Immobilien-BlaseDarum zieht China gerade westliche Aktienmärkte ins Verderben
Von Philipp Dahm
20.9.2021
Die Hongkonger Börse zieht gerade auch westliche Aktien-Indizes mit sich in die Tiefe. Schuld daran ist eine Immobilienblase, die durch drei Faktoren in luftige Höhen gestiegen ist, aber wegen der Pandemie nun zu platzen droht.
Von Philipp Dahm
20.09.2021, 18:01
20.09.2021, 18:57
Philipp Dahm
Chinas Wirtschaft hat ein Problem. Der Immobilienmarkt ist hochgradig aufgeblasen, die Preise haben astronomische Höhen erreicht. Der Grund dafür ist das künftige erwartete Wachstum: Selbst der Kauf einer Bruchbude bietet sich für Spekulanten und Bürger an, weil es bisher garantiert schien, dass die Preise weiter steigen.
Auch die Bürger mischen auf dem Immobilienmarkt mit: Ihr Einkommen ist zwar laut Statista von 6300 Yuan im Jahr 2000 auf 43'800 Yuan im Jahr 2020 gestiegen, doch China liegt immer noch weiter hinter dem Westen zurück. Dort liegt das verfügbare Einkommen laut OECD 2021 bei 4638 Franken, während es in Deutschland 31'958 und in den USA 42'196 Franken sind.
So wie man sich im Westen daran gewöhnt hat, dass insbesondere Hightech-Unternehmen mitunter 100-mal mehr wert sein können, als sie im Jahr verdienen, haben sich auch Chinesen damit abgefunden, dass Häuser und Wohnungen sündhaft teuer sind und vielleicht das Fünfzigfache dessen kosten, was dort ein Mensch im Jahr verdient.
Kaum Alternativen zum Immobilien-Investment
Regionale Regierungen haben zwar versucht, den Run auf Wohnungen und Häuser abzubremsen, indem jeder Haushalt nur noch eine bestimmte Anzahl von Immobilien kaufen durfte, doch findige chinesische Paare umgehen die Bestimmung: Sie lassen sich scheiden, um die Zahl der erlaubten Immobilien zu verdoppeln.
Kein Wunder – denn in welchem anderen Bereich sollten Chinesen auch investieren? Das Geld gezielt in einzelne Firmen zu stecken, ist riskant, denn oft genug wachsen sie nicht so schnell wie die gesamte Wirtschaft. Wenn es darum geht, Firmen über Peer to Peer direkt zu unterstützen, haben die Chinesen auch schlechte Erfahrungen gemacht.
Erst vor einem Jahr ging eine entsprechende Crowdfunding-Plattform unter, die Schulden in Höhe von rund 115 Milliarden Franken angehäuft hatte. Sprich: Für Investitionen ist der Immobilienmarkt in China beinahe schon alternativlos.
Soziale Faktoren lassen Blase weiter steigen
Ein dritter Faktor, der zum Boom beigetragen hat, ist der soziale Aspekt. Schuld daran ist das Hukou-System der ständigen Wohnsitzkontrolle. Gemäss dieser haben Einwohner nur an dem Ort ein Recht auf staatliche Leistungen, in dem sie gemeldet sind.
Wenn also zum Beispiel Eltern vom Land in eine Stadt zügeln, lassen sie ihre Kinder meist in ihrem Heimatdorf, damit diese zur Schule gehen können. Können sie sich jedoch eine Immobilie in der neuen Heimat leisten, können sie sich anmelden und auch ihre Kinder nachholen.
In einem Land, das durch die Einkindpolitik einen Überschuss an Männern hat, ist es für Singles ausserdem deutlich leichter, eine Frau zu finden, wenn sie ihr ein eigenes Heim bieten können. Und so aktivieren Interessierte alle Kanäle, leihen sich Geld von Freunden und Familie und tun alles, um sich zumindest eine karge Zweizimmerwohnung in einem Vorort einer Grossstadt leisten zu können.
Massnahmen verlaufen im Sande
Peking hat diese Trends erkannt und versucht gegenzusteuern. Für den Kauf von Zweit- oder Drittwohnungen müssen inzwischen höhere Anzahlungen geleistet werden. Die Einführung von höheren Steuern auf Immobilienbesitz könnte Abhilfe schaffen, doch damit tut sich die Zentralregierung seit Jahren schwer – wohl auch, weil der Markt inzwischen zu gross und zu wichtig geworden ist.
Ohnehin sind alle Versuche, den Preisanstieg zu bremsen, fehlgeschlagen: In Shanghai hat sich der nominale Immobilienpreis laut Global Property Guide zwischen 2003 und 2019 beinahe vervierfacht. Auch die Obergrenze, die einige Regionen für Immobilien eingeführt haben, wirkt nicht.
Wer etwa maximal drei Häuser kaufen kann, sieht zu, dass es sich um möglichst teure Immobilien handelt. Die Kehrseite: Bezahlbarer Wohnraum wird rar, während vermehrt in Luxus-Immobilien investiert wird.
Peking will Land zentral verpachten
Was kann China dagegen tun, dass die Immobilienblase irgendwann platzt? Die Regierung versucht, das System umzustellen, indem lokale Regierungen Land vermieten, das Investoren dann bebauen.
Um dem Wildwuchs einen Riegel vorzuschieben, soll solches Land künftig zentral vergeben werden, wobei auch die Mieten dann nicht mehr den Regionen zugutekämen. Diese Miet- und Pachteinnahmen sind enorm: 2020 sollen sie rund 1,21 Billionen Franken betragen haben.
Warum aber sollte diese Blase ausgerechnet jetzt platzen? Nach der Corona-Krise sind die Exportzahlen doch wieder in alten Höhen? Das mag zwar stimmen, aber der Wert dieser Exporte ist vor allem deshalb hochgegangen, weil zum Beispiel die Transportkosten angestiegen sind.
Verschuldung enorm gestiegen
Die Arbeitslosigkeit ist seit der relativ hoch. Unter Jugendlichen lag sie 2019 bei fast 11 Prozent – und das besagen offizielle Statistiken, die kaum nachprüfbar sind. Gleichzeitig hat offenbar ein gesellschaftliches Umdenken stattgefunden, denn Jugendliche haben keine Lust mehr, wie ihre Eltern viel zu arbeiten, um auch viel zu verdienen.
Durch die chinesische Politik hat sich mit den Jahren ein enormer Schuldenberg angehäuft. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die Verschuldung von 18 Prozent im Jahr 2008 auf 61 Prozent im Jahr 2020 hochgeschnellt – notabene in einem Zeitraum, in dem sich das BIP fast verdreifacht hat.
Solche Schulden sind nicht per se schlecht, doch in China ist dieses Geld eben vor allem in den Kauf überteuerter Immobilien geflossen, die auf Grundstücken gebaut wurden, die vom Staat gemietet werden.
Evergrandes 279-Milliarden-Offenbarung
Insofern hat sich die Krise, die jetzt Asien zu erfassen droht, abgezeichnet. Schon vor einem Jahr gab es Berichte, nach denen in den letzten Monaten nur in einer Branche das Geschäft richtig blüht: bei Schuldeneintreibern.
Und nun könnte der Zeitpunkt tatsächlich gekommen sein, an dem die Blase aus überhöhten Immobilienpreisen und Rekord-Schulden zum Platzen kommt, nachdem die Probleme von Evergrande öffentlich geworden sind.
Der Immobilienkonzern hat Schulden in Höhe von rund 279 Milliarden Franken angehäuft: Der angeschlagene Konzern muss frisches Geld auftreiben, um Banken, Zulieferer und Anleihe-Gläubiger fristgerecht zu bezahlen. Die Zahlungsunfähigkeit droht, wenn die nächsten Zinsen fällig werden, berichtet «Bloomberg».
China zieht westliche Börsen runter
Seit Jahresbeginn ist der Kurswert von Evergrande um 80 Prozent gefallen. Die Lage ist so verzweifelt, dass der Konzern am Wochenende Anlegern anbot, sie mit Immobilien zu entschädigen. Das Angebot richtet sich demnach an Käufer von Vermögensverwaltungsprodukten des Unternehmens. Auch wurde ein Fehlverhalten mehrerer hochrangiger Manager eingeräumt: Sechs Führungskräfte haben demnach mehrere Anlageprodukte des Unternehmens illegal im Voraus eingelöst.
Auch heute gab die Aktie in Hongkong noch einmal um 10,6 Prozent nach. Der Hongkonger Hang Seng Index fiel im Verlauf des Tages um 3,3 Prozent. Im restlichen China sind die Börsen heute und morgen wegen Feiertagen geschlossen.
Die schlechten Zahlen haben auch andere Märkte mit heruntergezogen. Der SMI liegt derzeit 1,82 Prozent im Minus, beim deutschen Dax sind es aktuell 2,31 Prozent und in New York steht der S&P-500-Index rund 1,5 Prozent schlechter da als am Freitag. Ob die Talfahrt im Westen weitergeht, wird jedoch im Fernen Osten entschieden.