Fragen und Antworten Das hält Corona für den Winter bereit

Von Uz Rieger

5.11.2022

Spital-Personal bei einem Corona-Patienten im vergangenen Winter.
Spital-Personal bei einem Corona-Patienten im vergangenen Winter.
Archivbild: Keystone

Der dritte Winter mit Sars-CoV-2 steht bevor. Die Ausgangslage scheint derzeit besser zu sein als auch schon. Angesichts neuer Virus-Varianten ist Vorsicht aber weiter angebracht.

Von Uz Rieger

Die Herbst-Welle scheint gebrochen. Mit rund 24'000 neuen Corona-Fällen innerhalb von sieben Tagen sind die Neuansteckungen in der Schweiz in dieser Woche im Vergleich zur Vorwoche um 21 Prozent gesunken. Auch betreffend der Spitaleintritte und Todesfälle meldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Dienstag sinkende Zahlen. Für den Winter geben Expert*innen dennoch keine Entwarnung.

Was kommt mit neuen Varianten auf dich zu?

In der Vergangenheit wurde das Infektionsgeschehen lange von jeweils einer Virusvariante dominiert. Inzwischen wird es unübersichtlicher, denn es kursieren viele verwandte Virusmutationen zugleich. Experten sprachen bereits von einer «Varianten-Suppe». Die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC rechnete zuletzt mit einem Anstieg der Fallzahlen durch den Omikron-Abkömmling BQ.1 und dessen Sublinie BQ.1.1. Daneben beobachtet die Weltgesundheitsorganisation weitere Omikron-Sublinien.

Diese Untervarianten weisen zusätzliche Mutationen auf, durch welche sie die Immunabwehr teils umgehen können, sagte Tanja Stadler von der ETH Zürich dem «Tages-Anzeiger». Da sich die Varianten derzeit zahlenmässig etwa einmal pro Woche verdoppelten, dürften sie im November laut der Biostatistikerin dominant werden. Sobald das so weit sei, erwartet Stadler, dass sich viele Personen – auch Geimpfte und Genesene – anstecken.

Immerhin sehen die Fachleute bislang noch keine Anzeichen dafür, dass diese Varianten schwerere Krankheitsverläufe auslösen als die bislang bekannten Omikron-Varianten.

Droht im Winter eine neue Corona-Welle?

«Generell ist wegen neuer und noch ansteckenderer Virusvarianten wohl mit einer nochmals steigenden Virusaktivität zu rechnen», erklärt der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri blue News. Allerdings sei derzeit noch nicht verlässlich abzuschätzen, wie stark die Welle dann ausfallen werde.

Mit einem Anstieg der Fälle rechnet auch das Bundesamt für Gesundheit. Hier erwartet man zudem angesichts «der aktuellen Daten, dass BQ.1.1 bis in wenigen Wochen die dominierende Omikron-Untervariante in der Schweiz sein wird», wie Mediensprecher Simon Ming blue News auf Nachfrage sagt.

Zu Covid gesellt sich nun auch die Grippe –  welche Gefahren drohen hier?

Neben dem Coronavirus dürften auch die Grippeaktivität und weitere Atemwegsviren im kommenden Winter die Situation verschärfen. «Das sehen wir schon jetzt», bestätigt Rudolf Hauri. Man müsse hier zudem mit überlagerten Erkrankungen rechnen. «Es ist möglich, dass es zu Co-Infektionen kommen wird. Eine Ansteckung mit dem einen Virus schützt nicht vor einer Ansteckung mit dem anderen Virus», warnt auch BAG-Sprecher Ming. Die Grippe allein fordere jedes Jahr eine «Vielzahl von Todesfällen». Deshalb empfehle das BAG auch eine Influenza-Impfung.

Tanja Stadler von der ETH Zürich befürchtete im «Tages-Anzeiger», dass es aufgrund der Kombination der Erreger «zu vielen Krankschreibungen und einer hohen Bettenbelegung in den Spitälern kommen wird». Im Falle einer grossen Welle werde sich die Krankheitslast dann in allen Bereichen bemerkbar machen. Und das werde die Gesellschaft dann sofort zu spüren bekommen, etwa beim Pflegepersonal, in den Schulen, Kitas und dem ÖV, so Stadler.

Und was lässt das für die Lage in den Spitälern erwarten?

Vor einer Belastung der Gesundheitsversorgung in den Wintermonaten «in einem kritischen Ausmass» warnten erst in der letzten Woche die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) gemeinsam mit der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) und dem Spitalverband H+. Die Organisationen fordern in einer gemeinsamen Mitteilung «kurzfristige Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Behandlungsteams», da zum Personalmangel eine Zunahme der Hospitalisierungen aufgrund von Covid-Erkrankten zu rechnen sei.

Weniger dramatisch sieht die Sache derzeit Kantonsarzt Hauri, auch wenn er sich ebenfalls sicher ist, dass die Spitäler einen Anstieg der Patient*innen merken werden. Allerdings müsse man «derzeit nicht eine eigentliche Überlastung der heute jedoch wegen Personalmangel beeinträchtigten Spitäler in Betracht ziehen», so Hauri. Völlig ausschliessen lasse sich dieses Szenario aber auch nicht. Klar sei jedoch auch, dass sich etwa die Arztpraxen auf «viele Konsultationen wegen Erkrankungen der Atemwege und -organe einstellen» müssten.

Wie gut ist die Schweiz generell auf die nächsten Monate vorbereitet?

Trotz dem zu erwartenden Anstieg bei den Fallzahlen gibt es auch einige gute Nachrichten – die Ausgangslage erscheint inzwischen weitaus besser als noch vor ein oder zwei Jahren: Ein Grossteil der Bevölkerung weist durch Impfungen oder durchgemachte Erkrankungen Antikörper auf und dürfte nach Meinung von Experten deshalb einen guten Schutz vor schweren Verläufen haben.

Auch seien hygienisches Verhalten und individuelle Schutzmassnahmen inzwischen gut bekannt, so Hauri. Neben guten Impfungen, die man zudem auch auffrischen könne, stünden zudem Medikamente für die Behandlung bei einer Corona-Infektion zur Verfügung. «Insofern liegt eine gute Vorbereitung vor», ist sich Hauri sicher.

Welche verpflichtenden Massnahmen könnte man rasch ergreifen, falls eine Überlastung der Spitäler droht?

Angesichts der derzeitigen Lage fordert der Tessiner Infektiologe Andreas Cerny im «Tages-Anzeiger» bereits eine rasche Einführung der Maskenpflicht im ÖV. Das BAG verweist unterdessen darauf, dass in der derzeit bestehenden normalen Lage die Kantone für die Anordnung von Massnahmen zuständig sind.

Hier könnten entsprechende Massnahmen, falls notwendig, indes rasch umgesetzt werden, falls es notwendig wird, teilt Rudolf Hauri mit. Sehr schnell ginge etwa die Wiedereinführung einer Maskenpflicht in Innenräumen und Gesundheitseinrichtungen, auch in Kombination mit der Abstandsregel. Denkbar seien zudem wieder gewisse Zutrittsregelungen für Gesundheitsinstitutionen und Heime. Dabei könne es sich etwa um eine Einschränkung der Zahl zeitgleicher Besucher handeln. Verbote hält Hauri indes für «wenig wahrscheinlich».

Welche freiwilligen Massnahmen sind zu empfehlen?

«Es gilt: Wer sich schützen will, soll das tun», sagt Hauri. In diesem Fall sei das Maskentragen in engen Räumen oder im ÖV ebenso wie Abstandhalten weiterhin eine gute Massnahme. Zugleich verweist er auf die bekannten Hygieneempfehlungen: Regelmässiges Händewaschen mit Seife und Niesen in die Ellenbeuge würden zur Grundhygiene beitragen. Auch solle man bei Fieber, Husten und Krankheitszeichen nicht zur Arbeit gehen oder zumindest bei der Arbeit konsequent eine Maske zum Schutz der anderen tragen.

Wer sollte sich jetzt impfen lassen?

Weil der Spiegel der gebildeten Antikörper vier Monate nach der letzten Impfung deutlich absinkt und man damit wieder empfänglich für eine neue Ansteckung wird, empfiehlt Infektiologe Cerny all jenen eine Auffrischimpfung, die eine Ansteckung vermeiden wollten.

Eine Impfung oder ein Booster wird laut Hauri derzeit besonders «älteren Personen, aber auch besonders gefährdeten, Schwangeren und Personen mit Trisomie 21 empfohlen». Indes könnten alle Personen, die älter als 16 Jahre alt seien, eine zweite Auffrischung erhalten.

Tanja Stadler gibt zudem zu bedenken, dass ein Booster auch das Risiko eines schweren Verlaufs und für Long Covid senke. Allerdings sei aufgrund der momentanen Daten derzeit nicht ersichtlich, wie hoch dieser Schutz tatsächlich ausfalle.