Virtuelles WEF Davos ohne Davos – alles anders, vieles gleich, und eine vermisst die Schweizer Berge

Von Andreas Fischer

26.1.2021

WEF-Gründer Klaus Schwab empfängt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im virtuellen Raum: Wegen der Corona-Pandemie findet das Weltwirtschaftsforum 2021 nicht in Davos statt.
WEF-Gründer Klaus Schwab empfängt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im virtuellen Raum: Wegen der Corona-Pandemie findet das Weltwirtschaftsforum 2021 nicht in Davos statt.
KEYSTONE

Die Davoser Berge bleiben in diesem Jahr ein Sehnsuchtsort für die Mächtigen der Welt. Mit Klaus Schwab plaudern sie trotzdem: Das WEF findet zurzeit im Internet statt – mit alten Mustern.

Kein Stau. Keine gnadenlos überteuerten Hotels. Keine Krawall-Demos. In Davos ist in diesem Januar alles anders. WEF ist trotzdem. Nur ist das World Economic Forum wegen der Corona-Pandemie umgezogen – und findet zurzeit im Internet statt. «Davos Agenda Week» heisst das virtuelle Treffen, auf das im Mai dann eine echte Sause folgen soll. Dann allerdings in Singapur.

Dabei sind die Bündner Berge das, was die Entscheider aus Wirtschaft und Politik am dringendsten brauchen. Angela Merkel jedenfalls vermisst sie, wie die deutsche Bundeskanzlerin heute in ihrem virtuellen WEF-Auftritt gestand, bei dem sie ansonsten über die Herausforderungen der Corona-Pandemie sinnierte

Das WEF bleibt sich treu

Das Leben jedoch ist heutzutage keine Ferienreise: Harte Zeiten verlangen aussergewöhnliche Massnahmen. Wer nun denkt, dass Klaus Schwab in seinem digitalen Davos alles anders macht, liegt daneben. Der mittlerweile 82-jährige WEF-Gründer aus dem deutschen Ravensburg bleibt sich treu. In vielen Dingen.



Zunächst einmal ist da das Motto der «Davos Agenda Week». «The Great Reset» ist zwar griffiger als zuletzt «Stakeholders for a Cohesive and Sustainable World» (2020), aber nicht weniger plakativ und irgendwie gigantomanisch. Schwab greift damit den Titel seines im Sommer veröffentlichten Buches auf, in dem er die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie mit denen eines Weltkriegs vergleicht.

Schwab im Visier der Verschwörungstheoretiker

Beim virtuellen Brainstorming taucht das knackige Motto freilich nur im Kleingedruckten auf. Vielleicht war Schwab überrascht davon, welchen Einfluss «The Great Reset» auf Verschwörungstheoretiker hatte. Die nehmen den Titel nämlich als Beweis dafür, dass die Weltelite die Menschheit versklaven will – mit dem Coronavirus als Rechtfertigung.

Das ist natürlich Quatsch. «Jeder, der mein Buch liest, sieht, dass es eine Analyse der Folge der Pandemie ist, die grundsätzliche Trends aufzeigt, und nicht ein Rezeptbuch für einen totalen Überwachungsstaat oder ein marxistisches System», erklärte Schwab dann auch dem Nachrichtenmagazin «Spiegel».

Der «Tages-Anzeiger» mutmasst, dass Schwab trotzdem von der Aufmerksamkeit geschmeichelt sein könnte, weil es Menschen gibt, die glauben, «er und sein WEF könnten tatsächlich den Gang der Dinge beeinflussen». Bei genauer Betrachtung ist Schwabs Einfluss dann aber doch begrenzt. Egal ob in Davos oder bei Zoom.

Unverbindlich, blumig, unkritisch

Dabei geht es Schwab natürlich weiterhin ums grosse Ganze – die Welt ist dem Wahl-Schweizer gerade genug. Das ist prinzipiell nicht falsch gedacht, weil alle Menschen nur diesen einen Planeten zur Verfügung haben. Dass Schwab ihn integrativer, gleicher und respektvoller gegenüber der Natur gestalten will, ist ehrenhaft.



Allerdings, und das ist eine weitere Sache, bei der sich das virtuelle WEF nicht vom Davoser Original unterscheidet: Schwab bleibt unverbindlich, blumig und unkritisch seinen Gästen gegenüber. Hauptsache sie haben Rang und Namen. Den damaligen US-Präsidenten Donald Trump hat Schwab bei dessen erstem Davos-Besuch 2018 derart unterwürfig hofiert und für seine Politik gelobt, dass ein erstauntes Raunen durchs Publikum ging.

In China ist alles bestens

Auch wenn man es nicht hören und sehen konnte: Die Reaktion dürfte gestern nicht anders gewesen sein, als Schwab in seiner unnachahmlichen Art den diesjährigen Auftaktredner mit vor Lob triefenden Worten vorstellte. «Ich könnte viele Initiativen erwähnen, die ihr Land unternommen hat, um eine Welt zu erschaffen, in der alle Beteiligten ihre Rollen verantwortungsvoll ausfüllen», begrüsste er Chinas Präsidenten Xi Jinping. Es sei eine gute Zeit, mit ihm zusammen an einer friedlichen und wohlhabenden Welt zu arbeiten.

Dass genau diese Welt Chinas zunehmend aggressiver Machtpolitik skeptisch gegenübersteht, dass es in der Volksrepublik in Sachen Menschenrechte durchaus Nachholbedarf gibt – das spielt für Schwab keine Rolle. Beim WEF müssen die Namen stimmen, und die sind wie immer gross.

Mächtige Menschen, schöne Worte

Neben Xi Jinping hat Schwab bereits mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron geplaudert, wie erwähnt mit Angela Merkel und einer weiteren Landsfrau: EU-Chefin Ursula von der Leyen. Angekündigt sind auch die Staatsoberhäupter oder Regierungschefs von Indien, Japan, Südkorea, Argentinien, Israel, Spanien ... und natürlich der Schweizer Bundespräsident Guy Parmelin.

Während Schwab mit den Mächtigen plaudert, tauschen sich hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft in Online-Runden über aktuelle Herausforderungen wie der Pandemie und dem Klimawandel aus. Weil auf dem WEF aber – weder traditionell noch virtuell – nichts beschlossen wird, wird es wohl auch diesmal vor allem bei schönen Worten bleiben.

Davos wird überleben

Wobei sich manche Menschen dann doch ziemlich klar ausdrücken. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg hat dem virtuellen WEF in einer Grussbotschaft andauernde Ignoranz und leeres Gerede zum Kampf gegen die Klima- und Umweltkrise vorgeworfen: «Ihr hattet jetzt mehr als drei Jahrzehnte voller Blablabla. Wie viele mehr braucht ihr noch?»

Eine gute Frage, denn eigentlich bleibt durch das virtuelle Format genug Zeit, sich um Themen zu kümmern. Weil eben die Berge nicht ablenken. Die bieten sonst nämlich eine willkommene Abwechslung zum Konferenzzentrum. Auch weil sich dort abseits der Weltverbesserungs-Diskussionen ganz gut Geschäfte machen und Kontakte pflegen lassen. Solche hochrentablen Treffen allerdings entfallen in diesem Winter. Wetten, dass sie in Singapur nachgeholt werden?

Davos übrigens wird das Jahr ohne WEF verkraften. Dass der Kurort jetzt zur Geisterstadt wird, das ist eine übertriebene Behauptung. Es ist einfach beschaulicher als sonst im Januar. Man kann sogar etwas beobachten, was es seit 50 Jahren nicht gab: Skifahrer und Langläufer. Die erobern sich gerade ihr Terrain zurück.

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