System am AnschlagSituation in Spitälern wird immer prekärer
amo
27.12.2022
Dass das Schweizer Gesundheitssystem am Anschlag ist, ist grundsätzlich nicht neu. Trotzdem ist keine Besserung in Sicht, im Gegenteil. Die Lage in den Spitälern spitzt sich sogar noch zu. Bereits vor der Skisaison gibt es vielerorts kaum noch freie Betten.
amo
27.12.2022, 11:58
27.12.2022, 12:03
amo
Corona, Grippe, RS-Virus: Das sind nur drei Gründe, warum Schweizer Spitäler im Moment aus allen Nähten platzen. Und das vielerorts noch vor der Ski-Hauptsaison.
Am Spitalzentrum Oberwallis in Brig und Visp seien in den letzten Monaten sämtliche Betten komplett besetzt gewesen, sagt der Pflegedirektor des Spitalzentrums Oberwallis im «Blick». Das habe er in seiner ganzen Karriere noch nie erlebt.
In der Folge müssten Patienten, die keine akute Behandlung bräuchten, teilweise auf der Notfallstation bleiben. Es habe Situationen gegeben, da hätten bis zu 50 Patient*innen darauf gewartet, dass sie verlegt werden, so der Pflegedirektor. Allerdings fehlten dann wiederum Notfallbetten.
Probleme in der gesamten Versorgungskette
Dabei war bisher erst die touristische Nebensaison. Nun startet die Hauptsaison, wo Skiunfälle an der Tagesordnung sind. Das Spitalzentrum Oberwallis hat darum sechs Gangkojen auf der Notfallstation eingerichtet. Das ermögliche eine Wartezone für die saisonal verlängerte Wartezeit, heisst es auf der Website des Spitals.
So prekär wie im Spitalzentrum Oberwallis ist die Situation vielerorts. Pierre-André Wagner, Leiter des Rechtsdienstes des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, bezeichnet die aktuelle Lage im «Blick» gar als «hoffnungslos». Probleme gäbe es in der gesamten Versorgungskette. Nun komme alles zusammen.
Dass die saisonale Grippewelle in diesem Jahr über einen Monat früher dran ist als gewöhnlich, hilft der Situation nicht. Die Fallzahlen haben bereits vor Weihnachten die Spitzenwerte der Grippesaison der Vorjahre erreicht, schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in ihrem Bulletin am Dienstag. Damals war der Höhepunkt der Grippewelle erst ab Ende Januar und im Februar festgestellt worden. Dazu kommt eine nach wie vor unberechenbare Anzahl Covid-Patientinnen und -Patienten.
300 Pflegende werfen monatlich das Handtuch
Aber auch weitere Faktoren wie die veränderte Demografie beeinträchtigen das Gesundheitssystem. Es gibt immer mehr ältere Menschen, die Pflege benötigen. Gleichzeitig fehlt es an Personal. Ein Teufelskreis. Gemäss dem Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner kapitulieren monatlich rund 300 Pflegende vor der Dauerbelastung und wechseln den Beruf. Fehlt es an Personal, müssen automatisch Betten geschlossen werden.
Gleichzeitig ist in Spitälern der Mangel an Hausärzten spürbar. Fehlt es an Hausärztinnen und Ärzten, sind Patient*innen je nach Region gezwungen, ins Spital zu gehen, statt sich in ihrer Gemeinde untersuchen zu lassen. Der Präsident des Haus- und Kinderärzteverbands, Philippe Luchsinger, sagt im «Blick», es brauche in den nächsten Jahren zusätzlich zwischen 3000 und 4000 Haus- und Kinderärzte. Im Oberwallis beispielsweise gebe es nur gerade fünf Kinderärzte.
«Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels»
Dabei sind Kinderärzte gerade jetzt mit dem Aufkommen des RS-Virus gefordert. Seit Oktober schiessen die Ansteckungen in die Höhe. Gar von absoluten Rekordzahlen ist die Rede, schreibt Pädiatrie Schweiz. Zum Vergleich: Im Dezember des letzten Jahres erkrankten rund 100 Kinder am RS-Virus. In diesem Dezember sind es bereits 400 nachgewiesene Infektionen. Der virale Infekt löst bei Säuglingen und Kleinkindern Atembeschwerden aus.
Nun kommen in Spitälern, die in der Nähe von Skigebieten liegen, saisonbedingte Unfälle dazu. Dass sich die Situation normalisiere, glaubt Pierre-André Wagner vom Pflegeverband nicht. Zuerst müsse die Politik ihre Verantwortung wahrnehmen. Seine düstere Prognose: «Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels.»