Sorgen um Konjunktur Wachstumseinbruch lässt Chinesen um ihre Jobs fürchten

von Joe McDonald, AP

19.1.2019

Containerterminal im Hafen von Qingdao: Nicht nur der Handelsstreit mit den USA trübt die Aussichten der chinesischen Wirtschaft.
Containerterminal im Hafen von Qingdao: Nicht nur der Handelsstreit mit den USA trübt die Aussichten der chinesischen Wirtschaft.
Bild: Yu Fangping / XinHua

Bisher ging es stetig steil bergauf. Nun aber zeigt die chinesische Wirtschaft Schwächen. Immer mehr Arbeiter und Unternehmer geraten in Bedrängnis. Die verstärkten Ausgaben der Regierung können die Probleme kaum kaschieren.

Yu Mingang hatte einen soliden Job in der Finanzbranche. Doch seine Dienste als Buchprüfer sind inzwischen nicht mehr so gefragt. Seit Dezember ist er arbeitslos. Und die Aussichten auf eine neue Anstellung sind eher schlecht. Also muss der 25-Jährige aus der Stadt Hangzhou den Gürtel enger schnallen: keine Kino-Abende, keine Restaurant-Besuche, kein neuer Computer. «Für die Miete muss ich auf meine Ersparnisse zurückgreifen», sagt er.

Auf den ersten Blick steht die Wirtschaft Chinas noch immer gut da. Das für 2019 prognostizierte Wachstum von mehr als sechs Prozent liegt nur knapp unter den 6,5 Prozent des vergangenen Jahres. Doch es wird von höheren Staatsausgaben aufgebläht, die starke Rückgänge in anderen Bereichen verdecken. Im Privatsektor zeigen sich zunehmend Anzeichen für eine Krise.

Betroffen sind vor allem unabhängige Unternehmer und die urbane Mittelschicht. Ähnlich wie Yu stehen viele plötzlich vor finanziellen Schwierigkeiten. Der Handelsstreit mit den USA könnte die Lage zusätzlich verschärfen. «Ich fürchte, dass mein Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist. Daher halte ich mich bei den Ausgaben in allen Bereichen zurück – ob bei Kleidung, Urlaubsreisen oder neuen Smartphones», sagt die 32-jährige Anlageberaterin He Siying aus Peking.

Die Verunsicherung der chinesischen Konsumenten betrifft auch internationale Unternehmen, die in dem Land bisher gute Geschäfte machen konnten. Die Automobilverkäufe gingen 2018 zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten zurück. Japan und Südkorea verzeichneten zuletzt auch beim Export von Elektronik einen Rückgang. «Viele Menschen sind entlassen worden. Und viele der Betroffenen finden nur schwer einen neuen Job und geraten daher in Panik», sagt die 28-jährige Summer Li, die als Produktmanagerin für einen Elektronikkonzern arbeitet.

Der Rechnungsprüfer Yu aus Hangzhou verlor nach eigenen Angaben einen Job mit einem Jahreseinkommen von etwa 100 000 Yuan (knapp 13 000 Euro). «Grund dafür war die schlechte gesamtwirtschaftliche Lage», sagt er. Er sei dafür zuständig gewesen, Unternehmen im Vorfeld von Börsengängen zu unterstützen. Da viele Klienten ihre entsprechenden Pläne wegen rückläufiger Gewinne aufgegeben hätten, sei der Bedarf an seinen Diensten um ein Drittel eingebrochen.

Auf den ersten Blick steht die Wirtschaft Chinas noch immer gut da.
Auf den ersten Blick steht die Wirtschaft Chinas noch immer gut da.
Bild: Andy Wong/AP/dpa

Die Regierung hatte 2013 versprochen, gerade die für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und für mehr Wohlstand wichtigen Privatunternehmen besser zu unterstützen. Heute kritisieren Befürworter der eigentlich angekündigten Reformen, dass Präsident Xi Jinping stattdessen dazu übergegangen sei, die im Ölbranche, dem Bankensektor und in vielen anderen Branchen ohnehin dominierenden Staatsbetriebe noch weiter zu stärken.

Angesichts der drohenden Krise haben Xi und andere führende Politiker der Privatwirtschaft nun Steuersenkungen und andere Erleichterungen zugesagt. Ministerpräsident Li Keqiang forderte nach Angaben von Staatsmedien bei einem Treffen mit Bankmanagern im Dezember, 30 Prozent aller neuen Kredite an private Unternehmen zu vergeben. Die chinesische Zentralbank kündigte zudem einen 100 Milliarden Yuan (13 Milliarden
Euro) schweren Kreditfonds für Kleinunternehmen an.

Vieles dürfte allerdings vom weiteren Verlauf des Handelsstreits mit Washington abhängen. «Das Vertrauen der Konsumenten ist schwächer geworden und die Unsicherheit ist gestiegen. Der chinesisch-amerikanische Handelskrieg spielt dabei eine grosse Rolle», sagt Rajiv Biswas vom Marktforschungsunternehmen IHS Markit. «Im Hinblick auf die Wachstumsaussichten für 2019 liegt da ganz klar ein grosses Risiko.»

Die Lage auf dem chinesischen Arbeitsmarkt ist darüber hinaus auch durch Entwicklungen auf nationaler Ebene schwieriger geworden. Zum einen sind gerade Millionen Jobs in der staatlichen Kohle- und Stahlindustrie weggefallen. Zum anderen schicken Städte wie Peking und Shanghai seit
2017 Wanderarbeiter ohne offizielle Aufenthaltsgenehmigung fort. Die Behörden wollen damit der Überbevölkerung entgegenwirken. Viele lokale Unternehmen – ob in der Gastronomie oder im Einzelhandel – brauchen die Wanderarbeiter aber längst nicht nur als Angestellte, sondern zunehmend auch als Kunden.

In einem Autohaus in Peking ist der Umsatz um die Hälfte zurückgegangen. Grund dafür sei vor allem das Fehlen der Wanderarbeiter, die sich oft günstige Modelle ab 50 000 Yuan (etwa 6500 Euro) hätten leisten können, sagt der Verkaufsleiter, der im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP darum bittet, weder seinen Namen noch den der von ihm vertretenen Marke zu nennen. «Im Luxus-Segment sind die Verkäufe ebenfalls rückläufig, weil diese Kunden oft Unternehmen haben, die von Gastarbeitern abhängig sind», betont er.

Insgesamt ist das verfügbare Einkommen der Chinesen in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres zwar um 5,7 Prozent gestiegen. Allerdings lag der Anstieg 2017 noch bei 6,6 Prozent. Das Wachstum beim Einzelhandelsumsatz fiel im November mit 8,6 Prozent auf den schwächsten Wert seit fünf Monaten. Die Baubranche, die lange Zeit ganz wesentlich zum Boom der chinesischen Wirtschaft beitrug, gerät ebenfalls ins Straucheln.

Im Nordwesten des Landes seien finanziell angeschlagene Bauunternehmen bereits dazu übergegangen, beauftragte Firmen nicht mehr in bar, sondern durch Überlassung von Wohnungen auszuzahlen, sagt Anne Stevenson-Yang vom Finanzberatungsinstitut J Capital Research. Diese hofften, dass sie die Wohnungen später zu Geld machen könnten. Einige Projekte stünden derzeit allerdings zu drei Viertel leer.

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