Neue Volksinitiative Eine zweite Chance für das Grundeinkommen

Von Maximilian Haase

19.4.2021

Neuer Versuch: Oswald Sigg will eine zweite Initiative zum Grundeinkommen auf den Weg bringen (Archivbild).
Neuer Versuch: Oswald Sigg will eine zweite Initiative zum Grundeinkommen auf den Weg bringen (Archivbild).
Bild: KEYSTONE/Alessandro della Valle

2016 scheiterte die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen an der Urne. Nun soll es einen neuen Versuch geben. Wieder vorne mit dabei: Oswald Sigg. Er glaubt, das Volk dank klarer Finanzierung diesmal gewinnen zu können –  allen voran die Frauen.

Von Maximilian Haase

19.4.2021

Er will es noch einmal versuchen. Oswald Sigg, pensionierter SP-Politiker und einstiger Bundesratssprecher, glaubt an das Grundeinkommen. Und daran, dass es in der Schweiz eine Chance hat – auch wenn die Initiative 2016 beim Volk noch klar durchfiel. 2500 Franken pro Monat für jede und jeden, und das ohne Gegenleistung: Über drei Viertel der Abstimmenden sprachen sich dagegen aus.

Nun wagt Sigg, der schon damals dem Initiativkommitee angehörte, einen weiteren Anlauf. «Für ein finanzierbares Grundeinkommen» ist die neue Initiative überschrieben, die aktuell bei der Bundeskanzlei geprüft wird.

«Es geht wieder los», blickt Sigg im Gespräch mit «blue News» hoffnungsfroh auf die kommenden Aufgaben. Der Initiativtext sei «mehr oder weniger abgeschlossen», man sei guten Mutes, noch vor der Sommerpause starten zu können. «Wir sind im Fahrplan und freuen uns auf das erneute Unterschriftensammeln – und das trotz Corona», so der 77-Jährige.

Denn auch wenn sich in der Pandemie auf verwaisten Strassen und Plätzen nicht gerade leicht Überzeugungsarbeit leisten lässt: Corona sei auch ein Grund dafür gewesen, die zweite Initiative überhaupt zu starten. «Wann, wenn nicht jetzt?», verweist der promovierte Politologe auf die steigende ökonomische Existenznot vieler Haushalte.

Die Frage der Finanzierung

Hoffnungsfroh gibt sich Sigg, weil für ihn feststeht, woran der Versuch vor fünf Jahren krankte. «Der eigentliche Schwachpunkt der ersten Initiative war die ungelöste Frage der Finanzierung», meint er – durchaus auch selbstkritisch: «Ich habe mich damals über mich selbst geärgert, weil ich diesen schwachen Punkt zu wenig gesehen habe.»

Das «bedingungslos» im Initiativen-Titel wurde jedenfalls durch ein «finanzierbar» ersetzt. «Wer soll das bezahlen?» ist neben «Wer arbeitet dann noch?» wahrscheinlich der häufigste Einwand, wenn es um das Grundeinkommen geht.

Sigg sei klar geworden: Kommt man mit der ersten Initiative nicht durch, «muss man bei der zweiten das Problem der Finanzierung angehen». Wie genau, daran arbeite man aktuell noch. Eine grosse Rolle könnte dabei die Besteuerung der Finanzwirtschaft spielen. Sigg, der auch die Initiative zur Mikrotransaktionssteuer mitlanciert, sagt: «Eine ähnliche Finanzierung wollen wir bei der Grundeinkommensinitiative einbauen.»

Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, habe ein erster Entwurf des Initiativtextes die Steuern auf den Zahlungsverkehr gar ausdrücklich erwähnt. Dies sei nun einer «umfassenden Formulierung» gewichen, zitiert die Zeitung Mitinitiantin Rebecca Panian, deren Grundeinkommens-Experiment in Rheinau 2018 am Geld scheiterte. Dies sei nun, auf nationaler Ebene, fundamental anders. «Unsere Initiative ist finanzierbar. Das können wir klar zeigen», so die Filmemacherin laut «Tages-Anzeiger».

Die grosse Frage der Finanzierung sorgte wohl auch dafür, dass zwei Masterminds der ersten Initiative diesmal nicht an Bord sind: der Philosoph Philip Kovce und der Unternehmer Daniel Häni, die zwei Bücher über das Grundeinkommen veröffentlicht haben. Man habe sich im Punkt der Finanzierung in keiner Weise gefunden, erklärt Sigg. Das sei schon bei der ersten Initiative so gewesen. «Wenn ihr bei der zweiten nicht mitmacht, dann mache ich das allein», habe er damals zu Häni gesagt. «Und so ist es jetzt gekommen.»

Eine liberale Idee?

Die Uneinigkeit besteht in einer Grundfrage. «Als wäre das Geld gar kein Thema», kritisiert Sigg Hänis Position. Das Geld sei schon da, bemängelt Häni wiederum im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger» den «Denkfehler» der neuen Initiative: «Nicht das Geld soll umverteilt werden, sondern die Macht», zitiert ihn die Zeitung. Das Grundeinkommen sei kein sozialistisches, sondern ein liberales Projekt.

Immerhin: In diesem Punkt stimmt Sigg seinem ehemaligen Mitstreiter zu – mit Blick auf einen NZZ-Artikel, der die Idee des Grundeinkommens einmal als «radikal» bezeichnete. «Die Radikalen – so hiessen in der Schweiz früher die Freisinnigen. Sie waren die Gründer des Bundesstaates. Politisch liegen wir bei den Liberalen somit ganz richtig», erklärt Sigg süffisant. Er weiss aber auch: «Man kann in der Schweiz nicht mit sogenannten sozialistischen Ideen hausieren. Das ist nicht von Erfolg gekrönt.»

Tatsächlich existiert die Idee des Grundeinkommens schon lange nicht mehr nur als linke Utopie. Nachdem die Abstimmung in der Schweiz das Thema 2016 erstmals auf eine nationale Agenda brachte, erregte das auch im Ausland Aufsehen. Finnland führte 2017 als erstes Land der Welt für zwei Jahre ein Grundeinkommen für ausgewählte arbeitslose Personen ein. Das Ergebnis des Experiments: Die Menschen waren zufriedener, kehrten aber nicht auf den Arbeitsmarkt zurück.

Ähnliche Versuche gab es regional in Italien, in Kanada, in Kalifornien – und auch in der Schweiz: Drei Monate lang erhalten Kulturschaffende im Kanton Zürich ein Grundeinkommen.

Parteien lehnen Initiative ab

Doch auch wenn in der Vergangenheit immer wieder politisch liberal gesinnte Politiker Sympathien für das soziale Projekt durchblicken liessen: «Die FDP ist gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens», kommentiert die Partei die neuerliche Initiative auf Anfrage von «blue News». Niemand könne abschätzen, «ob junge Menschen immer noch bereit sein werden, eine Lehre zu absolvieren oder überhaupt einen Beruf zu ergreifen, wenn ihnen ein grosszügiges Grundeinkommen garantiert wird». 

Die SVP teilt auf Anfrage mit, man wolle sich «konkret dazu äussern, wenn die Volksinitiative zustande gekommen ist». Zum jetzigen Zeitpunkt könne man nur feststellen, «dass aus der einstigen Arbeiterbewegung offenbar eine Nicht-Arbeiterbewegung geworden ist».

Dabei lehnt auch die SP – wie schon 2016 – die Initiative zum bedingungslosen Grundeinkommen ab: «An unserer Haltung hat sich nichts geändert», lässt Mediensprecher Nicolas Haesler «blue News» wissen. Abgelehnt habe man die Initiative damals, «da im konkreten Verfassungstext zu viele Punkte ungeklärt blieben oder nicht durchdacht waren». Diese «grundsätzliche Skepsis» bestehe auch heute noch. Die Corona-Krise habe aber gezeigt, «dass sehr viele Menschen im Ernstfall durch die Maschen des Sozialnetzes fallen». Man wolle deshalb das Modell der Allgemeinen Erwerbsversicherung weiter konkretisieren.

«Man kann Frauen mit dem Thema eher erreichen»

Oswald Sigg setzt seine Hoffnungen derweil auch in den weiblichen Teil der Bevölkerung. Zum einen habe er festgestellt, dass er für ein politisches Projekt dieser Art mit Frauen besser zusammenarbeiten könne als mit Männern. Dass die Mehrheit des Initiativkommittees aus Frauen besteht, ist für Sigg zum anderen auch inhaltlich wichtig: «Das bedingungslose Grundeinkommen ist politisch betrachtet ein Frauenpostulat.»

Im Finanzhaushalt der Familie seien die Frauen immer zu kurz gekommen. Früher habe es das Haushaltsgeld gegeben, und noch heute werde über die Hälfte der gesellschaftlichen Arbeit in Haushalt, Familie, Vereinen und Politik unbezahlt verrichtet: «Und diese Arbeit verrichten oft mehrheitlich die Frauen.» Sie seien deshalb «eher legitimiert, dieses Projekt voranzubringen».

Man könne Frauen mit dem Thema eher erreichen als Männer, glaubt Sigg. Oft hätten sie bei der Unterschriftensammlung zur ersten Initiative sofort unterschreiben wollen. Beim weiblichen Teil der Schweizer Bevölkerung sei dies womöglich verbreiteter, «weil sie politisch betrachtet allzu lange Zeit nichts zu sagen hatten», vermutet Sigg. 

Ob er wirklich daran glaube, dass das Grundeinkommen in der Schweiz eine Chance hat? «Ja. Natürlich», sagt Oswald Sigg. «Sonst würde ich mich nicht mit solchen Projekten herumschlagen.»