Deutschland hat bei dieser WM Ruhe und Souveränität noch nicht gefunden. Vor dem kapitalen Spiel gegen Spanien am Sonntag ist Trainer Hansi Flick mehr denn je ein Krisenmanager.
Mit einer internen Aussprache hat Hansi Flick versucht, das Spiel gegen Japan hinter sich zu lassen und die Partie gegen Spanien in den Fokus zu bekommen. Verschweigen oder einfach abhaken liess sich das Debakel gegen die Asiaten nicht. Dafür hatte es für zu viel Wirbel gesorgt. Einige wichtige Spieler fanden deutlich Worte und äusserten unverblümt Kritik. Ilkay Gündogan etwa, der fand, zu viele seiner Mitspieler hätten nicht die nötige Verantwortung im Spiel übernommen.
Am Donnerstagnachmittag gab Flick seiner Mannschaft im Zulal Wellness Resort die Möglichkeit zur «Chropfleerete». Gemäss deutschen Medien fielen dort nochmals sehr deutliche Worte. Es soll im ungewöhnlich lange dauernden Meeting in erster Linie um mangelnde Entschlossenheit und Solidarität gegangen sein. Die Liste der Dinge, die gegen Spanien besser laufen müssen als gegen Japan, ist lang.
Flick steht vor einer in kürzester Zeit zu bewältigenden Mammutaufgabe. Der 57-Jährige hatte nach der erfolgreichen Assistenzzeit an der Seite von Joachim Löw inklusive dem WM-Titel 2014 scheinbar mühelos wieder den Sprung zum Chef geschafft. Nach einer Zwischenstation als Sportdirektor des deutschen Verbandes gewann er mit Bayern München alles, was es zu gewinnen gab. Und auch der Start als Bundestrainer verlief nach der verpatzten EM nach Wunsch. Doch zuletzt haperte es. Plötzlich ist er mehr Krisenmanager als jemals zuvor in seiner Karriere.
Familientreffen und viele Probleme
Flick hoffte, dass seine Delegation in der Luxusanlage des abgelegenen Städtchen Al-Ruwais die nötige Ruhe finden würde. Doch die Stunde Fahrzeit nach Doha half den Deutschen bisher nicht, Distanz zu gewinnen. Die Heimat ist ganz nahe. Wegen der Menschenrechtslage in Katar, wegen der Affäre um die Captainbinde spüren Manuel Neuer und Co. den Atem der Landsleute im Nacken. Mal prasselt Kritik auf sie ein, mal schlägt ihnen Gleichgültigkeit entgegen.
Es gilt für Flick die richtige Mischung zu finden zwischen berechtigter Kritik und aufbauenden Worten, zwischen brisantem internen Meeting und Familientreffen. Die meisten Angehörigen der Spieler sind unweit in einem Hotel untergebracht und durften nach dem Match gegen Japan zwei Nächte lang bei den Spielern verbringen. Es gehe darum, «die Mannschaft so hinzukriegen, dass sie daran glaubt, das Ding noch in die richtige Richtung zu schieben», erklärt Flick.
Was kann Flick tun, um die Mannschaft hinzukriegen? Derzeit scheint es, als würde aus jedem gelösten oder angegangen Problem ein neues entstehen: Symptomatisch für die Lage des vierfachen Weltmeisters ist, dass er wegen der Medienkonferenz vor der Partie gegen Spanien erneut in einen Streit mit der FIFA geraten ist. Die Deutschen hätten diese gerne in der Nähe ihres Trainingscamps durchgeführt und nicht im für sie zu weit entfernten Doha. Durch die Fahrzeit gerät ihr Programm durcheinander, beklagten sie.
Sané als Hoffnungsträger?
Einige Erkenntnisse hat Flick aus dem Match gegen Japan gewonnen. Dass der fehlerhafte und zögerliche Nico Schlotterbeck seinen Platz in der Innenverteidigung an Niklas Süle verlieren wird, scheint klar. Dass Ilkay Gündogan nicht mehr so rasch ausgewechselt wird wie gegen Japan, dürfte genauso ausgemacht sein. Personell darf Deutschland auf die Rückkehr von Leroy Sané hoffen. Der unberechenbare Dribbler von Bayern München hat seine Knieverletzung ausreichend auskuriert, um wieder im Training mitzumachen.
Wer auch immer am Sonntagabend in Al-Khor auf dem Platz stehen wird. Ein Sieg muss wohl her, um noch ernsthaft an die Achtelfinals glauben zu können. Und derzeit spricht nicht gerade viel für das problembeladene Deutschland gegen ein Spanien, das auf der Erfolgswelle reitet.
sda