Verhärtete Fronten Wie geht's 2020 eigentlich mit der Beziehung Schweiz – EU weiter?

SDA

29.12.2019

Die Abstimmung über die Begrenzungsinitiative voraussichtlich am 17. Mai 2020 ist auch ein Verdikt über den bisher eingeschlagenen bilateralen Weg mit der EU. (Symbolbild)
Die Abstimmung über die Begrenzungsinitiative voraussichtlich am 17. Mai 2020 ist auch ein Verdikt über den bisher eingeschlagenen bilateralen Weg mit der EU. (Symbolbild)
Source: KEYSTONE/GAETAN BALLY

In letzter Zeit ist es still geworden um die Beziehung Schweiz – EU. Doch im neuen Jahr dürfte sich das ändern, denn die Stimmberechtigten müssen im Frühling über die Begrenzungsinitiative entscheiden – und damit auch über die künftige Beziehung der Schweiz zur EU.

Mit ihrer Begrenzungsinitiative, die voraussichtlich am 17. Mai zur Abstimmung kommt, will die SVP die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU erreichen. Doch die Initiative ist mehr als nur ein Verdikt über die Freizügigkeit.

Wird sie angenommen, ist der von der Schweiz eingeschlagene bilaterale Weg mit der EU als Ganzes infrage gestellt. Bern müsste die Beziehung Schweiz – EU neu überdenken. Sagen die Stimmberechtigen Nein zur Initiative, dürfte dies als Bestätigung des bisher eingeschlagenen bilateralen Weges gewertet werden.



Weil es sich bei der Begrenzungsinitiative um eine wegweisende Abstimmung handelt, ist davon auszugehen, dass der Bundesrat den 17. Mai abwarten wird, bevor er über sein weiteres Vorgehen beim institutionellen Rahmenabkommen informieren wird.

Das glaubt auch Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL), ehemalige Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission: «Ich hoffe, dass die Initiative deutlich abgelehnt wird.» Dies gäbe das nötige Fundament, um die Zukunft der Bilateralen anzugehen. Auch Nationalrat Eric Nussbaumer (SP/BL), Präsident der Efta/EU-Delegation, hofft auf eine klare Ablehnung. «Dann kann der Bundesrat endlich erklären, wie er weiterfahren will.»

Portmann kritisiert

Zwar ist das Rahmenabkommen grösstenteils ausgehandelt, in drei Punkten aber ist man sich aber noch uneinig: bei den flankierenden Massnahmen, der Unionsbürgerrichtlinie und den staatlichen Beihilfen.

Im Sommer hatte Bern der EU-Kommission deshalb mitgeteilt, dass zusätzliche Zeit notwendig sei, um die drei strittigen Punkte intern zu klären. Der Bundesrat setzte dazu drei Arbeitsgruppen ein. «Seitdem liegt der Ball bei uns», sagt Nussbaumer.

Wie und ob die Arbeiten in den Arbeitsgruppen vorangehen, ist jedoch unklar. Es dringt kaum etwas nach aussen. Schneider-Schneiter ist zuversichtlich: «Ich bin überzeugt, dass hinter den Kulissen intensiv an Lösungen gesucht wird, sodass wir nach der Begrenzungsinitiative loslegen können.»



Nationalrat Hans-Peter Portmann (FDP/ZH), ehemaliger Präsident der Efta/EU-Delegation, kritisiert jedoch diese «intransparente Situation»: «Es wird nicht zu verhindern sein, dass im Abstimmungskampf um die Begrenzungsinitiative auch das Rahmenabkommen Thema sein wird.»

Daher wäre es wichtig, dass bereits schon vorher mit der EU weiter technische Gespräche geführt würden, sagte er. Denn laut Portmann sollen die Stimmberechtigten bei der Abstimmung zur Begrenzungsinitiative wissen, «was beim Rahmenabkommen für mögliche Zusicherungen seitens der EU noch möglich sind».

Verhärtete Fronten

Seit Bern von Brüssel mehr Zeit verlangte, herrscht jedoch beim Rahmenabkommen Funkstille. Ausserdem haben sich die Fronten zwischen der Schweiz und der EU verhärtet.

Die EU reagierte mit Unverständnis auf die Schweizer Forderung: Sie verweigerte kurzum der Schweizer Börse wegen «mangelnden Fortschritts» beim Rahmenabkommen die Äquivalenzanerkennung. Die Schweiz wiederum sieht sich ungerecht behandelt und knüpfte die Vergabe der neuen Kohäsionszahlung an die Aufhebung diskriminierender Massnahmen, was erneut bei der EU auf Kritik stiess.



Mit der Hoffnung, diese Negativspirale zu durchbrechen, hatten Schweizer und EU-Parlamentarier deshalb im November eine gemeinsame Erklärung verabschiedet mit Appellen an beide Seiten.

Laut Portmann hat Aussenminister Ignazio Cassis schon mehrfach auch öffentlich Bezug auf die Erklärung genommen. Auch der EU-Abgeordnete Andreas Schwab, Präsident der Efta-Delegation der EU-Parlaments, schrieb auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, er habe viele positive Zuschriften erhalten.

Drängendes Problem

Eine Deeskalation ist auch dringend nötig, denn ein wichtiger Entscheid steht an: Das Abkommen über technische Handelshemmnisse (MRA) im Bereich Medizinaltechnik – darunter fallen etwa Skalpelle oder Hörgeräte – muss bis Ende Mai aktualisiert werden. Zwar laufen zurzeit technische Gespräche zwischen Bern und Brüssel, doch ist unklar, ob die EU am Schluss einer Aktualisierung zustimmen wird.

Denn die EU-Staaten hatten in ihren Schlussfolgerungen zur Schweiz Anfang Jahr einstimmig der Strategie der damaligen EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker zugestimmt, nur noch dann bilaterale Abkommen mit der Schweiz zu aktualisieren, von denen auch die EU-Staaten profitieren.

Nun schlug kürzlich der für die Schweiz zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn im Radio SRF konziliantere Töne an und erklärte, dass für die EU kein Zeitdruck beim Abschliessen des Rahmenabkommens bestünde, sie also bereit sei, die Begrenzungsinitiative abzuwarten. Doch in der Sache blieb er hart.

Zum Rahmenabkommen sagte er: «Man muss auch verstehen, dass wir unsere Grenzen haben, und die wurden ziemlich ausgereizt.» Die EU sei zu Klarstellungen bereit, «aber an den Eckpfeilern kann sich hier nichts mehr ändern».

Und auch bei den Anpassungen von bilateralen Abkommen darf nicht zu viel erwartet werden, denn die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen muss sich an die Schlussfolgerung der EU-Staaten halten.

Neustart möglich

Nichts desto trotz: Der von der Schweiz enttäuschte Juncker ist nicht mehr im Amt. Mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin könnte sich so etwas wie ein «kleiner» Neustart bieten – das hoffen viele.

Erste Gelegenheit zu Gesprächen dürfte das World Economic Forum (WEF) Ende Januar in Davos bieten. Dem Vernehmen nach plant die neue EU-Kommissionspräsidentin, daran teilzunehmen.

Dann obliegt es der neuen Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, bei von der Leyen für Verständnis für die Situation der Schweiz zu werben, um das Bestmögliche für die Schweiz herauszuholen. Ob das gelingt, wird sich am 17. Mai 2020 an der Urne zeigen.

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