Briefe vom Täter Briefe vom Täter: Säureopfer Vanessa kämpft weiter

Von Christina Sticht, dpa

12.2.2018

Vor zwei Jahren übergoss ihr Ex-Freund Vanessa Münstermann mit Säure. Die 29-Jährige aus Hannover versteckt ihr entstelltes Gesicht nicht. Sie möchte mit ihrem Verein «Ausgezeichnet» anderen Betroffenen Mut machen - obwohl die Angst nicht nachlässt.

Ihr neues Tattoo hat sie sich in der Türkei stechen lassen: «Überlebende» steht seit Herbst in arabischen Schriftzeichen auf Vanessa Münstermanns Unterarm. Die 29-Jährige aus Hannover hat vor zwei Jahren ein Säure-Attentat ihres Ex-Freundes überlebt - seither ist ihre linke Gesichtshälfte zerstört, die junge Frau verlor ein Auge und ein Ohr. Wegen der wulstigen Narben am Hals muss sie den Kopf stets etwas gesenkt halten. Doch die gelernte Kosmetikerin, die vor der Tat ständig Komplimente für ihr Aussehen bekam, versteckt sich nicht - im Gegenteil.

Vor einem Jahr gründete sie den Verein «Ausgezeichnet», um Menschen in ähnlicher Lage zu helfen. An diesem Sonntag lädt sie rund 150 Unterstützer und Opfer von Verbrennungen oder Verätzungen zu einem Empfang in ein Kino ein. Dann wird auch der Film «Wenn aus Liebe Hass wird» in der Reihe «Menschen hautnah» gezeigt. Das WDR Fernsehen strahlt ihn am Jahrestag des Anschlags (Donnerstag, 22.40 Uhr) aus. In dem Film äussert sich auch der Täter schriftlich, zeigt keine Reue. Er sitzt eine zwölfjährige Haftstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung ab.

Der ohnehin dumme Spruch «Die Zeit heilt alle Wunden» gilt in Vanessas Fall überhaupt nicht. Erst vor Weihnachten hat ihr der Täter wieder einen Brief aus dem Gefängnis geschrieben. «Du bist genug bestraft mit deinem Aussehen und wenn ich dich töten würde, wär das nur dumm von mir», stand darin. Sie lüge und sei selber schuld. Vanessa Münstermann ging zur Polizei. «Dort sagte man mir, dass sie nichts machen können und dass es darin keinen Anhaltspunkt für Ermittlungen gibt.»

Vanessa erwartet ihr erstes Kind

Ihre Angst sei grösser geworden, sagt die junge Frau. «Denn jetzt habe ich etwas zu verlieren.» Vanessa streichelt während des Gesprächs immer wieder über ihren Babybauch. Seit knapp einem Jahr hat sie wieder einen Freund - ihre Jugendliebe, zu dem sie nie ganz den Kontakt verloren hatte. Kurz nach dem Besuch beim Tätowierer in der Türkei erfuhr sie, dass sie schwanger ist. Das Paar sucht jetzt eine Wohnung.

Vor der Tat arbeitete sie in der Tankstelle ihres Stiefvaters, im Moment lebt sie von monatlich 500 Euro Opferentschädigung und 500 Euro Erwerbsminderungsrente. Mehrere Operationen sind noch nötig, aber jetzt steht das Baby im Mittelpunkt. Zudem arbeitet sie an einem Buch.

Bisher sammelte ihr Verein «Ausgezeichnet» knapp 5000 Euro an Spenden, mit Vanessas gespendeten Fernsehhonoraren und Einlagen von Mitgliedern sind es 12'000 bis 13'000 Euro. Hinzu kommen Sachspenden: Cremes, Kompressionsverbände. Die 29-Jährige betreut zurzeit zwölf Betroffene regelmässig, darunter fünf Männer und sieben Gewaltopfer. Der Austausch hilft Vanessa auch selbst. Eine Frau aus der Nähe von Köln, die vor Jahren Ähnliches erlebte, sei ein Vorbild, betont sie.

Schönheit bedeutet nicht Makellosigkeit

Rund 700'000 Menschen erleiden pro Jahr in Deutschland eine Verbrennung, dazu zählen auch Opfer von Strom oder Säure. Etwa 18'000 von ihnen müssen im Krankenhaus, 3000 in einem Brandverletztenzentrum behandelt werden. Viele Betroffene verstecken sich, gehen nur noch im Dunkeln spazieren, berichten Selbsthilfeverbände.

Auch für den Empfang am Sonntag hätten einige Betroffene wieder abgesagt, bedauert Vanessa. Ihr hatte ein Gruppenbild vorgeschwebt. Sie möchte zeigen, dass Schönheit nicht Makellosigkeit bedeutet. «Wir sind viele. Mein Gesicht können die Leute doch bald nicht mehr sehen», sagt sie mit Blick auf ihre Medienpräsenz.

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