Alpinismus Wie ein Engländer am 1. August die Spitze der Schweiz eroberte

Von Philipp Dahm

1.8.2020

Die Leistung scheint dem Datum angemessen: Der höchste Berg des Landes wird an einem 1. August erstmals erklommen. Der Heldenepos von der Dufourspitze hat bloss einen «Haken» – ihr Bezwinger war Engländer. 

Der Schweizer Alpen-Club wird 1863 gegründet, die Österreicher sind mit ihrem Alpenverein ein Jahr früher dran. Doch ausgerechnet eine Insel hängt die Bergnationen ab: Der britische Alpine Club, Gründungsjahr 1857, hat weltweit die längste Tradition.

Jene Jahre gehen als Goldene Zeitalter des Alpinismus in die Geschichtsbücher ein. 1854 werden in den Walliser Alpen erstmals Dunantspitze und Strahlhorn bestiegen. Und einer, der auch bei der Matterhornbezwingung 1865 dabei sein wird, macht sich ausgerechnet am 1. August 1855 auf, um den höchsten Gipfel des Landes ein erstes Mal zu erklimmen. Bloss Schweizer ist dieser Bergsteiger nicht: Die Rede ist von Charles Hudson.

Viele der Viertausender werden in jener Zeit von Engländern zum ersten Mal bestiegen. Doch der Erfolg ihrer Seilschaften wäre ohne die lokalen Bergführer undenkbar. Zusammen sorgen Briten und Schweizer Alpenpioniere ausserdem dafür, dass der Berg-Tourismus erste, zarte Gehversuche macht. Drei Zermatter bauen 1853 beispielsweise das Hotel am Riffelberg in gut 2'500 Meter Höhe auf. Eine Bahn gibt es damals noch nicht – und die Baumaterialien müssen ebenso wie später die Versorgungsgüter mit Lasttieren herbeigeschleppt werden.

Eine Fotochrom-Aufnahme des Hotels am Riffelberg. Das Bild dürfte vor rund 110 Jahren entstanden sein.
Eine Fotochrom-Aufnahme des Hotels am Riffelberg. Das Bild dürfte vor rund 110 Jahren entstanden sein.
Bild: Gemeinfrei

Das Hotel ist Startpunkt der Seilschaft am 31. Juli 1855. «Nachdem wir einige Tage auf wirklich gutes Wetter gewartet haben, um die Königin der Alpen zu bezwingen, beschlossen wir, am 31. Juli zu beginnen», beschreibt Charles Hudson den Auftakt zum Gipfelsturm.

Erfahrene Seilschaft

«Es war gegen ein Uhr morgens, als die Gruppe am Hotel am Riffelberg aufbrach. Es war eine herrlich helle Mondschein-Nacht und der prächtige Gletscher des Breithorn und Lyskamm lagen zu unserer Rechten, als wir leise in die Hänge zum Riffelhorn und hinab zum Gorner Eisstrom stiegen, der vom Fuss der Monte-Rosa-Kette fliesst», schreibt Hudson 1856.

Der Engländer ist Priester der anglikanischen Kirche – ebenso wie die ihn begleitenden Brüder Christopher und James Smyth. Die beiden haben im Vorjahr erfolglos versucht, das Monte-Rosa-Massiv zu bezwingen. Zur Seilschaft zählen ausserdem Hudsons Freund John Birkbeck und der Engländer Edward John Stephenson.

Die Dufourspitze ist 4'634 Meter hoch.
Die Dufourspitze ist 4'634 Meter hoch.
Bild: Keystone

Die heimlichen Helden des Aufstiegs sind jedoch die Bergführer: Ulrich Lauener aus Lauterbrunnen und die Gebrüder Zumtaugwald. Lauener ist ein 34 Jahre alter, erfahrener Alpenspezialist, der mit Alfred Wills im Vorjahr das Wetterhorn bestiegen hat. Die Zumtaugwalds aus Zermatt sind Ortskundige im besten Sinne des Wortes: Ihr Familienname lässt sich bis ins Spätmittelalter zurückverfolgen. 

Schweizer ebnen den Weg

Matthäus Zumtaugwald ist damals 30 Jahre alt, hat aber schon als Zwanzigjähriger das Breithorn bestiegen und sich 1847 erfolglos an der Dufourspitze versucht. 1848 meisterte er den Ostgipfel und das Ulrichhorn. Sein Bruder Johannes Zumtaugwald ist 29 Jahre alt: Er wird in den folgenden Jahren noch die Viertausender Dom, Rimpfischhorn und Täschhorn erklimmen. Ihr Bruder Stefan Zumtaugwald ist ebenfalls Bergführer, bevor er Priester wird.

Die Schweizer ebnen den Engländern den Weg an die Spitze. «Wir erreichten den Fuss eines Steilhangs mit einem schmalen Schneegrat, als Lauer vorausging und gute Dienste mit seiner Hacke leistete, mit der er Stufen in den Schnee schnitt, wodurch der Rest der Gruppe leicht aufsteigen konnte», lobt Hudson in seinen Erinnerungen.

Der Aufstieg verlangt den Männern alles ab. «Diejenigen aus unserer Gruppe, die zuvor oder danach den Mont Blanc bestiegen haben, sehen den Monte Rosa als den schwierigen der beiden an, obwohl er sehr viel weniger Zeit braucht.» Oben angekommen bestaunen sie ausgiebig «das wundersame Panorama, das sich zu ihren Füssen ausbreitet».

Tod am Matterhorn 

Es ist diese «vielleicht unvergleichliche Schönheit» der Alpen, die die Bergsteiger zu Höchstleistungen anspornt, Charles Hudson zehn Jahre später aber auch das Leben kosten soll. Das Matterhorn wird sein Schicksal, als er 1865 mit einer Seilschaft zum Gipfel aufbricht. Die Seilschaft führt der Brite Edward Whymper an, der eigentlich als Illustrator in die Berge gekommen ist, dann aber sein Gefallen an den Felsen fand.

Der erfahrene britische Bergsteiger Francis Douglas und Hudsons relativ unerfahrener Schüler Robert Hadow, der in letzter Sekunde dazugestossen ist, komplettieren das Quartett. Angeführt wird die Seilschaft von Peter Taugwalder und seinem Sohn aus Zermatt sowie dem Franzosen Michel Croz. Beim Abstieg rutscht der 18-jährige Hadow aus und reist Hudson, Croz und Douglas mit sich in den Tod.

Die Leiche von Charles Hudson wird später geborgen und auf dem Friedhof der 1870 eingeweihten anglikanischen Kirche in Zermatt beigesetzt. Sein Name bleibt jedoch – zumindest bei Alpen-Freunden – auf ewig ein Begriff.

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