Entwicklungshilfe Kann die Schweiz verhindern, dass Menschen fliehen?

Interview: Valerie Zaslawski

5.2.2019

Die Schweiz engagiert sich beispielsweise in Kirgisistan für eine gute Wasserversorgung, damit nicht Dürre die Menschen in die Flucht treibt.
Die Schweiz engagiert sich beispielsweise in Kirgisistan für eine gute Wasserversorgung, damit nicht Dürre die Menschen in die Flucht treibt.
Bild: Keystone/Andree-Noelle Pot

FDP und SVP möchten Entwicklungshilfe und Migration verknüpfen. Manuel Sager, Chef der zuständigen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, erklärt,  wie das funktionieren soll.

Die internationale Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz steht seit langem unter Druck: Bürgerliche wollen, dass in Zukunft eher Schweizer Interessen im Zentrum stehen und nicht mehr in erster Linie die Solidarität. So soll die Entwicklungszusammenarbeit laut FDP-Bundesrat Ignazio Cassis mit migrationspolitischen Zielen verknüpft werden. Investiert werden soll nur noch in Länder, aus denen Menschen in die Schweizer migrieren. An der Jahresmedienkonferenz der zuständigen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) wurde das Thema Wasser als globale Herausforderung beleuchtet.

Herr Sager, es wirkt fast ein bisschen so, als ob Sie die politischen Forderungen des Parlaments einfach ignorieren. Oder wie kommen Sie in dieser aufgeheizten Stimmung auf das Thema Wasser?
Wir ignorieren gar nichts. Wasserknappheit wird zu einem immer wichtigeren Migrationsfaktor. Bis 2025 dürften gemäss UNO 1,8 Milliarden Menschen unter Wasserknappheit leiden. Ausserdem sind zwei Drittel der Süsswasservorkommen grenzüberschreitend; darin liegt ein grosses Potential für Konflikte, die ihrerseits wieder zu Flucht und Migration führen könnten. Wir wollen mit unseren Projekten demnach verhindern, dass Wasserknappheit Menschen in die Flucht treibt.

Macht es aus Sicht der Deza also Sinn, die Entwicklungszusammenarbeit auf die Schweizer Innenpolitik auszurichten?
Solidarität und Schweizer Eigeninteressen ergänzen sich: Wir helfen im Kampf gegen Armut, Ungleichheiten, Menschenrechtsverletzungen und schaffen bessere Zukunftsperspektiven von jungen Menschen aus Solidarität – und weil Frieden, Sicherheit, florierende Absatzmärkte und weniger erzwungene Migration in unserem Eigeninteresse sind.

Manuel Sager leitet die Deza seit Ende 2014.
Manuel Sager leitet die Deza seit Ende 2014.
Bild: Keystone/Christian Beutler

Neu sollen dank der Entwicklungshilfe auch Abkommen ausgehandelt werden, wonach die Herkunftsländer von Asylsuchenden ihre Landsleute wieder zurücknehmen sollen. Ist das wirklich Aufgabe der Deza?
Das Aushandeln von Rückübernahmeabkommen ist nach wie vor Aufgabe des Staatssekretariats für Migration. Die Deza-Projekte können hingegen dazu beitragen, den Migrationsdialog zu fördern. Wir helfen den Regierungen in den Partnerländern, ihre wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen zu meistern. Die Rückübernahme von abgewiesenen Asylbewerbern, übrigens eine völkerrechtliche Verpflichtung, soll dabei Teil dieses Dialogs sein.

Die SVP möchte Entwicklungszusammenarbeit nur leisten, wenn derartige Rückübernahmeabkommen zustande kommen.
Diese negative Konditionalität hat der Bundesrat stets abgelehnt. Damit würde die Bevölkerung doppelt bestraft: Schlimm genug, dass sie unter einer solchen Regierung leben muss, und dann entziehen wir ihr auch noch die nötige Hilfe.



Eine funktionierende Zusammenarbeit mit den Regierungen ist aber Voraussetzung für die Entwicklungshilfe, richtig?
Natürlich sind unsere Möglichkeiten beschränkt, wenn die Regierungen selber keinen Reformbedarf sehen. Das heisst aber nicht, dass die Bevölkerung keine Hilfe braucht. Wir leisten diese dann auf anderen Kanälen, zum Beispiel über die Förderung des Privatsektors oder durch die Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen, aber auch über humanitäre Hilfe.

Ausgerechnet in Eritrea, das Hauptherkunftsland der Asylsuchenden in der Schweiz, ist der Privatsektor aber quasi inexistent, die Regierung übt nach wie vor eine starke Kontrolle aus.
Deshalb ist Eritrea vorderhand auch kein Schwerpunktland der Deza. Wir sehen unser beschränktes Programm aber im Hinblick auf eine hoffentlich positive Entwicklung. Es ist wichtig, einen Fuss in der Tür zu haben, um einen Dialog zu ermöglichen.

Hat die Deza denn bereits damit begonnen, die Entwicklungsarbeit nach den bürgerlichen Wünsche umzustrukturieren?
Wir haben unsere Einsatzkriterien – Bedarf, Schweizer Interessen und Mehrwert der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit – analysiert und entschieden, im Laufe der Botschaftsperiode 2021-2024 einen Teil unserer finanziellen Mittel von Lateinamerika und Ostasien nach Afrika und den Nahen Osten zu verlagern. Die definitive Länderliste ist aber noch nicht bereinigt.

In der Wissenschaft ist ohnehin umstritten, dass mehr Entwicklung zu weniger Migration führt. Auswandern ist teuer – und so steigt die Zahl derer, die ihr Glück im Ausland suchen, wenn das Einkommen steigt.
Das ist richtig. Studien zeigen, dass unter einem Einkommen von 8'000 bis 10’000 Dollar im Jahr Entwicklungsfortschritte keinen dämpfenden Einfluss auf die Migration haben. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, da durch mehr Einkommen die Migration erst erschwinglich wird.

Nun kann es aber kaum das Ziel sein, diese Menschen möglichst arm zu halten…
Das wäre zynisch! Die Entwicklungszusammenarbeit versucht, diesen Menschen Perspektiven zu bieten und ihnen über die genannte Einkommensschwelle zu verhelfen.

Und wie soll das funktionieren?
Wichtig sind eine solide Grund- und Berufsbildung, ein gutes Gesundheitswesen, eine leistungsfähige Infrastruktur und ein Mass an sozialer Sicherheit. Darüber hinaus geht es auch um Konfliktprävention, Menschenrechte, Kampf gegen Korruption und Willkür sowie für eine gute Regierungsführung. Dieses Engagement wirkt sich längerfristig nachweisbar auf die Migrationszahlen aus.

Welche Rolle spielen dabei Rücküberweisungen von Migranten an ihre Familien?
Eine grosse! Rücküberweisungen machen mit rund 500 Milliarden Dollar im Jahr ein Vielfaches der Entwicklungsgelder aus.

Und die Rücküberweisungen tragen zum Wirtschaftswachstum bei?
Ja, wenn sie nicht in erster Linie für den Kauf importierter Konsumgüter verwendet werden. Die Deza unterstützt Projekte, die zum Ziel haben, dass Rücküberweisungen in private Investitionen in den Herkunftsländern fliessen oder für Bildung oder die Gesundheitsversorgung gebraucht werden.

Welchen Beitrag kann der Migrationspakt leisten, um die Situation weltweit zu verbessern?
Der Migrationspakt will sicherere, menschenwürdigere Migration – nicht mehr Migration. Jedes Land soll weiterhin frei sein in der Entscheidung, wie viel Migration es akzeptieren will.



Wie kann Entwicklungspolitik Migrationsprozesse denn mitgestalten?
Die Deza unterstützt beispielsweise nepalesische Migrantinnen und Migranten dabei, ihre Arbeitsbedingungen in den Zielländern, zum Beispiel in den Golfstaaten, zu verbessern. Die Arbeitsmigration in die Schweiz gehört hingegen nicht zu unserem Kompetenzbereich. Zwar wäre es denkbar, gezielt Menschen in unseren Partnerländern auf einen Arbeitseinsatz in der Schweiz vorzubereiten. Das könnte durchaus im Interesse des Herkunftslandes, des betreffenden Migranten und auch der Schweiz sein. Ein solches Programm würde aber die Herausforderungen beispielsweise in Afrika, wo in den kommenden Jahren Hunderte von Millionen von Jugendlichen Jobs brauchen, nicht lösen. Lösungen müssen vor Ort gefunden werden.

Mit Wasserprogrammen?
Ja und nein. Ziel der Wasserprogramme ist nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern der Erhalt der Lebensgrundlagen. Ohne Wasser gibt es auch keine Jobs.

Weltwirtschaftsforum liefert alarmierenden Risikobericht
Zurück zur Startseite