Viele Brandherde Darum ist Chinas Wirtschaft eine «tickende Zeitbombe»

Von Philipp Dahm

16.8.2023

Sorgen um chinesischen Immobilienmarkt setzen Dax zu

Sorgen um chinesischen Immobilienmarkt setzen Dax zu

Weitere schlechte Nachrichten aus China haben die Dax-Anleger zum Wochenauftakt verunsichert. Der deutsche Leitindex notierte zum Handelsstart am Montag kaum verändert bei 15.829 Punkten. Für gedrückte Stimmung sorgten unter anderem Probleme beim kriselnden chinesischen Immobilien-Riesen Country Garden.

15.08.2023

Chinas Wirtschaft stottert: Deflation, grassierende Jugendarbeitslosigkeit und rekordtiefe ausländische Investitionen machen Ökonomen und Politiker weltweit nervös.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Deflation: Die Konsumentenpreise in China sind im Juli um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken.
  • Die Preise ab Werk schrumpften im Juli im Vergleich zum Vorjahr sogar um 4,4 Prozent.
  • Die Staatsschulden belaufen sich inzwischen auf 282 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
  • Die Exporte sanken im Juli um 14,5 Prozent. Die USA importieren sogar 23,7 Prozent weniger Waren aus China.
  • Die ausländischen Direktinvestitionen sind im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 87 Prozent eingebrochen.
  • Peking weist die Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr aus, nachdem im Juni ein Rekord von 21,3 Prozent erreicht wurde.
  • Die allgemeine Arbeitslosigkeit stiegt auf 5,3 Prozent, doch die Statistik ignoriert die Landbevölkerung, die 36,1 Prozent ausmacht.
  • Wer innert einer Woche eine Stunde oder mehr arbeitet, gilt nicht als abeitslos.

Xi Jinping hat China auf links gedreht: Der Präsident hat potenzielle Nebenbuhler kaltgestellt und alle Macht auf sich konzentriert. Der 70-Jährige kontrolliert alle wichtige Themen persönlich – und hat regelrecht einen Kult um seine Person aufgebaut, hält das Magazin «Time» fest.

Doch mit den ewigen Erfolgsmeldungen könnte es bald vorbei sein, denn die zweitgrösste Wirtschaft der Welt kommt immer mehr ins Stocken. Und es gibt offenbar wenig, was Xi Jinping dagegen tun kann: Für einmal kann der Überragende Führer der Volksrepublik China ein Narrativ nicht mehr bestimmen.

Denn es geht um die Wirtschaft, harte Fakten und nackte Zahlen. Und die sehen nicht gut aus: Wie das Nationale Büro für Statistik mitteilt, sind die Konsumentenpreise im Juli seit zwei Jahren um 0,3 Prozent gesunken. Die Preise ab Werk schrumpften im Juli im Vergleich zum Vorjahr gar um 4,4 Prozent.

Das beide Werte negativ sind, gab es zuletzt im Dezember 2020, als die Coronapandemie noch im Gange war. Von der sollte sich die chinesische Wirtschaft inzwischen längst erholt haben, doch die Realität sieht anders aus: Die Deflation «ist ein Indikator für eine signifikante Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft, die von einem hohen Schuldenniveau beeinflusst wird», sagt Experte Steve Clayton beim «Business Insider».

China hat Mühe, sich von der Pandemie zu erholen

«Bloomberg» taxiert diesen Schuldenberg derzeit auf 282 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Und diese Schulden werden durch die Deflation noch grösser. Gleichzeitig ist der Immobilienmarkt seit Monaten am Schwimmen. Die Konsumenten in China macht das nervös: Sie geben trotz gesunkener Preise nicht mehr aus, sondern sparen lieber.

Chinese President Xi Jinping attends a working session on food and energy security during the G20 Summit, Tuesday, Nov. 15, 2022, in Nusa Dua, Indonesia. (Leon Neal/Pool Photo via AP)
Chinese President Xi Jinping attends a working session on food and energy security during the G20 Summit, Tuesday, Nov. 15, 2022, in Nusa Dua, Indonesia. (Leon Neal/Pool Photo via AP)
AP

Auch die Exporte sind zuletzt deutlich zurückgegangen: Im Juli stand ein Minus von 14,5 Prozent zu Buche. Zuletzt war es im Juli 2020 so ernst. «Vor der Pandemie ist China um etwa sechs Prozent gewachsen», erklärt David Dollar vom China-Zentrum der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institute beim «Business Insider», «und jetzt hat das Land Mühe, sich zu erholen.»

Der schwächelnde Immobilienmarkt, der für rund ein Fünftel der Wirtschaftsleistung verantwortlich ist, interagiert mit den schlechten Zahlen: Obwohl die Immobilienpreise sinken, würde niemand investieren, erklärt Dexter Roberts vom Atlantic Council. Viel vom Vermögen der Leute stecke bereits im Immobiliensektor. Jetzt wolle aber niemand verkaufen – und die Leute würden stattdessen sparen.

Ausländische Investitionen brechen ein

Das liegt auch daran, dass Washington aktiv versucht, sich von Pekings Wirtschaft zu entkoppeln. Laut US-Behörden sind die Importe aus dem Reich der Mitte im Juni um 23,7 Prozent eingebrochen. Mexiko hat China damit als grössten Handelspartner der USA überholt. Die Folge: Mit 6,3 Prozent Wachstum im zweiten Quartal dieses Jahres wuchs die Wirtschaft deutlich schwächer als von Experten erwartet.

Biden reguliert US-Investitionen in chinesische Technologien

Biden reguliert US-Investitionen in chinesische Technologien

Es geht um die nationale Sicherheit: US-Präsident Joe Biden nimmt inmitten grosser Spannungen China ins Visier und will bestimmte US-Investitionen regulieren. Biden erliess ein entsprechendes Dekret mit dem Ziel, sensible Technologien zu schützen. Washington wirft Peking vor, US-Investitionen auszunutzen, um seine militärischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

15.08.2023

Auf dem internationalen Parkett ist das Vertrauen in Pekings Ökonomie nicht zuletzt Xi Jinpings One-Man-Show offenbar kräftig gesunken: Die ausländischen Direktinvestitionen sind im zweiten Quartal auf ein Rekordtief gesunken, meldet «Asia Nikkei».

Sie lagen demnach bei 4,9 Milliarden Dollar, was jedoch einem Rückgang von satten 87 Prozent zum Vorjahr entspreche. Dabei spiele auch der Taiwan-Konflikt zwischen den USA und China eine Rolle. Dass im Juni ein neues Anti-Spionage-Gesetz erlassen worden ist, das sehr allgemein formuliert ist, schrecke Investoren zusätzlich ab, heisst es weiter.

Jugendarbeitslosigkeit ist jetzt geheim

In der Kombination sind diese Negativfaktoren noch fataler, weiss David Dollar: «Die Hauptbestandteile des BIP auf der Nachfrageseite – der Konsum, Investitionen und Netto-Exporte – haben alle derzeit ernste Probleme.»

Ein weiteres Indiz für den aktuellen Niedergang: Peking verzichtet laut BBC fortan darauf, die Werte der Jugendarbeitslosigkeit anzugeben, nachdem im Juni bereits eine Rekordmarke von 21,3 Prozent erreicht worden war. 

Die allgemeine Arbeitslosenzahl stieg im Juli erneut an – auf 5,3 Prozent. Doch dieser Wert enthält nur die Stadtbevölkerung, die 63,9 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Und: Wer während er Erhebung der Arbeitslosenzahlen, die rund eine Woche dauert, eine Stunde oder mehr gearbeitet hat, gilt nicht als arbeitslos.

Das Londoner Wirtschaftsinstitut Capital Economics warnt nun Investoren: «Es gibt ein reales Risiko, dass die Wirtschaft in eine Rezession fällt, wenn die politische Unterstützung nicht bald hochgefahren wird.» Chinas Zentralbank versucht, mit der zweiten Zinskürzung innert dreier Monate gegenzusteuern.

Die Misere ist auch dem US-Präsidenten nicht entgangen. «Sie haben einige Probleme», bekundet Joe Biden laut «Reuters» am 10. August bei einem Auftritt in Utah. «Das ist nicht gut, denn wenn schlechte Leute Probleme haben, machen sie schlechte Sachen. China hat Ärger am Hals.» Die Wirtschaft sei «eine tickende Zeitbombe».