Rosengarten-Tunnel «Her mit dem Tunnelbohrer!» – was Zürcher zum Milliardenprojekt sagen

Von Anna Kappeler

3.2.2020

Zankapfel Zürcher Rosengarten-Tunnel: Warum ein Ex-Anwohner trotz Lärm gegen den Bau ist, eine Frau eine günstige Wohnung dort genau deshalb abgelehnt hat und ein Filmemacher sofort den Tunnelbohrer will.

Die Rosengartenstrasse ist eine der landesweit meist befahrenen Strassen durch ein Quartier (hier mehr zur Abstimmung). Bis zu 56'000 Autos brausen täglich vorbei. Wie laut das ist, weiss Alessandro Cacciapaglia nur zu genau. Er wohnte nicht nur direkt an der Strasse, er arbeitet auch gleich daneben.

«Bei geschlossenen Fenstern ging es», sagt er über seine ehemalige Wohnung. Richtig laut aber werde es jeweils während des Feierabendverkehrs. «Da habe ich schon ein paar Mal gedacht: blöde Autos!»

Und doch winkt Cacciapaglia ab: «Man hört den Lärm irgendwann nicht mehr.» Ab 22 Uhr werde es zudem ruhiger. Mühsamer sei es im Sommer, wenn man die Fenster offen lassen wolle. Seine Lösung? «Ich blieb einfach so lange wie möglich draussen an lauen Abenden.»

Cacciapaglia liebt Wipkingen. Allein aus diesem Grund hofft er: auf ein Nein zum Tunnel. Denn ein Tunnel würde laut Cacciapaglia zuerst einmal zu jahrelangen, lärmintensiven Bauarbeiten führen. Und langfristig zu «noch mehr Verkehr».



Neu würde es am Rosengarten sechs Spuren geben statt wie heute vier. «Zwei Spuren blieben oberirdisch befahrbar. Das kann es doch nicht sein.» Zudem müsste man eine neue Fläche doch begrünen. Die 1,1 Milliarden Franken für das Projekt seien für ihn hinausgeworfenes Geld.

Wenige Meter von der Rosengartenstrasse entfernt ist Cacciapaglias Arbeitsplatz. Der 26 Rose Garden, ein Laden für Wohnaccessoires mit einem Café. Der Name erinnert an den alten Standort an der Rosengartenstrasse.

Weggezogen von dort sei man nicht wegen der Abgase, sondern weil der neue Laden grösser ist. Auch wegen des Ladens ist Cacciapaglia gegen den Tunnel-Bau. «Während der Bauarbeiten würde der Verkehr wohl genau über unsere Strasse ausweichen.»

Wohnung wegen Lärm abgelehnt

Im gleichen Haus wie das frühere Rose-Garden-Geschäft hat es Wohnungen einer Genossenschaft. Allerdings: Hier wohnen wollen längst nicht alle. Eine junge Frau, die ihren Namen nicht öffentlich lesen will, besichtigte dort vor einem knappen Jahr eine Wohnung. Die 2-Zimmer-Wohnung sei sehr schön gewesen – und mit 720 Franken Miete pro Monat erst noch günstig.

«Doch als ich das Fenster öffnete, war es so laut, dass ich nicht mehr verstand, was mein Gegenüber sagte.» Deswegen habe sie sich gegen die Wohnung entschieden. Sie betont aber: «An einer anderen Lage hätte ich diese Wohnung mit Handkuss genommen.»



Ist sie also für den Tunnel? «Nein», sagt sie nach einigem Zögern. Das Projekt sei städtebaulich nicht sauber durchdacht. Trotzdem findet sie, dass die Stadt eine andere, zeitgemässe Lösung für diesen Stadtteil finden müsse, da die Situation für die Anwohner belastend sei.

«Werden auch künftig auf Autos angewiesen sein»

Ganz anders sieht das Thomas Haemmerli. Er ist Autor und Filmemacher. Sein Film «Die Gentrifizierung bin ich – Beichte eines Finsterlings» handelte davon, wie sich Zürich über die Jahre veränderte.

Haemmerli selber, früher Häuserbesetzer, heute Häuserbesitzer, spielt darin eine Hauptrolle und erzählt durchaus selbstironisch, wie auch er zur Gentrifizierung der Stadt beiträgt. Eine klare Haltung hat Haemmerli auch zum Rosengarten-Tunnel: «Als einer, der kein Auto hat und ständig Velo fährt, stimme ich trotzdem Ja.» Warum? Er sei erstens für das Tram und zweitens fast immer für Infrastrukturbauten.



«Zürich wächst. Auch in Zukunft werden wir für Lieferungen auf Autos angewiesen sein, ich etwa, wenn ich Filmarbeiten mache.» Sogar selbstfahrende Elektromobile würden in Zukunft Strassen brauchen. Weil er oft in Metropolen gelebt habe, sei er gegen das Klein-Klein, mit welchem grosse Würfe verhindert würden.

«Mit der Tramanbindung und der oberirdischen Verkehrsberuhigung wird das Quartier sehr viel angenehmer und damit aufgewertet.» Das löse aber den gleichen Prozess aus wie entlang der Zürcher Weststrasse, an der Haemmerli heute wohnt: Häuser werden neugebaut oder komplett saniert, die Mieten steigen und viele Ehemalige werden verdrängt. Eben, Haemmerli ist Teil der Gentrifizierung.

Es ist diese Verdrängung, die linke Kreise als Gentrifizierung verteufeln. Haemmerli weiss das: «Der Grossteil meines Umfelds – kulturaffin, eher links und öko – wird mir mein Ja zum Tunnel um die Ohren hauen.» Natürlich könne man sagen: «Staus sind nötig, damit weniger Auto gefahren wird.» Gescheiter betreffend CO2-Reduktion wären laut Haemmerli aber Mobility Pricing, signifikant höhere Benzinpreise und «höhere Steuern auf verbrauchsintensive Autos wie die idiotischen SUVs».

Es brauche zuweilen die grosse Kelle, ist Haemmerli überzeugt. «Wenn ich als Nein-Argument höre, es müssten ein paar popelige Bauten und Bäume weichen, bestätigt mich das in meinem: Weg damit! Her mit dem Tunnelbohrer!»

«Lärm und Dreck reduzieren»

Für den Tunnel-Bau ist auch die Zürcher FDP-Gemeinderätin Martina Zürcher. «Ein Tunnel lässt das Quartier wieder zusammenzuwachsen und reduziert Lärm und Dreck für die Anwohnenden», sagt sie. Oberirdisch gewönne die wichtige Verkehrsachse Platz für zwei neue Tramlinien und mehr Platz für Fuss- und Veloverkehr. So könne das Bevölkerungswachstum genauso wie das Mobilitätswachstum mit dem ÖV abgefangen werden.

Auch in Zeiten von Klimawandel und Klimazielen mit weniger CO2-Ausstoss sei ein Tunnel sinnvoll, um die Bevölkerung vor den Abrollgeräuschen zu schützen. «Die Mobilität wird sich weiterentwickeln, dabei können beispielsweise synthetische Treibstoffe, Elektrofahrzeuge oder autonomes Fahren eine Rolle spielen.» Das Rad werde aber kaum neu erfunden, so Zürcher, die im Ja-Komitee sitzt.

Rückbau zur normalen Hauptstrasse

Ganz anders klingt es beim Nein-Komitee. «Dieses Projekt entspringt der Mottenkiste des letzten Jahrhunderts», sagt Markus Knauss. Es sei auf sehr viel mehr Autoverkehr ausgelegt, als offiziell ausgesagt werde. «Die Erfahrung zeigt, dass mehr Strassenkapazitäten auch genutzt werden.»

Was schlägt er also vor? «Umsteigen auf den ÖV – und den Veloverkehr fördern. Für die Autofahrenden bietet sich die Nordumfahrung an, die aktuell für sehr viel Geld ausgebaut wird.» Wenn alle diese Massnahmen genutzt würden, könne die Rosengartenstrasse zu einer normalen zweispurigen, städtischen Hauptstrasse zurückgebaut werden.

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