Felssturzgefahr ob Kandersteg «Ich wäre froh, es würde ein grosser Rutsch kommen»

SDA/uri

25.8.2022 - 09:36

Die Bewegungen der Felsmassen am «Spitze Stei» oberhalb von Kandersteg werden überwacht.
Die Bewegungen der Felsmassen am «Spitze Stei» oberhalb von Kandersteg werden überwacht.
Screenshot Kanton Bern

Nach einem Felssturz oberhalb von Kandersteg hat sich die Lage leicht beruhigt. Mehr Sorgen bereiten dem Gemeinderatspräsidenten vor allem unvorsichtige Wanderer. 

SDA/uri

«Wir haben den am genausten vermessenen Hang der Schweiz», ist René-François Mäder, Gemeinderatspräsident von Kandersteg überzeugt. Die spektakulären Bilder der letzten Tage rührten laut dem Berner Oberländer vor allem von der Trockenheit her: «Nur deshalb hat der Rutsch eine so grosse Staubwolke aufgewirbelt.»

Dennoch sah es eine Zeit lang so aus, als ob ein noch grösserer Felsabsturz bevorstünde. Mit bis zu 20 Zentimetern pro Tag bewegten sich 500 Kubikmeter Fels talwärts. Am Donnerstag verlangsamte sich die Bewegung auf weniger als 10 Zentimeter pro Tag. «2021 hatten wir auch schon 40 Zentimeter Bewegung im Geröll», relativiert Mäder. 

Seit 2018 kommt es unterhalb des «Spitze Stei» immer wieder zu Felsabbrüchen und Murgängen. Für Mäder ist das Alltag. «Der auftauende Permafrost stellt alle Bergregionen vor dieses Problem. Und überhaupt sind wir es gewohnt, dass im Sommer Steine runterkommen und im Winter Lawinen. Damit haben wir leben gelernt.»

Der Mensch als grösster Risikofaktor

Schon seit 2018 ist das Rutschgebiet gesperrt, einige Wanderwege sind nicht mehr zugänglich. Wegen der Felsabstürze dieser Woche hat die Gemeinde das Sperrgebiet ausgedehnt, vor allem, um Menschen daran zu hindern, das Sperrgebiet zu betreten.

«Wir haben Männer im Gebiet, die Wandernden erklären, dass es lebensgefährlich ist, dort durchzugehen», führt Mäder aus. Dies sei seine grösste Sorge. «Wir hatten schon einen Lehrer, der mit seiner Schulklasse über die gesperrten Wege wandern wollte.»

Dem Tourismus schade der abrutschende Berg nicht, betont Mäder, auch wenn er immer wieder erklären müsse, dass es in Kandersteg und am Oeschinensee nicht gefährlich sei, solange man sich an die Regeln halte. Es sei nicht möglich, dass Geröll den See erreiche und eine Flutwelle auslöse.

Als Worst Case beschreibt der Gemeinderatspräsident eine Situation, in der eine grosse Menge Gestein mit sehr viel Niederschlag zu Tal rutschen würde. Dann könnte es sein, dass die Kander über die Ufer trete oder eine Schlammlawine das Dorf treffe. «Auch darauf sind wir mit detaillierten Plänen vorbereitet», betont er.

Der grosse Rutsch als Reality-Check

Einen grossen Rutsch würde der Gemeinderatspräsident sogar begrüssen. «Ich wäre froh, wenn die 500’000 Kubikmeter kämen. Dann sähen wir, ob die Massnahmen funktionieren oder ob Korrekturen an den Verbauungen und Netzen nötig sind.» Diese seien aufgrund von Berechnungen erstellt worden. 

Er betont abermals, dass kein Gebäude von Geröll getroffen werden könnte. Der ganz grosse Abbruch, den Experten auf 15 Millionen Kubikmeter berechnet haben, würde sich ankünden: «Die Experten für Naturgefahren sind sicher, dass wir von den ersten Anzeichen 48 Stunden Zeit hätten, um uns in Sicherheit zu bringen. Das wäre ein Jahrtausend-Ereignis, und dieses stehe gemäss den aktuellen Messwerten nicht bevor.