Konzern-Begründer Wie die Schweiz aus Heinrich Nestle den Pionier Henri Nestlé machte

Von Philipp Dahm

11.8.2019

Vor 205 Jahren wurde der Mann geboren, der den Grundstein eines Schweizer Nahrungsmittelgiganten gelegt hat. Die Geschichte von Henri Nestlé ist die eines erfolgreichen Flüchtlings.

Henri Nestlé hat den Grundstein zu einem Industrie-Imperium gelegt: Der nach ihm benannte Schweizer Konzern hat 2018 über 90 Milliarden Franken Umsatz gemacht. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt El Salvadors, Georgiens und Tunesiens zusammen. Am 10. August wäre der Pionier 205 Jahre alt geworden. Geboren wird der Pionier der Schweizer Lebensmittelindustrie aber gar nicht hier, sondern in Frankfurt am Main.

Heinrich ist das elfte von 14 Kindern: Es ist im 19. Jahrhundert gang und gäbe, dass Familien derart gross sind. Zum einen sichern Kindern die Rente, zum anderen ist die Sterberate hoch – die Pädiatrie steckt nun einmal noch in den Kinderschuhen. Wenn eine Mutter beispielsweise nicht stillen kann und keine Leihmutter findet, kommt das einem Todesurteil gleich. Die Nestles verlieren fünf Kinder, bevor Heinrich 1814 zur Welt kommt.

Mit 15 Jahren tritt der Knabe seine Apothekerlehre in Frankfurt an und geht nach vier Jahren als Geselle auf Wanderschaft. 1834 verlässt er seine Heimat, in der für den Liberalen kein Platz zu sein scheint. Nach fünf Jahren beschliesst er, sich in Vevey VD niederzulassen und wird Gehilfe in der Apotheke von Marc Nicollier. Sein Chef fördert ihn und vermittelt ihm 1843 eine Schnapsbrennerei mit einer Mühle, die er dank Geldzuschuss von einer Frankfurter Tante übernehmen kann.

Babynahrung macht Nestlé zum globalen Player

Henri Nestlé, wie der Mann seit seiner Namensänderung heisst, stellt fortan Öl, Spirituosen, Knochenmehl und Essig her. 1849 richtet sich der Unternehmer ein Labor ein, experimentiert mit künstlichem Dünger und stellt aus Pflanzenölen Flüssiggas her, dass er der Stadt als Beleuchtungsmittel für die örtlichen Strassenlaternen verkauft. Als Vevey diese 1857 auf Kohlebefeuerung umstellt, droht Nestlé die Pleite.

Der Apotheker versucht, Kindernahrung auf Milchbasis herzustellen, doch eine Milchpaste bringt nicht den gewünschten Erfolg. 1860 heiratet Nestlé eine Frankfurter Arzttochter: Clementine Therese Ehemant soll ihren Mann bestärkt haben, weiter nach geeigneter Babynahrung zu suchen. Die Arbeiten des deutschen Chemikers Justus Liebig bringen ihn auf die Idee, dessen 1865 vorgestellte Säuglingsnahrung mit kondensierter Milch zu versehen.

Als sein «Kindermehl» ein Baby überleben lässt, das nicht gestillt werden kann, ist sein Produkt in aller Munde. Nestlé setzt alles auf eine Karte, stellt die Produktion um und verkauft seine Ware ab 1868 mit durchschlagendem Erfolg – unzähligen Kindern wird so das Leben rettet. Der Erfolg ist so enorm gross, dass der Mann sieben Jahren später in Pension gehen kann, nachdem er 1874 Schweizer geworden ist.

Unterschrift und Namen mitverkauft

Als die Firma im Januar 1875 den Besitzer wechselt, bekommt der Gründer «den Preis einer Million. Ein schnelles Vermögen, zu dem es nichts zu sagen gibt», sagt der Chemiker der Zeitschrift «La Revue» trocken. Nestlé ist da 59 Jahre alt, Kinder haben seine Frau und er keine. Ihm werden 15 Jahre bleiben, um mit seiner Frau Clementine Therese Ehemant und der Adoptivtochter Emma das Vermögen in Montreaux und Glion im Waadtland zu geniessen.

Seine Firma, der er seine Unterschrift und Namen abtritt, steigt in schnellen Schritten zum Weltkonzern auf und beschert seinen drei Schweizern Geschäftsfreunden, die Nestlé übernommen haben, einen sorgenfreien Lebensabend.

Nestlé stirbt am 7. Juli 1890 in Glion VD. Sein Name lebt bis heute weiter.

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