für Monaco sind ein guter Wert für einen defensiven Mittelfeldspieler. Trotzdem denkt Moreno, dass Tchouaméni seine Torausbeute noch verbessern kann: «Ich weiss nicht, warum er sich in den Kopf gesetzt hat, im defensiven Mittelfeld zu spielen. Er muss darauf vertrauen, dass er in den Strafraum kommen kann, denn er hat die Qualität, Tore zu schiessen.»
Etwas zwischen Kanté, Pogba und Iniesta
Aufgrund seiner Statur und seines Spielstils wird Tchouaméni gerne mit Paul Pogba verglichen. Doch Pogba ist längst nicht der einzige Star, von dem der Youngster abzuschauen versucht. «Wenn man zu den Besten gehören will, muss man sich von den Besten inspirieren lassen», sagte er bei «The Ligue 1 Show». «Ich schaue mir an, wie Pogba mit dem Ball umgeht, wie N'Golo Kanté den Ball erobert, Patrick Vieiras Box-to-Box-Stil oder wie Andrés Iniesta, Cesc Fabregas und Xavi den Ball spielen. Und ich liebe es, Kevin De Bruyne spielen zu sehen.»
Der neunfache französische Nationalspieler sieht sich noch lange nicht am Zenit angekommen und will sich weiter verbessern. «Ich bin ein neugieriger Mensch und stelle oft Fragen, um Fortschritte zu machen, sei es mit dem Verein oder für die Nationalmannschaft», sagt er. «Ob ich mir auch Notizen mache? Wenn ich Ihnen mein Handy zeigen würde, würden Sie einige Dinge sehen, aber das ist privat.»
Real Madrid darf sich also auf einen weiteren Hoffnungsträger freuen. Nach der Verpflichtung von Eduardo Camavinga im letzten Sommer scheinen die Königlichen gerüstet für die Ära nach Toni Kroos und Luka Modric. Man darf aber zumindest auch gespannt sein, ob Aurélien Tchouaméni sein gigantisches Preisschild rechtfertigen kann.