Von einiger Skepsis begleitet ins Turnier gestartet, mausern sich die Niederlande zu einem Anwärter auf den EM-Titel. Die Kritik am Systemwechsel verstummt, Denzel Dumfries ist der Mann der Stunde.
Die Botschaft war nicht zu übersehen und unmissverständlich: «Frank, wie immer 4-3-3» stand auf dem Banner, welches das Flugzeug am Himmel über dem Trainingscamp der Niederländer in Zeist hinter sich herzog. Absender waren Fans der Elftal, der Adressat Bondscoach Frank de Boer, der es doch tatsächlich wagte, am sakrosankten niederländischen Spielsystem zu schrauben.
Auf Gehör stiess die Forderung bei De Boer nicht, und nach zwei Gruppenspielen lässt sich festhalten: Das war wohl gut so. In einem 5-3-2 holte die Elftal gegen die Ukraine (3:2) und Österreich (2:0) das Punktemaximum und qualifizierte sich vorzeitig für die Achtelfinals.
Schlüsselspieler Dumfries
Man kann sich ausmalen, was in den Niederlanden los wäre, wenn De Boers mutiger Taktik-Kniff nicht aufgegangen wäre. Weil in den ersten EM-Partien aber nicht nur die Resultate stimmten, sondern auch die Art und Weise, flacht die Kritik ab. Und weil der eine oder andere Fan keine Grautöne kennt, sehen einige die Niederlande nach zwei weitestgehend überzeugenden Auftritten sogar schon als Titelanwärter.
Spieler wie Frenkie de Jong, Georginio Wijnaldum oder Memphis Depay stehen für gehobenes internationales Format. Auf der Bank finden sich Spieler wie Donyell Malen, Nathan Aké oder der erst 19-jährige Ryan Gravenberch, die ebenfalls den Unterschied machen können. Dass das 5-3-2 mit diesem Kader Sinn macht, zeigt indes Denzel Dumfries.
Der 25-jährige rechte Aussenverteidiger von PSV Eindhoven, der erst mit 18 Jahren aus einer Amateurliga zu Sparta Rotterdam in professionelle Strukturen kam, ist bisher der Schlüsselspieler der Oranje. Er war an allen fünf erzielten Toren beteiligt und traf in beiden Spielen. Gegen die Ukraine erzielte er das späte 3:2, nachdem die Mannschaft ein 2:0 aus den Händen gegeben hatte. Gegen Österreich holte er nach zehn Minuten den Penalty zur Führung heraus und war er Schütze des 2:0. «Es beginnt, sich wie ein Märchen anzufühlen», sagte er.
Raum für Rotation
Das grösste Manko der Niederlande ist bislang die Chancenverwertung. «Wir hätten höher gewinnen können. Aber ich bin sehr zufrieden, auch wenn wir am Ball nicht unser bestes Spiel gemacht haben», sagte De Boer nach dem 2:0 gegen Österreich, mit dem sich die Mannschaft vorzeitig den Gruppensieg sicherte.
Beim bedeutungslosen Vorrunden-Abschluss gegen Nordmazedonien kann De Boer am Montag nun den einen oder anderen Spieler schonen. Wie genau er das Duell mit dem bereits ausgeschiedenen EM-Neuling angehen wird, liess der Coach aber noch offen. «Das werden wir in Ruhe mit allen Beteiligten besprechen», sagte der 51-Jährige. Die Rückkehr zum geforderten 4-3-3 dürfte keine Option sein.