Overtourism am Polarkreis«Weihnachtsmanndorf» in Finnland ist am Limit
AP/tcar
12.12.2024 - 23:28
Weihnachten am Polarkreis: Für viele Touristen ein Traum. Doch für Einwohner der Stadt Rovaniemi in Lappland, die die «offizielle» Heimat des Weihnachtsmanns beherbergt, sind die Folgen eher alptraumhaft.
AP/tcar
12.12.2024, 23:28
12.12.2024, 23:32
dpa
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In das finnische Weihnachtsmanndorf Rovaniemi strömen die Touristen im Dezember.
Der Tourismus boomt und bringt viel Geld ein – zum Entzücken von Hotelbesitzern und Stadtverwaltung.
Doch für viele Einheimische bringt der Overtourism grosse Nachteile mit sich.
An einem kalten Dezembernachmittag strömten zahlreiche Touristengruppen in das finnische Weihnachtsmanndorf. In dem Themenpark am Rande des Polarkreises, gelegen in Rovaniemi, der Hauptstadt der Provinz Lappland, herrscht das ganze Jahr über winterliche Weihnachtsstimmung.
Die Touristen tummelten sich im Schnee, machten Rentierschlittenfahrten, schlürften Cocktails – und trafen den Weihnachtsmann, als dessen offizielle Heimat sich das Dorf bewirbt. Jährlich lockt es mehr als 600'000 Besucher an – besonders in der Weihnachtssaison. «Das ist für mich wie ein wahr gewordener Traum», freute sich die polnische Besucherin Elzbieta Nazaruk. «Ich bin wirklich begeistert, hier zu sein.»
Der Tourismus boomt in Rovaniemi und bringt viel Geld ein – zum Entzücken von Hotelbesitzern und Stadtverwaltung. Doch nicht alle sind glücklich über den Ansturm der Besucher, der das Zehnfache der Einwohnerzahl beträgt, und in der Weihnachtszeit anschwillt. «Wir sind besorgt über das Überhandnehmen des Tourismus», sagt der 43-jährige Antti Pakkanen, ein Fotograf und Mitglied eines Wohnungsnetzwerks, das im September eine Demonstration organisiert hat. «Der Tourismus ist so schnell gewachsen, er ist ausser Kontrolle.»
Es ist ein Gefühl, das den Einwohnern anderer beliebter Touristendestinationen in Europa nicht fremd ist, etwa in Barcelona, Amsterdam, Malaga und Florenz.
In verschiedenen Regionen Europas sind Einheimische gegen «Übertourismus» auf die Strasse gegangen. Der Begriff steht für eine Art Kipppunkt, an dem Besucher und ihr Geld die Schäden aus Sicht der Einwohner nicht mehr aufwiegen, die durch den Massenansturm an historischen Stätten und überwältigter Infrastruktur entstehen. In dieser Wahrnehmung machen die Besucher den Alteingesessenen zusehends das Leben schwer. Und nun scheint sich das Phänomen auch noch in den Norden ausgebreitet zu haben – den ganzen Weg bis an die Ränder des Polarkreises.
30 Prozent Wachstum in einem Jahr
Im Jahr 2023, nach der Erholung von der Corona-Pandemie, zählte Rovaniemi einen Rekord von 1,2 Millionen Übernachtungsgästen, fast 30 Prozent Wachstum im Vergleich zu 2022. «Nordisch ist ein Trend», sagt die Geschäftsführerin von Visit Rovaniemi, Sanna Kärkkäinen, als sie in einem Eisrestaurant steht, in dessen Nähe Eisschnitzer ihre Arbeit verrichten. «Menschen möchten in kühle Länder reisen, um den Schnee zu sehen, die Nordlichter zu sehen und, natürlich, den Weihnachtsmann.»
In diesem Jahr wurden 13 neue Flugrouten nach Rovaniemi eröffnet. Sie bringen Vergnügungssuchende aus Städten wie Genf, Berlin oder Bordeaux in den hohen Norden. Die meisten Touristen kommen aus europäischen Ländern wie Frankreich, Deutschland und Grossbritannien. Aber der Reiz Rovaniemis reicht noch weiter.
Hotelzimmer zu ergattern, ist in diesem Winter nicht leicht. Tiina Määttä, Geschäftsführerin des Original Sokos Hotels mit 159 Zimmern, rechnet damit, dass 2024 weitere Rekorde schmelzen lässt.
Lokale Kritiker des Massentourismus sagen, viele Wohngebäude im Stadtzentrum von Rovaniemi würden in der Hochsaison als Unterkünfte für Touristen genutzt – und seien damit dem normalen Wohnungsmarkt entzogen. Die Ausbreitung von Kurzzeitmieten habe die Preise in die Höhe getrieben, Langzeitmieter verdrängt und die Innenstadt in einen «Durchgangsraum für Touristen» verwandelt.
Die Bürgermeisterin sieht «gutes Geld»
Das finnische Gesetz verbietet es eigentlich, professionelle Beherbergungsdienste in Gebäuden anzubieten, die für Wohnzwecke vorgesehen sind. Aktivisten fordern deshalb die Behörden zum Handeln auf. «Die Regeln müssen besser durchgesetzt werden», sagt Pakkanen.
Doch nicht alle teilen seine Meinung. Bürgermeisterin Ulla-Kirsikka Vainio verweist darauf, dass viele Menschen «gutes Geld» mit Kurzzeitvermietungen machten.
So oder so dürften strengere Regulierungen nicht rechtzeitig in Kraft sein, um einen Einfluss auf die laufende Wintersaison zu haben. Und trotz der Unzufriedenheit, die Einheimische zum Ausdruck bringen, dürfte der Massentourismus in Rovaniemi auch im kommenden Jahr weiter zunehmen: Besucher wollen die besondere Atmosphäre am Polarkreis schnuppern, ganz besonders um Weihnachten herum.
«Es ist Weihnachtszeit und wir würden liebend gerne die Nordlichter sehen», sagt Joy, eine Besucherin aus Bangkok. «Rovaniemi scheint ein guter Ort zu sein.»
Nur wenige Schweizer Orte von Overtourism betroffen
Höhere Preise, Littering, Verkehrsprobleme, knapper Wohnraum und Umweltverschmutzung können die Folgen von zu vielen Touristen sein. In einzelnen Regionen kann es Einheimischen da schon mal zu viel werden.