«Das ist der Gral» Aufsteiger Ajoie wie die unbeugsamen Gallier – aber ohne Zaubertrank

ck, sda

29.4.2021 - 16:01

Der kleine HC Ajoie mischt kommende Saison mit den Grossen im Schweizer Eishockey mit. Die Begeisterung in der Region über den Aufstieg ist riesig – trotz, oder gerade wegen, der begrenzten Mittel.

Keystone-SDA, ck, sda

Es geht auf Mitternacht zu in der Ajoie, doch aus allen Ecken tauchen aus dem Dunkeln Gestalten auf, die sich Richtung Voyebeouf bewegen. Das Städtchen Pruntrut und eine ganze Region stehen Kopf. Corona ist in dem Moment weit weg, Feste muss man feiern, wie sie fallen. Mehrere hundert Fans versammeln sich vor der Eishalle und singen aus vollen Kehlen: «On est en Ligue A!» Der HC Ajoie gehört wieder zur Elite des Schweizer Eishockeys, diese heisst zwar – nicht mehr wie beim letzten A-Abenteuer vor 28 Jahren – National League, doch es passt zu einem Klub, der den modernen Prinzipien von Marketing und Selbstdarstellung so gar nicht entspricht.

Drinnen, wo nur 50 Zuschauer erlaubt waren, wischt sich Philip-Michaël Devos verstohlen ein paar Tränen aus den Augen – zum zweiten Mal an diesem Mittwoch. Wenige Stunden vor dem Beginn des sechsten und letztlich entscheidenden Sieges gegen Kloten (5:4 nach Verlängerung) erfahren der Kanadier und seine Teamkollegen vom Entscheid des Vorstandes, das Budget auf rund 7 Millionen Franken zu verdoppeln und den bevorstehenden Aufstieg anzunehmen.



«Ich habe geweint, als ich vom Entscheid hörte», sagt er nun. «Ich wollte nicht weg. Es war mein Traum, aufzusteigen und hierzubleiben.» Zusammen mit seinem kongenialen Landsmann Jonathan Hazen stand der PostFinance-Topskorer der Jurassier in den letzten zwei Wochen noch mehr im Fokus als üblich, nachdem durchgesickert war, dass die beiden in Kloten einen Vertrag unterschrieben hatten, der im Fall eines Aufstiegs der Zürcher Unterländer gültig geworden wäre. «Ich wollte es unbedingt mal in der National League versuchen», erklärt er entschuldigend. Sagenhafte 440 Tore (241 von Hazen, 199 von Devos) haben die beiden in sechs Saison mit Ajoie erzielt. Nicht nur sie wollen wissen, wie ihre Zahlen eine Liga höher aussehen werden. «Nun habe ich beides», sagt der Franko-Kanadier und strahlt. Es ist zwei Tage nach seinem 31. Geburtstag wohl das grösste Geschenk.

Aufstieg vor Meistertitel und Spengler Cup

Devos und Hazen dürften auch in der National League bestehen können, ob dies auch für Ajoie gilt, bleibt abzuwarten. «Im Moment völlig egal», meint Mathias Joggi und zieht lachend an einer Meisterzigarre. «Das steht ganz zuoberst in meiner Karriere», schwärmt der Routinier mit über 800 Partien in den Nationalligen. «Ich habe letzten Jahr im Cupfinal zwei Tore geschossen, war mit Davos Meister und gewann den Spengler Cup, aber das entscheidende Tor zum (Swiss League) Meister und Aufstieg ist die Nummer 1», erzählt der gebürtige Bieler der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Sein Erfolgsrezept ist so simpel wie vielsagend: «Familie, Teamspirit, Kampf.» Viele hätten gedacht, dass Kloten da durchlaufe, aber «man hat ein bisschen vergessen, dass wir in der Qualifikation gleich viele Punkte holten.» Und Joggi gibt auch zu, dass «wir sicher in der einen oder anderen Situation auch Glück hatten. Aber wir haben es uns erkämpft.» Das gilt insbesondere für das entscheidende sechste Spiel, in dem Kloten die bessere Mannschaft war. Die grössere Leidenschaft brachten aber die Jurassier aufs Eis. Oder wie es Jordane Hauert, Captain und Sohn des Präsidenten, ausdrückt: «Das ist der Gral, ich kann es nicht anders sagen.»



Mindestens zwei Jahre National League

Auf der Schweizer Karte liegt Pruntrut, die Heimat des HC Ajoie, etwa da, wo in den Asterix-Comics das gallische Dorf der unbeugsamen Gallier liegt: ganz am Rand oben links. Als Kämpfer gegen eine zahlenmässig und finanziell unerreichbare Übermacht sehen sich auch die Jurassier. Trotz Stadion-Neubau und verbesserter Infrastruktur werden sie in der kommenden Saison krasser Aussenseiter mit dem kleinsten Budget sein. Nach dem letzten Aufstieg folgte postwendend der Abstieg und der finanzielle Kollaps. Diesmal wird beides nicht passieren. Seit 21 Jahren steht der Unternehmer Patrick Hauert an der Spitze des damaligen 1.-Liga-Klubs. Er steht für Vernunft und Bodenständigkeit.

Einen Druiden wie Frey, Strebel oder Mantegazza mit einem Zaubertrank haben die Gallier aus dem hintersten Jura nicht. Corona macht die Budgetierung schwieriger, aber es sorgt auch dafür, dass es nächstes Jahr wiederum keinen Absteiger geben wird. Das Abenteuer wird also mindestens zwei Jahre dauern.